LawWithoutWalls – frischer Wind in der Juristenausbildung

Will­kommen im Ideen-Inku­bator

von Dr. Micha-Manuel Bues, MJur. (Oxford)Lesedauer: 5 Minuten
Das amerikanische Uni-Projekt LawWithoutWalls macht Jurastudenten zu Gründern eines Startups und sorgt für Praxis in der Juristenausbildung. Auch deutsche Studenten können teilnehmen – und sollten das auch, meint Micha-Manuel Bues.

Die heutige Juristenausbildung in Deutschland basiert - von einigen kleinen Änderungen abgesehen - auf der preußischen Juristenausbildung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Während sich die Welt durch Elektrifizierung, Motorisierung und Digitalisierung seitdem erheblich gewandelt hat, trotzt die Juristenausbildung fast allen Veränderungen. Insbesondere die sich rasant entwickelnden digitalen Technologien, wie etwa Künstliche Intelligenz oder Big Data, lassen gar Unkenrufe nach dem "End of Lawyers" (Richard Susskind) lauter werden. Das mag übertrieben sein, aber viele Jurastudenten und auch Anwälte dürften das Gefühl kennen, durch Jurastudium und Referendariat nicht wirklich auf das Berufsleben im 21. Jahrhundert vorbereitet worden zu sein. Der Beruf des Juristen scheint aber - trotz voller Hörsäle und zwei herausfordernder Examina - immer noch genügend Anziehungskraft zu besitzen. Es gibt von Nachfrageseite wenig Druck zur Veränderung der Juristenausbildung. Ganz anders ist die Lage in den USA. Dort lässt sich bereits seit längerem der Trend beobachten, dass sich immer weniger Studenten an den Law Schools einschreiben. Dieser Trend ist für die amerikanischen Universitäten alarmierend, da sie als private Institutionen ihre Einnahmen über genügend eingeschriebene Studenten generieren müssen. Viele Law Schools denken deshalb darüber nach, wie sie das Studium für Studenten wieder attraktiv machen können. Es wird mit vielen Ideen experimentiert. Die University of Miami ist auf diesem Gebiet Vorreiter. Im Jahr 2011 hat Frau Prof. Michele DeStefano dort das mittlerweile etablierte Projekt LawWithoutWalls (LWOW) initiiert. Es ergänzt das überwiegend theoretische Jurastudium um praxisnahe Aspekte. Ziel ist es nach den Worten von Prof. DeStefano, die "Mauern (Walls) zwischen Jurastudium und Praxis einzuebnen."

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14 Wochen das volle Programm

LWOW kann man sich, vereinfacht gesagt, als einen "Startup-Inkubator" vorstellen, bei dem ver-schiedene Teams in 14 Wochen eine Geschäftsidee für die Rechtsbranche (Legal Startup) entwickeln und in ersten Schritten praktisch umsetzen. Häufig werden diese Geschäftsideen zusammen mit Firmen entwickelt, die für ein bestimmtes rechtliches Problem eine innovative Lösung suchen. Die Teams bestehen aus zwei bis drei Jura- oder BWL-Studenten sowie einem akademischen und wirtschaftlichen Mentor, einem Unternehmer sowie zwei Anwälten (Inhouse und Kanzlei). Die Mentoren bringen ihre Expertise aus ihren jeweiligen Fachgebieten (Technologie, Recht, Betriebswirtschaft, Finance und Unternehmertum) in das Team mit ein. Teilnehmen können auch nicht-amerikanische Jurastudenten, die für gewöhnlich von einer der 30 Partneruniversitäten aus aller Welt kommen. Im deutschsprachigen Raum sind die Bucerius Law School, die Universität Leipzig und die Universität St. Gallen entsprechend vernetzte Partneruniversitäten. Auch eine individuelle Bewerbung ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Der Auswahlprozess für LWOW ist streng. Prof. DeStefano sucht nach ambitionierten Studenten, die "energisch, kreativ, mutig, reflektiert sind und etwas verändern möchten." Die Veranstalter verwenden viel Mühe darauf, die richtigen Teilnehmer auszuwählen und die Teams zusammenzustellen. So muss beispielsweise jeder Teilnehmer einen Persönlichkeitstest absolvieren, der Hinweise darauf gibt, wo die individuellen Stärken und Charaktereigenschaften liegen.

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2/2: Raus aus der Komfortzone

Das Programm gliedert sich in drei Phasen: Jede Veranstaltung beginnt mit einer ein- bis zweitägigen Kickoff-Veranstaltung, in der die Studenten durch Vorträge, Übungen und bestimmte Aufgaben für Brainstorming, Unternehmertum, Teambuilding, Selbstreflektion, Präsentationsfähigkeiten und Networking sensibilisiert werden. Zusammen mit den Mentoren werden erste praktische Probleme in einer Art Mini-Hackathon gelöst und vor einer Jury präsentiert. In einem zweiten Schritt wird den Studenten über eine eigens entwickelte Videoplattform Wissen im Schnittbereich Recht und Technologie vermittelt. Anschließend an die Kick-off-Veranstaltung arbeitet jedes Team an der Erstellung eines Businessplans und der Ausarbeitung einer tragfähigen Geschäftsidee. Die gesamte Kommunikation findet dabei über das Internet statt. In einem letzten Schritt, dem sogenannten "Conposium", werden die fertigen Geschäftsideen und Prototypen vor einer Jury präsentiert, die die vorgestellten Startups bewertet, kritisiert und prämiert. Die Geschäftsideen, die im Rahmen von LWOW entwickelt werden beziehungsweise schon wurden, decken das ganze Spektrum von Problemen ab, die Juristen und Unternehmen im Zusammenhang mit Recht erleben. Die Themen reichen etwa von der Vermittlung von Anwälten über E-Learning und Online Dispute Resolution bis hin zu Kollaborationstools für Anwälte in Großkanzleien und Cybersecurity. Durch den bewusst problemorientierten und unternehmerischen Ansatz möchte LWOW Wissen und Fähigkeiten vermitteln, die in traditionellen Vorlesungen oder Unterrichtsformaten kaum gelehrt werden können. Es entsteht ein "learning on the job"-Erlebnis, weil die Jurastudenten zu Gründern werden und daher gezwungen sind, ihre Komfortzone zu verlassen. Die Studenten müssen ein hohes Maß an Fleiß, Motivation und Geduld aufbringen, um in vielen Gesprächen ein Problem wirklich zu durchdringen und hieraus eine tragfähige Geschäftsidee zu entwickeln. Erschwert wird die Umsetzung dadurch, dass die Teilnehmer aus aller Welt und unterschiedlichen Zeitzonen kommen. Frühes Aufstehen oder Nachtarbeit können erforderlich werden. Auch bieten unterschiedliche Kulturen, Kommunikationsstile und Mentalitäten viel Gelegenheit, interkulturelle Kompetenz, Kommunikations- und Projektmanagementfähigkeiten zu üben.

Feedback bekommen und Soft Skills ausprägen

Hierdurch sollen, wie es Prof. DeStefano im Gespräch mit LTO ausdrückt, "die Energie der Studenten angezapft und diese zu Problemlösern mit Wissen in den Bereichen Wirtschaft, Projektmanagement, Multitasking, kultureller Zusammenarbeit, Intrapreneurship, Networking, Unternehmergeist und Technologie (Legal Tech) ausgebildet werden." Bei LWOW wird beispielsweise viel Wert darauf gelegt, den Studenten umgehendes und ehrliches Feedback zu geben. Die Teilnehmer müssen damit aber nicht nur umgehen, sondern auch selber Feedback im Rahmen des Teams abgeben. Ein Hauptaugenmerk von LWOW ist es dabei, den Jurastudenten Fähigkeiten zu vermitteln, die diese in ihrem Berufsleben nutzen können, um mit den vielen Herausforderungen umzugehen, die sich in einer immer globalisierteren und technisierteren Welt stellen. Die bisherige Erfahrung aus dem Projekt zeigt, dass Studenten nach der Teilnahme viel bewusster ihren weiteren Ausbildungsweg planen. Die Teilnehmer können viel genauer abschätzen, wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Sie haben gesehen, was für eine gelingende Teamatmosphäre erforderlich ist und wie die Kommunikation über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg funktionieren kann. Eine derartige Horizonterweiterung stünde auch dem deutschen Juristennachwuchs gut zu Gesicht. In den ersten Studienjahren, in denen die Examensvorbereitung noch nicht das alles dominierende Thema ist, ließen sich derartigen Ergänzungen des Studiums auch sinnvoll integrieren. Ohne die gesamte Juristenbildung komplett auf den Kopf zu stellen, können Projekte wie LWOW helfen, Studenten darauf vorzubereiten, Anwälte im 21. Jahrhundert zu sein. Der Autor Dr. Micha-Manuel Bues, MJur. (Oxford), Anwalt und Legal Tech Experte, betreibt den Blog www.legal-tech-blog.de und ist Mentor bei LawWithoutWalls.

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