Petition der Jurafachschaft Marburg

Gegen die Odyssee zum Prü­fung­sort

von Marcel SchneiderLesedauer: 4 Minuten
Bisher fand die mündliche Prüfung in Hessen an dem Ort statt, an dem der Kandidat auch studierte. Seit kurzem kann das Los darüber entscheiden, wohin der Prüfling muss. Die Marburger Jurastudenten gehen gegen diese Praxis in die Offensive.

"Wir wollen unsere mündliche Prüfung weiter in der Stadt ablegen können, in der sich auch unsere Universität befindet", sagt Leonid Syrota. Der 19-Jährige kümmert sich im Namen der Jurafachschaft Savigny von der Philipps-Universität Marburg um die Online-Petition gegen die neue Verwaltungspraxis des Hessischen Justizprüfungsamts (JPA). Danach bekommt zumindest ein Teil der Kandidaten für das erste Examen per Losverfahren eine der vier möglichen Städte in ganz Hessen für seine mündliche Prüfung zugewiesen. Mögliche Orte mit den entsprechenden Jura-Universitäten sind Marburg, Gießen, Frankfurt und Wiesbaden. Das Losverfahren fand auf den ersten Prüfungsdurchgang 2017, der aktuell seine mündlichen Prüfungen ablegt, bereits Anwendung. "Wir finden, dass dieses Vorgehen unzumutbar ist", sagt Syrota, "weil die mündliche Prüfung ohnehin eine besondere Stresssituation darstellt." Die Fachschaft hat das JPA deshalb in einem Brief aufgefordert, das Losverfahren wieder abzuschaffen. Eine Antwort blieb bisher aus. Gegenüber LTO bestätigte die Behörde auf Nachfrage den Eingang des Schreibens. Man habe aber "von einer Antwort abgesehen, da es sich bei der staatlichen Pflichtfachprüfung nicht um eine universitäre Prüfung handelt."

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Früh aufstehen oder auf eigene Kosten übernachten

In ihrem Brief bringen die Marburger Studenten zwei wesentliche Argumente vor. Erstens könne von den Prüflingen an einem sowieso schon strapazierenden Prüfungstag nicht zusätzlich erwartet werden, schon in aller Frühe - teils vor sechs Uhr morgens - mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch das halbe Bundesland zu reisen. Da "die Prüfungen bereits ab acht Uhr stattfinden", müssten die Studierenden sich "aufgrund eventueller Verspätungen der Busse und Bahnen" bereits in den sehr frühen Morgenstunden auf den Weg machen. Ein weiterer Umstand, den die Marbuger in ihrem Schreiben kritisieren: Je nach Wohnort fahren die öffentlichen Verkehrsmittel zu diesen Zeiten noch gar nicht, weshalb eine Abfahrt mit ausreichendem Zeitpuffer "sogar unmöglich" sein könne. Ein Teil der Prüflinge sei deshalb darauf angewiesen, sich bereits am Vortag ein Zimmer vor Ort zu nehmen. Dies sei aber, so das zweite Argument der Marburger, angesichts der typischerweise klammen Finanzlage von Studierenden eine unnötige zusätzliche Belastung. Die Übernachtung in ungewohnter Umgebung trage außerdem auch nicht gerade zur nervlichen Entspannung vor der wichtigen Prüfung bei.

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2/2: JPA: Distanzen in Hessen zumutbar

Das Problem ist nicht neu; auch in anderen Bundesländern nehmen sich Kandidaten gelegentlich ein Zimmer am Prüfungsort, um kein Risiko einzugehen. Nach einem viel diskutierten Urteil des Verwaltungsgerichts Minden bleiben die Kandidaten dabei regelmäßig auf den Übernachtungskosten sitzen. Im Falle eines Prüflings aus Nordrhein-Westfalen, der sich um 8.45 Uhr an seinem Prüfungsort im rund 200 Kilometer entfernten Düsseldorf einfinden sollte, genügte es den Richtern, dass er – zumindest rein theoretisch – mit Bus und Bahn zwar sehr knapp, aber zeitig zwischen 8.30 und 8.45 Uhr am Prüfungsort erschienen wäre – das Risiko einer Verspätung hätte er allerdings in Kauf nehmen müssen. Auf LTO-Anfrage entgegnete das Hessische JPA, dass es "die Fahrten zwischen den einzelnen Hochschulorten [für] zumutbar" hält. Insbesondere bei den Strecken Wiesbaden – Frankfurt, Frankfurt – Gießen und Gießen – Marburg handele es sich um Entfernungen, die viele Studierende, die nicht an ihrem Hochschulort wohnen, "ohnehin zurücklegen müssen." Für die längste der Strecken, Marburg – Wiesbaden, müssen Prüflinge rund 120 Kilometer weit fahren. Nach JPA-Angaben sind 139 Prüflinge, also etwa 50 Prozent aller hessischen Examenskandidaten des aktuellen Durchgangs, von der Durchmischung der Prüflingsgruppen nach dem Losverfahren betroffen.

Und warum das Ganze?

Die Einführung des Losverfahrens begründet das JPA gegenüber LTO so: "Nachdem der Koordinierungsausschuss der Justizministerkonferenz eine hochschulort-übergreifende Versendung der zu bewertenden Examensklausuren zwecks Vermeidung von hochschulortspezifischen Besonderheiten gefordert hat […], werden ab 2017 […] auch die mündlichen Prüfungen hochschulübergreifend organisiert." Anders ausgedrückt: Damit alle die gleichen Bedingungen in der mündlichen Prüfungen haben, werden die Kandidatengruppen durchmischt. Das JPA ergänzt, dass auch beispielsweise in Berlin und Nordrhein-Westfalen die Prüfungsgruppen hochschulübergreifend zusammengesetzt würden und das Losverfahren auch mit "dem Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Marburg […] erörtert" worden sei. *Update am Tag der Veröffentlichung, 16.54 Uhr:
Der Marburger Dekan, Prof. Dr. Michael Kling, bestätigt, dass die Angelegenheit mit ihm erörtert worden sei. Das heiße aber nicht, betonte er in einer Mail, die LTO nach der Veröffentlichung erreichte, dass er oder die Marburger Professoren das neue Verfahren guthießen. Vielmehr hätten er und eine Vielzahl seiner Kollegen "schwere Bedenken gegen die neue Prüfungspraxis zum Ausdruck gebracht" und diese mit Schreiben vom 1. Mai dieses Jahres gegenüber dem JPA-Präsidenten Helmut Vogt auch noch einmal schriftlich festgehalten. Kling betont ausdrücklich: "Wir ziehen mit den hessischen Studierenden, die als unmittelbar Betroffene aus naheliegenden Gründen von der 'Kinderlandverschickung' wenig halten, an einem Strang."

Gleiche Prüfungsbedingungen ja - aber nicht so

Die Kommentatoren, die die Petition bereits unterschrieben haben, überzeugt das Argument gleicher Prüfungsbedingungen nicht. Im Gegenteil, so der Tenor auf mittlerweile dreizehn Seiten Diskussion, würden nun gerade diejenigen benachteiligt, die einem fremden Prüfungsort zugelost werden, während andere Kandidaten derselben Prüflingsgruppe "Heimvorteil" genössen. Auch die Alternative, statt eines Losverfahrens zentral in Frankfurt prüfen zu lassen, findet Befürworter. Die Börsenstadt sei nicht nur gut erreichbar, sondern verfüge auch über die nötigen Räumlichkeiten an der städtischen Universität. Fest etabliert hat sich das Losverfahren offenbar noch nicht. Das JPA hat angekündigt, das Verfahren "im Sommer 2017" zu evaluieren und mit den Dekanen der Jurafakultäten zu erörtern. Die Petition der Marburger Studenten läuft unterdessen noch bis zum 22. Mai 2018.

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