Reform der Juristenausbildung

Mal wieder Fehl­an­zeige?

von Prof. Dr. Georgios GounalakisLesedauer: 6 Minuten
Auf der Justizministerkonferenz im kommenden Herbst werden Studium und Staatsprüfung überdacht. Georgios Gounalakis meint nicht, dass sich trotz Reformbedarfs viel ändern wird - dafür sei die Jurisprudenz zu eingefahren und stolz.

Die deutsche Juristenausbildung gilt landläufig als top. Auf einer Skala von 1 bis 10 verdiene sie eine glatte 10. Die Bestnote. Weil sie einzigartig auf der Welt sei. Weil sie lang, gründlich sowie qualitativ hochwertig sei und umfassend Theorie und Praxis des Rechts vermittle. Weil sie vom Leitbild des Einheitsjuristen geprägt werde, der als Allrounder alles könne und sich in jedem Berufsfeld heimisch fühlen dürfe, ob als Richter, Staatsanwalt, Anwalt oder Verwaltungsjurist, eben ein juristischer Alleskönner, allseits und überall im Dienste des Rechts einsatzbereit. Eine Ausbildung also, die den Zugang zu einer Fülle von Berufsfeldern eröffnet. Dass die meisten Absolventen kurz vor ihrem 30. Geburtstag stehen und sich dann doch -  bewusst oder mangels guter Note - oft nur für den Anwaltsberuf entscheiden und ihm treu bleiben, wen interessiert das schon? Anders als bei den meisten Studiengängen nimmt nicht die Universität, diese stets argwöhnisch beäugte und unberechenbare Diva mit ihren noch launischeren Professoren, den theoretischen Teil der Prüfung ab, sondern der stets zuverlässige und unfehlbare Staat. Und wer, wenn nicht der Staat, dieser unzähmbare Leviathan, ist besser prädestiniert, mit seiner erfahrenen Justizverwaltung für ein objektives Prüfungsverfahren zu sorgen? Den kleinen Wermutstropfen, dass im ersten Examen die Schwerpunkbereichsprüfung mittlerweile den Universitäten überlassen worden ist, kann das System verkraften. Ebenso verkraftet es, dass die Universitäten, weil es in der Natur der prüfenden Hochschullehrer halt so zu liegen scheint, für juristische Verhältnisse zu gute Noten haufenweise und nach Gutdünken verschenken. Wo bliebe bei einer reinen Universitätsprüfung da noch die Vergleichbarkeit und Verlässlichkeit der Abschlüsse? Natürlich auf der Strecke. Der Kern, die Staatsprüfung, die mit 70 Prozent ins Gewicht schlägt, ist deshalb nach wie vor staatsgeprägt.

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Nicht mehr als ein paar Reförmchen

Und später, bei der Jobsuche, zählt ohnehin nur das Ergebnis der Staatsprüfung, denn hieran orientiert sich der Arbeitsmarkt. Selbstverständlich vollständig vom Staat abgenommen wird nach einem zweijährigen Referendariat der praktische Teil in der Zweiten Juristischen Staatsprüfung. Eine in jeder Hinsicht hervorragende zweistufige Ausbildung also, die weltweit ihresgleichen sucht. Wir Juristen können, nein, wir sollten stolz sein. Indes wird die zweifache Staatsprüfung fast schon notorisch als reformbedürftig angesehen. Dabei ist die Diskussion um die Reformbedürftigkeit so alt wie die Ausbildung selbst. Der Staat aber, ein wahrer Fels in der Brandung, hat mit seinen bisherigen Reförmchen im Kern stets an der Staatsprüfung festgehalten. Eine rein universitäre Prüfung, wie sie europaweit und auch in der gesamten westlichen Welt üblich ist, wurde stets erfolgreich abgewehrt. Jetzt wird man landläufig sagen: Zum Glück und im Interesse einer qualitativ hochwertigen Ausbildung. Und seien wir ehrlich: Ausländische universitäre Juristenausbildungen taugen doch im Grunde nichts, sämtliche fremden Rechtssysteme versinken im Chaos.

Wer braucht schon Bologna?

Das Ziel des Volljuristen ist die Befähigung zum Richteramt. Damit können gleichzeitig auch alle anderen juristischen Berufe ausgeübt werden. Landläufig sagt man, das sei gut so. Welcher Jurist anderswo habe sonst eine so breite Auswahl? Man kann aber auch fragen: Geht die Ausbildung nicht am tatsächlichen Bedarf vorbei, wenn fast 80 Prozent der Volljuristen Anwalt werden? Und sollte nicht besser die bedarfsgerechte Anwaltsausbildung das Ziel sein, mit einer Richterausbildung für den Staat on top? Sowohl Ausbildungsinhalt als auch das Verfahren sind bundesländerweit vereinheitlicht. Beides ist gesetzlich bis ins Detail fixiert. Das bedingt zwar ein auf Dauer angelegtes, starres und uniformes Ausbildungs- und Prüfungssystem, das nur sehr schwer verändert werden kann. Es schaffe aber Verlässlichkeit und sei deshalb ein Gütesiegel für Qualität. Und das sei gut so. Wer bitte braucht da schon Anpassungen an die Zeit oder den Bologna-Prozess? Weil Unterricht und Prüfung voneinander getrennt sind, hat sich ein System der Einpauker und Repetitorien entwickelt, die Formalwissen und schematische Fertigkeiten vermitteln. Grundlagenwissen und methodische Fähigkeiten bleiben dabei auf der Strecke. Immerhin: Das schafft Arbeitsplätze und fördert ein lukratives und gut florierendes Gewerbe. Damit kurbelt der Staat den Arbeitsmarkt an. Eigentlich könnte man im gleichen Atemzug darüber nachdenken, ob man dann überhaupt noch so viele juristische Fakultäten braucht.

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2/2: Taube Ohren

Die Kritikpunkte, so alt aber berechtigt sie auch sein mögen, man kann und will sie in den zuständigen Kreisen nicht mehr hören. Immer wieder die gleiche Dauernörgelei: Die deutschen Juristen seien beim Berufseinstieg zu alt, weil die Ausbildung immer noch zu lang dauert: Im Bundesdurchschnitt elf Semester, mit den zwei Jahren Referendariat also 7,5 Jahre - Wiederholungs- und Verbesserungsversuche nicht mitgerechnet. Na und? Eine gute Ausbildung braucht eben ihre Zeit. Und greise Berufsanfänger sind doch hip. Das Universitätsstudium in vier Jahren und das Referendariat unter Verzicht auf die Wahlstation in weniger als zwei Jahren - jeweils einschließlich Prüfungen - abzuschließen, kann doch kein ernst gemeintes Reformziel sein. Wohin dann so früh mit so vielen Juristen auf dem Arbeitsmarkt? Die Arbeitslosenzahlen würden steigen, was schlecht ist für die Politik. Und die ganze Repetitoriums-Branche gerät in Gefahr. Also braucht es weiterhin einer Art Gattungsschutz für bedrohte Berufsgruppen. Und dann noch dieses unsägliche Gejammer, der vorgeschriebene Prüfungsstoff sei viel zu umfangreich und so vage beschrieben, dass alles oder fast alles darunter falle. Dass damit die Verunsicherung der Studierenden nochmals erhöht wird - ja und? Wer später schließlich als "habilitierfähiger Oberlandesgerichtsrat in der ordentlichen Gerichtsbarkeit" reussieren will, der muss den angemessenen Preis dafür zahlen: Zeit und Fleiß. Dass die Masse der später einfachen Anwälte das gleiche durchmachen muss - egal. Ebenso egal wie der Vorwurf, die Ausbildung - einseitig am Justizjuristen und insbesondere am Richterberuf orientiert - vernachlässige auch heute noch die zunehmende Internationalisierung und Europäisierung der Rechtspraxis. Welcher Anwalt oder Richter braucht denn bitte Kenntnisse des internationalen Rechts, in der Rechtsvergleichung oder im IPR? Verträge im Internet werden mit ausländischen Anbietern so gut wie nie geschlossen und Persönlichkeitsverletzungen im Netz mit Auslandsbezug gibt es ja so gut wie gar nicht.

Ein Hoch auf das Auswendiglernen

Der Einwand, die Staatsprüfung trenne die Ausbildung von der Prüfung und verursache damit Geistervorlesungen, weil die Examenskandidaten lieber sofort zum Repetitor gehen, soll doch nur das Versagen der Lehrenden verschleiern. Ein klassischer Fall von selbst schuld, wenn die nur auf dogmatische Glasperlenspiele fixierten Professoren didaktisch unfähig sind und schlecht unterrichten. Vorschlag: Sie sollten vielleicht besser für den Hörsaal ausgebildet werden. Oder besser noch: Die Juristenausbildung sollte zurückkehren in die Rechtspfleger-Schulen (oder doch lieber in die Fachhochschulen oder gleich ganz zum Repetitor?) und endlich vom unnötigen universitären Wissenschaftsballast befreit werden. Wer braucht denn bitte eine eigene Rechtswissenschaft, wenn doch bloß Rechtspraxis gefragt ist? Und überhaupt: Wozu noch juristisches Denken und Argumentieren? Alle Rechtsprobleme auswendig lernen, Pauken stupiden Repetitoriums-Wissens bis zum Abwinken heißt die Parole. Das reicht und ist mehr als genug. Die paar Gesetze, die kärgliche Literatur und die doch recht überschaubare Rechtsprechung, das schafft man doch mit links. Das haben wir Volljuristen schließlich auch alle geschafft. Deshalb darf der universitäre Pflichtstoff keinesfalls gekürzt werden. Wo bleibt denn sonst bitte die Verunsicherung der Kandidaten und das Geschäft mit der Angst?

Die Devise lautet "weiter so"

Auch die Forderung, das international allgemein anerkannte Prinzip der Einheit von Prüfung und Lehre einzuhalten, also nur denjenigen prüfen zu lassen, der auch lehrt - alles nur überflüssiger Kokolores. Wo kämen wir hin, wenn die Universitäten auch in der Rechtswissenschaft das prüfen, was sie lehren? Das wäre Gift für die hohen Abbrecher- und Durchfallquoten. Beim Staat allein muss die Prüfungskompetenz für das erste und zweite Examen auch in Zukunft bleiben. Nur damit ist dem öffentlichen Interesse an einer staatlichen Kontrolle der Juristenausbildung doppelt Rechnung getragen und das Allgemeinwohl durch eine funktionierende Rechtspflege gewährleistet. Alles andere wäre doch - wie die internationalen Erfahrungen zeigen - eine massive Gefährdung des guten deutschen Rechtssystems. Und so lautet die Devise immer "weiter so". Die 10 auf der Punkteskala ist ohnehin nicht zu toppen. Keine Reform der Juristenausbildung, keine Verkürzung der Ausbildung, keine Straffung des Stoffes, keine Anpassung an die Europäisierung und Internationalisierung des Rechts, keine Entstaatlichung und Deregulierung der Juristenausbildung. Kurzum: Der Jurist von heute braucht auch künftig die Juristenausbildung von gestern für eine moderne, digitale und internationale Welt von morgen. Oder sollte etwa alles nur eine grobe Fehleinschätzung sein? Der Autor Prof. Dr. Georgios Gounalakis ist Professor für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht, Rechtsvergleichung und Medienrecht an der Philipps-Universität Marburg.

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