Fehler im Jurastudium

Was ist eigent­lich "nicht ver­t­retbar"?

von Roland SchimmelLesedauer: 5 Minuten
Vom Anfang bis zum Ende der juristischen Ausbildung geht es darum, Fehler zu vermeiden. Dabei sind sie wichtig, um aus ihnen zu lernen. Roland Schimmel plädiert dafür, sich ganz systematisch mit ihnen zu befassen - und am Ende ein konsensfähiges Raster dafür zu schaffen, was falsch und was richtig ist in einem Studiengang, zu dem so manchem eher Willkür einfällt als Transparenz.

Anzeige

Die Rechtswissenschaft ringt um die richtigen Antworten auf abstrakte Rechtsfragen und um die richtige Entscheidung in realen Konflikten. Oft sind letztgültige Einsichten in "richtig" und "falsch" nicht zu haben. Zumindest in der juristischen Ausbildung laviert man daher gern mit dem Begriff "vertretbar". Wer je Kontakt mit der juristischen Prüfungspraxis hatte, weiß, dass in Prüfungsarbeiten oft der Schwerpunkt auf Beanstandungen des Typs "falsch" / "nicht vertretbar" liegt, nur selten auf "richtig!", "gut!" oder gar "richtig gut!". Bis dahin ist das eine Alltagsweisheit, mit der man sich als Lernender oder Lehrender im juristischen Studium früher oder später abfindet. Wie wird nun das Thema "Fehler im Jurastudium" zum Gegenstand einer ganzen Fachtagung mit prominenten Referenten und einer dreistelligen Teilnehmerzahl? Ganz von ungefähr kommt das nicht. Die Frage nach den Fehlern lässt sich nämlich auch als eine nach den Inhalten und Zielen juristischer Fachdidaktik stellen – und dieses Gebiet ist in der letzten Zeit erkennbar aus einem langen Dornröschenschlaf erwacht. Nachdem mit den reformfreudigeren 1970er Jahren auch das zeitweilig aufgeflammte Interesse an Didaktik weitgehend verschwunden war, haben sich überwiegend die jüngeren unter den juristisch Lehrenden in den letzten Jahren wieder vertieft damit befasst. Die institutionelle Verfestigung dieses Forschungsfelds zeigt sich etwa an den Universitäten Hamburg (Zentrum für rechtswissenschaftliche Fachdidaktik) und Passau (Institut für Rechtsdidaktik) sowie am Programm der Vereinigung Deutscher Rechtslehrender (Berlin), die ab 2011 ein Jahrbuch zur Rechtsdidaktik herausgeben will. Initiativ wurden dabei viele Fachhochschulprofessoren in den Rechtsfächern.

Warum auf Fehler fokussieren?

Die Befassung mit Fehlern ist aus didaktischer Perspektive sogar ausgesprochen vielversprechend. Unterstellt man einmal, die Korrektoren von Prüfungs- und Übungsarbeiten müssten die Mühe auf sich nehmen, Fehler der Bearbeiter/innen systematisch qualitativ und quantitativ zu erfassen, läge in diesen Informationen großes Potential. Es ließen sich dann belegbare Aussagen darüber treffen, wo die typischen und verbreiteten Schwächen juristischer Argumentation liegen. Ein paar übliche Verdächtige kennt, wer schon einmal korrigieren durfte: Nichteinhaltung des Gutachtenstils, Nichtlesen des Gesetzes, Nichtverstehen des Gesetzes (Wortlaut, Systematik, Sinn), logische Brüche, inhaltliche Widersprüche, schlechte Schwerpunktsetzung, kreative Veränderung oder unvollständige Lektüre des Sachverhalts usw. Gelingt es, solche Fehler systematisch zu ordnen, lässt sich die Anschlussfrage nach den Ursachen und Vermeidungsstrategien stellen. Spätestens hier wird klar, dass es mit Sorgfalt bei der Konzeption eines Prüfungsfalls nicht getan ist. Vielmehr muss eine gute juristische Ausbildung in den Blick nehmen, welche Fehler Lernende typischerweise machen. Nur so sind alle Beteiligten wirkungsvoll dafür zu sensibilisieren, wie man sie vermeidet.

Das Ideal: Ein einheitlicher, konsensfähiger Fehlerbegriff

Letztendlich liegt es nicht nur im individuellen Interesse des Lernenden, der eine gute Note auf seine Prüfungsleistung erhofft, Fehler zu vermeiden. Wichtiger ist das gesellschaftliche Interesse an Juristen, deren Alltagsleistungen mindestens so fehlerfrei sind, dass sie nicht in der Revisionsinstanz kassiert werden. Hinzu kommt ein Rationalitätsgewinn im täglichen Prüfungsgeschäft: Welches Gewicht einem bestimmten Fehler zukommt, sollte in einem transparenten und rechtsstaatlich kontrollierten Prüfungswesen nicht ausschließlich (wie so oft) der jeweilige Korrekturassistent ad hoc entscheiden. Schon wegen der großen Auswirkungen der Noten auf die Berufschancen der juristischen Absolventen müssen diese verlangen können, dass es ein möglichst einheitliches konsensfähiges Raster gibt, anhand dessen entschieden - und nötigenfalls gerichtlich revidiert - werden kann, was als Fehler gelten muss und mit wie schweren Folgen.

Keine Angst vor Fehlern

Die Justizprüfungsämter verwenden hierauf große Mühe; aber selbst umfangreiche „amtliche“ Lösungshinweise sind oft von Perfektion noch ein gutes Stück entfernt. Hier tut wissenschaftliche Vertiefung Not, auch wenn man von dieser nicht auf kurze Sicht massive Rationalitätsgewinne im Prüfungswesen wird erwarten können. Vor diesem Hintergrund wundert das lebhafte Interesse von Studierenden und Professoren, Vertretern der Prüfungsämter, Repetitoren und Rechtsanwälten an der erwähnten Tagung in Passau kaum. Es lässt hoffen, dass die Fokussierung auf Fehler nicht Juristen hervorbringt, die wie das Kaninchen auf die Schlange starren, sondern solche, die sich neugierig mit dem eigenen Denken und Argumentieren befassen. Und dabei einigermaßen angstfrei die Möglichkeit zulassen, Fehler zu machen, aus denen man bestenfalls ja auch lernen kann. Nicht zu übersehen ist indes, dass es arbeits- und diskussionsintensiv ist, sich systematisch mit juristischen (Denk-)Fehlern zu befassen und damit vielleicht sogar eine einheitliche Handhabung im Prüfungsalltag im Auge zu haben. Davon kann schon ein Lied singen, wer nur einmal 400 Drittsemesterklausuren auf typische Fehler hin ausgewertet hat. Wenn das Thema nun also mit juristischer Gründlichkeit entfaltet und abgearbeitet wird, wird darauf einige Mühe zu verwenden sein. Vielleicht wird dies ein typisches Forschungsfeld gerade für die in den letzten Jahren berufenen Lehrprofessoren werden.

Fehler im Ausbildungssystem?

Einen zweiten Schwerpunkt der erwähnten Tagung bildete die Frage nach konzeptionellen Fehlern des Jurastudiums. Insbesondere das Schwerpunktbereichsstudium ist nach dem kritischen Urteil von Lernenden und Lehrenden nicht an allen Universitäten gut in den Studienverlauf integriert. Damit ist ein Bogen geschlagen zum Dauerthema "Reform der Juristenausbildung", das in den letzten Jahren überwiegend von Abwehrschlachten gegenüber dem Bologna-Prozess geprägt ist. Diskussionen entzündeten sich auch an der pointiert formulierten Frage, ob nicht die klassische große Vorlesung ein überholtes und daher heute verfehltes Element des Studiums sei. Ähnlich kontrovers mag man beurteilen, ob das nicht nur beim Repetitor geübte Auswendiglernen- und Reproduzierenlassen von Streitständen in Prüfungen nicht geradezu einen Kardinalfehler des aktuellen Konzepts eines zielführenden Jurastudiums darstellt. Spätestens hier wird deutlich, dass man sich der Zwecke des juristischen Studiums wieder vergewissern muss. Die in den Juristenausbildungsgesetzen der Länder formulierten Ziele sind zwar in ihrer Kürze ziemlich leicht konsensfähig. Sie erlauben aber eben auch sehr unterschiedliche Interpretationen der Frage, welche Wissenbestandteile und welche Fer-tigkeiten denn am Studienende vorhanden sein müssen. Die von der Didaktik der Rechtswissenschaften aufgeworfenen Fragen gehen also schnell ins sehr Grundsätzliche. Im besten Fall werden von hier aber auch Impulse für die fortwährende Reformdebatte zu erwarten sein. Lektüretipps:
  • Auch als beispielhafte Einführung in die aktuelle Diskussion lesbar ist: Cornelius Trendelenburg: Relevanzstrukturen strafrechtlicher Fallbearbeitung – zugleich ein Beitrag zur Hochschulfachdidaktik der Rechtswissenschaft, in: Rechtswissenschaft 2011, 357 ff.
  • Der Sammelband mit den Referaten der erwähnten Tagung ist für 2012 angekündigt.
  • Wer sich informieren will, zu welchen Erkenntnissen das Konzept "Lernen aus Fehlern" schon vor Jahrzehnten imstande war, greife zu Christoph Gramm (Hrsg.): Kleine Fehlerlehre für Juristen nach Dr. Julius Knack, Baden-Baden 1989.
Der Autor Roland Schimmel ist Rechtsanwalt und lehrt an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Mehr auf LTO.de: Recherche im Jurastudium: Bessere Noten mit besseren Suchmaschinen-Strategien Berufsperspektiven ohne juristisches Staatsexamen: Wie ein Friseur mit Haarspray-Allergie

Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.

Thema:

Jurastudium

Verwandte Themen:
  • Jurastudium
  • Referendariat
  • Repetitorium

Teilen

Ähnliche Artikel

Newsletter