Mit Jura nach … Bogotá

Die Stadt der Frühaufsteher

von David SteimleLesedauer: 6 Minuten
Wer über das Ziel eines längeren Auslandsaufenthalts nachdenkt, dem fällt Kolumbien sicher nicht als Erstes ein. Dessen Ruf ist hierzulande geprägt vom Drogenhandel, Guerillakämpfen und Entführungen. David Steimle hat sich von Vorurteilen nicht abschrecken lassen und das andere Kolumbien kennen gelernt. Das ist authentisch, gerade weil sich kaum ein anderer Gaststudent dorthin verirrt.

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"Colombia, el riesgo es que quieras quedar", zu deutsch: "Kolumbien, das Risiko besteht darin, dass Du bleiben möchtest"; als ich vor dem Start meines einjährigen Auslandsstudiums in Bogotá im Wartezimmer des kolumbianischen Konsulats in Frankfurt saß, um mein Visum zu beantragen las ich diesen Werbeslogan. Ein Jahr Kolumbien, ein Jahr Bogotá, ein Jahr Lärm, Abgase und ein öffentliches Verkehrssystem, das aus allen Nähten platzt  - eine Stadt mit knapp sieben Millionen Einwohnern und ich mitten drin. Pablo Escobar, Koks und Gewalt – wer an Kolumbien denkt, denkt an Kriminalität. Diese Vorurteile tun dem Land nach meinen Erfahrungen absolut Unrecht. Dennoch kann ich nicht leugnen, dass ich anfangs zweifelte: Mein Jura-Studium zu unterbrechen, um ein Jahr kolumbianisches Recht zu lernen, das grob ausgedrückt, den Studienfortschritt in Deutschland nicht wesentlich fördert? Kann das eine gute Idee sein? Dass ich den Schritt trotzdem wagte statt den bequemeren Weg ins europäische Ausland zu gehen, hatte vor allem zwei Gründe. Erstens kommt man sehr schnell mit den einheimischen Studenten in Kontakt, denn als Austauschstudent in Kolumbien ist man ein bunter Hund: An meiner Gast-Fakultät sind wir genau zwei Ausländer. Zweitens wollte ich eine ganz neue Kultur so kennen lernen, wie es in den festen Strukturen eines Erasmus-Austauschs wahrscheinlich nicht möglich wäre.

Ein Wiedersehen mit Roxin

Wenn New York die Stadt ist, die niemals schläft, dann ist Bogotá, die Stadt, die am frühsten aufsteht.  Die Vorlesungen beginnen um 7 Uhr morgens – zuhause würde ich mich um diese Zeit nochmal im Bett umdrehen. Und wenn der deutsche Otto-Normal-Student dazu geneigt ist, die erste Veranstaltung hin und wieder sausen zu lassen,  ist das hier nicht möglich. Anwesenheit ist Pflicht. Meinen Weg zur Uni kann ich zwar zu Fuß zurücklegen, doch auch kurze Entfernungen sind in Bogotá ein Abenteuer. Auf den Straßen herrscht das Recht des Stärkeren. Keiner nimmt Rücksicht auf Fußgänger oder Radfahrer; Motorrad-Fahrer drängeln auf dem Mittelstreifen zwischen den Autos hindurch; über allem tönt eine Kakophonie aus Hupen und heulenden Motoren. Die Mehrheit der kolumbianischen Universitäten haben private Träger. Es gibt keine Massenhörsäle wie in Deutschland, man lernt in kleinen überschaubaren Gruppen, in denen jeder jeden kennt. Die Professoren stehen in engem Kontakt mit den Studierenden, verteilen ihre Handy-Nummer und haben nichts gegen einen Anruf. Im vergangenen Semester habe ich kolumbianisches Verfassungsrecht, Menschenrechte mit Bezug zu Südamerika sowie die Vorlesung Staats- und Verfassungstheorie gehört. In diesem Semester stehen auf dem Stundenplan: kolumbianisches Arbeitsrecht, kolumbianisches Verwaltungsrecht und das Fach Bioethik und Recht. Die Dozenten sind sehr interessiert an mir, beziehen mich oft mit ein und suchen den Vergleich mit Deutschland. Verständigungsprobleme habe ich kaum, nachdem ich vor allen in den ersten Monaten große sprachliche Fortschritte gemacht habe. Das Spanisch Bogotás ist klar und ohne Akzent, was vieles einfacher macht. Die Forschung deutscher Rechtswissenschaftler ist auch Gegenstand der Vorlesungen in Kolumbien. Vor allem im Strafrecht ist der Name Roxin allgegenwärtig und die Kodifikation des kolumbiansichen Strafrechts ähnelt sehr der deutschen.

Ausflug in die gringo-freie Zone

Bogotá ist eine Stadt der Kontraste. Während ich gemütlich in einem schicken Restaurant esse, durchwühlt der Obachlose draußen vor dem Fenster Müllsäcke. Viele meiner Kommilitonen wohnen im schickeren Norden der Stadt, in Wohnanlagen sicher abgeschottet durch hohe Mauern. Im Süden der Stadt liegen die Häuser der Armen – dieser Teil der Stadt bleibt Touristen verborgen. Ich wohne in einer ruhigen Gegend Bogotás, keinesfalls arm und auch nicht superreich, irgendwo dazwischen, zu einem angenehmen Mietpreis. 24 Stunden täglich, sieben Tage die Wochen, hüten zwei "Porteros" (Pförtner) im Wechsel die Eingangstür. Alexi, einer der beiden, will mir mit seinem Motorrad das andere Bogotá zeigen. Den Süden. Alleine würde ich mich nicht hintrauen. Ein "Gringo" hat dort nichts zu suchen. Die Straßen werden holpriger, manche Gestalten am Straßenrand immer unheimlicher. Nichts mehr sieht man von modernen Einkaufshäusern und Restaurants. Behütet von der starkbefahrenen Schnellstraße brettern wir mit 80 km/h stadtauswärts. Immer wieder hält Alexi an, erklärt mir den Namen des Stadtviertels und welches Klientel da wohnt. Wir sind nach seiner Aussage im ärmsten "Barrio" (Stadtviertel) angekommen. "Banden gibt es hier", erzählt er mir. Die Gehwege sind dreckig und die Grünflächen vermüllt. Gefährlich wird es auf diesem Ausflug zwar nicht. Dennoch, während wir im Zick-Zack-Kurs auf dem Nachhauseweg ein Auto nach dem anderen überholen, stimmen mich die krassen Kontraste der Stadt und die ungewohnte Nähe zur Armut nachdenklich. Hatte das Werbeplakat damals im Wartezimmer in Frankfurt recht? Will ich gar nicht mehr weg aus Kolumbien? Für eine finale Antwort ist es noch zu früh. Noch vier Monate werde ich hier verbingen. Eines kann ich jetzt schon sagen: Das Risiko hierherzukommen hat sich gelohnt.

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Wie man am besten hinkommt

Flüge ab Deutschland gibt es ab Frankfurt, entweder bequem per Direktflug nach Bogotá, oder z.B. über Madrid oder die Vereinigten Staaten. Früh buchen lohnt sich, denn man kann ein bisschen Geld sparen.

Wo man wohnen kann

Wohnen kann man in Bogotá grundsätzlich überall und überall kann man auch die "Zu-vermieten"-Schilder in den Fenstern sehen. Als Ausländer ohne Arbeitsvertrag muss man in der Regel einige Monatsmieten als Sicherheit hinterlegen. Eine günstige Option ist ein Zimmerchen im Haus einer älteren Dame. Kochen, Putzen und Waschen übernimmt in solchen Unterkünften in der Regel die Vermieterin. Nachteil dabei ist, dass Besuche von Freunden meist nicht erlaubt sind. Studentenwohnheime, wie in Deutschland gibt es in Bogotá nicht.

Was es kostet und wie man das bezahlen kann

Das Leben ist günstiger als in Deutschland, aber geschenkt bekommt man auch in Bogotá nichts. 500 bis 600 Euro sollte man für Miete, Transport, Lebensmittel und Freizeit monatlich veranschlagen, dazu kommen in den Anfangsmonaten einige einmalige Anschaffungen. So muss man beispielsweise den Ausländerausweis für ca. 75 Euro beantragen, sich einen Drucker zulegen oder das kaufen, was in der Küche noch fehlt. Einen Studenten-Tarif der öffentlichen Verkehrsmittel gibt es nicht. Zwar kostet die Einzelfahrt nur ca. 0,70 Euro, doch die Fahrtkosten läppern sich. Mit 30 bis 40 Euro pro Monat muss man rechnen, um von A nach B zu kommen. Stipendien vergibt der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), in Baden-Württemberg die Baden-Württemberg-Stiftung und es gibt eine Förderung durch Auslands-BAföG.

Woran man sich als deutscher Jurist erstmal gewöhnen muss

Die Kommilitonen in den Anfangssemestern sind deutlich jünger. Es ist keine Seltenheit, dass man mit 16- oder 17-Jährigen in der Vorlesung sitzt. Die Universität beginnt, wenn man Pech hat, schon um 7.00 Uhr morgens. Das Studium ist weniger "gesetzeslastig" und man beschäftigt sich mehr mit Grundlagenfächern.

Was man in der Freizeit machen kann

Bogotá ist mit Sicherheit nicht die touristischte Stadt Kolumbiens. Aber das kulturelle Angebot und das Nachtleben in Bogotá bietet für jeden Geschmack etwas und auch für jede Preisklassen. Zur Nachtzeit eher etwas gefährlicher, aber mit einem sehr schönen Flair ist die "Candelaria" bzw. die historische Altstadt. Bier für weniger als einen Euro und Salsa satt gibt es die ganze Nacht.  Auf jeden Fall muss man "Cerro de Monserrate" besucht haben. Auf 3.150 Metern hat man bei klarer Sicht einen atemberaubenden Ausblick auf Bogotá und kann sehen wie weit sich die Südamerika-Metropole erstreckt.

Was man unbedingt probieren sollte

In der "hora pico" (Rush Hour) die Transmilenio, das Bussystem in Bogotá, benutzen und versuchen, Leuten den Weg aus dem unglaublichen vollen Bus zu ermöglichen, indem man selbst mit aussteigt, um anschließend zu sehen, wie der Bus einem vor der Nase wegfährt.

Was man unbedingt mitbringen sollte

Geduld. German Pünktlichkeit gibt es hier nicht.

Was man unbedingt gesehen haben muss

Die Busfahrer Bogotás, die während sie das Geld für die Fahrt kassieren, den Bus steuern, telefonieren, hupen und das Wechselgeld zusammensuchen und manchmal sogar noch den Radio-Sender wechseln.

Empfehlen kann ich die Stadt und das Land jedem, der...

... bei seinem Auslandsstudium ausschließlich Spanisch sprechen möchte. ... trotz deutscher Hüftsteifheit auch mal über seinen Schatten springt und versucht Salsa zu tanzen. ... genug Durchhaltevermögen besitzt, um sich durch kolumbianische Universitätsverwaltung durchzufragen und dabei hartnäckig zu bleiben.

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