Was Examensprüfer verzweifeln lässt

The Good, The Bad and The Ugly

von Roland SchimmelLesedauer: 6 Minuten

Auch Prüfer sind (nur) Menschen – und von den immer gleichen Stilblüten, Dopplungen, Evidenzen und sonstigen Überflüssigkeiten in Examensklausuren genervt. Ein Klageruf und zugleich Stilratgeber von Roland Schimmel.

Niemand hat Mitleid mit Prüfern. Warum auch? In aller Regel prüfen sie freiwillig, meist werden sie dafür bezahlt, wenn auch eher dürftig. Und selbst, wer ahnt, dass diese Arbeit keine reine Freude ist, wäre im Zweifel doch lieber Prüfer als Geprüfter: I’d rather be a hammer than a nail.

Mit einem Prüferseufzer darf man also nicht auf viel Mitleid hoffen. Vielleicht aber immerhin auf ein bisschen Aufmerksamkeit. Denn wer sich die Klagen dieses Autors in der eigenen Bearbeitung zu Herzen nimmt, den erwartet zwar noch keine zauberhafte Verdopplung seiner Punktzahl, aber doch das bewusste oder unterbewusste Wohlwollen desjenigen, der über diese Punktzahl zu entscheiden hat.

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Unterirdische Überschriften: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht

Worüber also seufzen Prüfer? Reden wir nicht von den Aufmerksamkeitsverschleißerscheinungen, die mit Hunderten und Tausenden von "Laut Sachverhalt…" und "Dies ist hier der Fall" fast automatisch einhergehen, wenn der Stapel Prüfungsarbeiten etwas größer ist. Lassen wir ebenso beiseite die Modeerscheinungen, die hoffentlich wieder verschwinden werden, auch ohne dass man sie bejammern müsste, etwa die letzthin zu beobachtende rätselhafte Tendenz nicht eben weniger Kandidaten, "daher" durch "insofern" zu ersetzen, obwohl das beim besten Willen nicht gleichbedeutend ist.

Stattdessen werfen wir einen beispielhaften Blick auf eine über Jahre hinweg stabil bis steigend zu beobachtende Merkwürdigkeit, nämlich die Überschrift "5. Kausaler ersatzfähiger Schaden". Das ist noch in Staatsprüfungsklausuren erstaunlich verbreitet; in einem unlängst korrigierten Stapel etwa in gefühlten 74 und tatsächlichen 37 Prozent aller Arbeiten.

Merkwürdig ist schon, dass da überhaupt eine Überschrift steht, noch dazu eine nummerierte. So erfreulich die damit verbundene Leseerleichterung ist – glaubt jemand, jenseits von Hauarbeiten seien damit Punkte zu erzielen? Gerade bei den inhaltlich unproblematischen Normvoraussetzungen, die ganz zu Recht in einem Satz abgehandelt werden, wirken Überschriften eher irritierend. Spätestens wenn am Ende der Klausur der Bearbeiter erkennbar in Zeitnot geraten ist und entscheidende Punkte nicht mehr einsammeln konnte, wackelt der Leser mit dem Kopf. Das Weglassen der Überschriften unterhalb der Anspruchsebene bietet fast immer gefahrloses Potenzial zum Zeitsparen.

Ungenauigkeit und Redundanz

Schon die Rede vom "kausalen Schaden" schmerzt den Leser, auch wenn sich bereits der Bundesgerichtshof – bislang allerdings nur ein einziges Mal und inzwischen wohl verjährt – in diese Richtung schuldig gemacht hat (Beschl. v. 19.01.2006 - IX ZR 20/02). Denn dass der Schaden kausal – also: ursächlich – sei, ist reiner Unsinn. Im Gegenteil ist eine Pflichtverletzung oder eine unerlaubte Handlung kausal, nämlich für den Schaden. Die Bezeichnung kausaler Schaden dreht diesen Ursachenzusammenhang um. Juristisch betrachtet ist das schlicht falsch.

Beruhigend ist immerhin, dass bisher nur die Wortwahl unglücklich bis falsch ist, während den Kandidaten in der Sache klar ist, dass in der Ursachenkette nach dem Schaden nichts mehr kommt. Gelegentlich liest man Ausarbeitungen, in denen bei deliktischen Ansprüchen etwa nach § 823 I BGB die Überlegungen zum Schaden schon bei der Verletzung eines geschützten Rechtsguts angestellt werden. Dieser Fehler trifft aber allenfalls zufällig mit der Formulierung vom kausalen Schaden zusammen.

Ein sprachlicher Fehlgriff ähnlicher Prägung ist der "ersatzfähige Schaden". Er ist der kleine Bruder des zitierfähigen Lehrbuchs. Schrecklich. Der Schaden selbst ist schließlich zu gar nichts fähig; fähig sind nur Subjekte. Richtig würde es also eher heißen "ersetzbarer Schaden". Wenn der Duden das ersatzfähig aber billigt, wird es kein Korrektor als falsch bezeichnen dürfen. Aber wir halten für das Protokoll fest: Es geht eine Unterscheidung verloren, die offensichtlich einen Sinn hatte. Schade.

Offensichtlich keinen Sinn haben hingegen Mehrfachbeteuerungen wie etwa "…beruhte auch kausal auf der Pflichtverletzung". Würde sich die Aussage ändern, wenn man das "kausal" wegließe? Eher nicht, denn beruhen auf bedeutet doch recht eigentlich verursacht sein durch – oder?

Vom "kausalen Schaden" ist der Weg obendrein nicht mehr weit zur "haftungsbegründeten Kausalität". Sehen Sie den Unterschied zur "haftungsbegründenden Kausalität"? Sieht aus wie eine Kleinigkeit, deutet aber wieder auf die Verwechslung von Ursache und Wirkung.

Wider den Vorwurf der Spitzfindigkeit

All das sind keine Fehler reinsten Wassers, die den Prüfer zu sofortigem Punktabzug veranlassen würden. Aber sie trüben die Stimmung. In aller Regel handelt es sich übrigens nicht um beiläufige Schreibfehler. Fast immer tauchen die falschen Begriffe mehrfach hintereinander auf.  

Daran Anstoß zu nehmen, ist kein Ausdruck von Gehässigkeit oder Übergenauigkeit. Einfachste Ursachenzusammenhänge bekommt fast jeder in den Griff, auch Juristen. Wenn also in einer Lern- oder Prüfungssituation die Frage lautet "A sticht B mit dem Messer in den Arm; B blutet heftig", dann ist das Kausalitätsproblem nicht schwierig. Die echten Probleme sind aber oft kniffliger: "A produziert und vertreibt ein Lederspray; 23 % aller Benutzer erkranken und zeigen ähnliche Symptome, so auch B." Oder: "Gibt es Ursächlichkeitszusammenhänge zwischen Gewalttätigkeit/Gewaltbereitschaft  und dem Konsum von Gewaltdarstellungen in Kino und Videospiel? In welche Richtung verlaufen diese Beziehungen?"

Schwierige Fragen dieses Zuschnitts kann man nicht sinnvoll diskutieren und entscheiden, wenn schon die Begriffe unscharf verwendet oder verwechselt werden. Und wen das noch immer nicht überzeugt, der lese, was Bundesrichter Thomas Fischer unlängst in der Zeit zu dieser Frage schrieb:

Wer Jurist werden will, muss lesen und sprechen lernen, falls er/sie es nicht schon mag. Das einzige Hilfsmittel der Jurisprudenz ist die Sprache. Wer sie nicht mag, kann unmöglich ein guter Jurist werden. Wem es gleichgültig ist, wie Vorzeitigkeit ausgedrückt wird oder welche Bedeutungsfeinheiten der Konjunktiv in der Zeitenfolge, kombiniert mit Hilfsverben, bereit hält, der mag Currywürste verkaufen, mir aber nicht weismachen wollen, er habe verstanden, um was es geht. Wer nicht klar schreiben kann, der kann auch nicht klar denken. Das ist eine bittere, aber unabweisbare Erkenntnis.

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2/2: Doppelt gemoppelt quält besser

Ein anderer Frustrationstreiber sind Formulierungen im Stil von "Vorliegend liegt ein Sachmangel der Sache vor." Um Missverständnissen vorzubeugen: Auch dies entscheidet nicht über Gedeih und Verderb – aber kann zwischen zwei Noten womöglich den Ausschlag geben. Wenn man an "weichen" Faktoren wie der eigenen Handschrift schon nicht viel ändern kann, dann doch zumindest an der sprachlichen Gefälligkeit der Darstellung.

Statt "Vorliegend liegt ein Sachmangel der Sache vor" kann man auch schreiben "Das Fahrrad ist daher mangelhaft." Das ist etwas kürzer. Und es ist konkreter (Fahrrad statt Sache). Es ist sprachlich schöner, weil die doppelte Doppelung verschwindet (vorliegend liegt vor, Sachmangel der Sache). Zwar geht eine Information verloren (Sachmangel wird zu Mangel), aber das schadet kaum, solange es nicht um Rechtsfolgen geht, die nur bei Sach- und nicht bei Rechtsmängeln eintreten.

Um beim vorliegend noch einmal kurz stehenzubleiben: Hier liegen ästhetisches Verbesserungspotenzial, Kürzungsmöglichkeit und Prüferorientierung nahe beieinander. Im Einzelnen: Vorliegend (noch schlimmer: "im vorliegenden Fall" oder "vorliegend ergibt sich aus dem Sachverhalt, dass…") ist letzthin bei Studenten bis in die Staatsprüfung erstaunlich beliebt geworden. Man muss nicht lange suchen, um Klausuren zu finden, in denen das Wort je Seite viermal vorkommt. Das bedeutet hochgerechnet bei 50 Examensklausuren zu je 20 Seiten immerhin 4.000x "vorliegend" pro Klausurenpaket.

Mut zur Lücke: Es geht auch ohne "vorliegend"

Dabei ist das Wort fast immer überflüssig. Worum soll  es denn sonst gehen, wenn nicht um den vorliegenden Sachverhalt? Um einen gänzlich anderen? Muss man ausnahmsweise doch einmal den Fallbezug so deutlich signalisieren, genügt das Wörtchen "hier" vollkommen, das außerdem weniger beamtenhaft als "vorliegend" oder "im vorliegenden Fall" daher kommt.

Neben dem verbesserten Ton offenbart eine Radikalkur in Sachen "vorliegend" auch einiges Zeitsparpotenzial. Angenommen, auf jeder handschriftlichen Klausurseite stünde viermal "vorliegend". Das füllt bei halbwegs normaler Handschrift etwa eine Zeile (übrigens sind – handgezählt – über 60 vorliegend in einer Examensklausur nicht ungewöhnlich). Angenommen, alle "vorliegends" seien bei näherem Hinsehen entbehrlich, weil sie keine echte zusätzliche Information transportieren.

Dann wäre eine von etwa 29 Zeilen auf normalem Klausurpapier dadurch einzusparen. Das sind knapp 3,5 % des Texts. Nicht schlecht, für ein einziges Füllwort. Noch zwei mehr davon, und ein Zehntel des Platzes und der Zeit wird frei für Wichtigeres. Und sei es nur, dass man die Klausur souverän zu Ende schreibt, statt dass die in wachsender Panik dahingeworfene Handschrift auf den letzten Seiten zur mühsam modulierten horizontalen Linie verschwimmt.

Wäre das nicht eine angenehme Abwechslung? Für den Korrektor allemal.

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