Die juristische Presseschau vom 6. bis 8. Juli 2013: Adenauer für NSA - Lammert zu BVerfG-Gestaltungsehrgeiz - Todesstrafe in Bayern?

08.07.2013

Gibt es tatsächlich gültige Rechtsgrundlagen für die NSA-Spionage in Deutschland? Schützen amerikanische "Whistleblower"-Gesetze Snowden nicht? Außerdem in der Presseschau: Entscheidungsmarathon im Bundesrat, Middelhoff verklagt Sal. Oppenheim, Zinswetten sind sittenwidrig, Angehörige als Kollateralschaden von Daueroberservationen und wie "Der Ritter der Kokosnuss" heute nochmal richtig Geldsegen bringt.


Legale US-Spionage?: Auf der Grundlage des Buches "Überwachtes Deutschland" des Freiburger Historikers Josef Foschepoth berichtet die FAS (Thomas Gutschler/Markus Wehner) ausführlich über mögliche Rechtsgrundlagen aus der "alten Bundesrepublik" für eine Ausspähung durch US-Geheimdienste in Deutschland. So konnten nach einem Verwaltungsabkommen von 1968 Geheimdienste der drei Westmächte den BND und Verfassungsschutz um Aufklärungsmaßnahmen ersuchen bzw. deren Abhörergebnisse bekommen, wenn dies im Interesse der Sicherheit von US-Streitkräften ist. Auch habe der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) den Alliierten bereits 1954 "brieflich bekräftigt" im Falle einer Bedrohung ihrer Streitkräfte "angemessene Schutzmaßnahmen" zu ergreifen. Dazu gehörte auch die Überwachung des in- und ausländischen Post- und Telefonverkehrs. Dies sei später in einer "Verbalnote" zum G-10-Gesetz bekräftig worden, so die FAS weiter. Die Montags-taz (Christian Rath) macht dies zum Thema des Tages - "Überwachung dank Konrad Adenauer" - und erläutert: Habe die NSA selbst auf deutsche "Internetknoten" zugegriffen, tauge jedenfalls die Verwaltungsvereinbarung nicht als Rechtsgrundlage, die sehe ja gerade den Datenabgriff durch deutsche Geheimdienste vor.

Leutheusser-Schnarrenberger zu Geheimdienstkontrolle: Im Interview mit dem Spiegel (Klaus Wiegrefe) spricht Claus Arndt (SPD), ehemaliger Bundestagsabgeordneter und jahrzehntelang Mitglied der G-10-Kommission, über die hohe Zahl an Anträgen von US-Behörden bei deutschen Stellen, Daten abzufangen und herauszugeben.

In der Wochenend-taz (Astrid Geisler) findet sich ein Beitrag zur kritischen Betrachtung der Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums. So nannte etwa der ehemalige BGH-Richter, Linken-Abgeordnete und heute parteiloser Abgeordnete Wolfgang Neškovic das Gremium "erbärmlich". In den Sicherheitsbehörden würden die Sitzungen der Geheimdienstkontrolleure auch "Märchenstunde" genannt, so die taz weiter.

Mit der Samstags-SZ (Heribert Prantl/Wolfgang Janisch) spricht Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) über die anstehenden Gespräche mit den USA zum transatlantischen Freihandelsabkommen. Die Verhandlungen müssten auf den Prüfstand, wenn die USA nicht bereit seien, ihre Spionage-Aktivtäten aufzudecken. Auch strafrechtliche Ermittlungen dürften keinesfalls "von vornherein" ausgeschlossen werden. Weiter geht es um die anstehenden Verhandlungen am Europäischen Gerichtshof zur Vorratsdatenspeicherung, die Notwendigkeit einer Experten-Taskforce in der Bundesregierung und die fehlende gerichtliche Kontrolle deutscher Geheimdienste. Letzteres würde ausgeglichen durch das Parlamentarische Kontrollgremium und die G-10-Kommission, so die Ministerin.

Snowden Held oder Verräter?: Ob Edward Snowden ein Held oder Verräter ist, richtet sich nach dem "Whistleblowing Protection Act" von 1989 und dem "Espionage Act" von 1917, informiert die Montags-FAZ (Majid Sattar) und erläutert die Praxis der Strafverfolgungsbehörden, die sich im Fall Snowden für eine Anklage entschieden; es drohten bis zu 30 Jahre Haft.

Der Spiegel veröffentlicht ein Interview Edward Snowdens mit der Dokumentarfilmerin Laura Poitras und dem amerikanischen Chiffrier-Experten Jacob Appelbaum, entstanden kurz vor Beginn des Skandals. Dazu spiegel.de.

Weitere Themen – Rechtspolitik

"Reform" Verfassungsschutz: Bei seinen beiden Aufgaben, Extremismusbekämpfung und Spionageabwehr, habe der Verfassungsschutz versagt. Die einzige sinnvolle Reform sei daher seine Abschaffung, so Christian Bommarius im Samstags-FR-Leitartikel.

Bundesrat – Entscheidungs-Marathon: Über die Entscheidungen der letzten Bundesratssitzung am Freitag berichtet die Samstags-FAZ (Günter Bannas) unter dem Titel "Bund und Händler" u.a. über die Billigung des Atom-Endlager-Suchgesetzes, der Flutopferhilfe und des europäischen Fiskalpaktes. spiegel.de stellt die 13 "wichtigsten Entscheidungen" im Überblick vor, darunter die Drei-Prozent-Hürde für Europawahlen, das Ehegattensplitting für die eingetragene Lebenspartnerschaft, die "vertrauliche Geburt", die Anhebung einiger Gerichtsgebühren und die Einschränkung der Prozesskostenhilfe sowie die gesonderte Strafbarkeit der Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen.

Die vorgesehene Neuerung in § § 226a Strafgesetzbuch betrachtet kritisch Bettina Winsemann (telepolis.de) mit Blick auf die unterschiedliche Diskussion der männlichen und weiblichen Beschneidung bzw. Genitalverstümmelung.

Vorratsdatenspeicherung: Den Kurswechsel Horst Seehofers (CSU) beim Thema Vorratsdatenspeicherung beschreibt der Spiegel (M.Amann/P. Müller/J. Schindler): Der NSA-Skandal sei Seehofers Fukushima. Der Datenschutz solle mehr Gewicht erhalten, die CSU-Spitze sei gar bereit, Vorschläge der "Intimfeindin Leutheusser-Schnarrenberger" zu prüfen. Dazu bereits spiegel.de (A.Meiritz/P. Müller/Ph. Wittrock).

Lammert-Interview: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) spricht mit der Welt am Sonntag (Robin Alexander/Karsten Kammholz) über die deutsch-amerikanischen Beziehungen und das geplante Freihandelsabkommen vor dem Hintergrund des Spionage-Skandals. Weitere Themen sind die vergangene Legislaturperiode, Politikerrücktritte, der "Gestaltungsehrgeiz" des Bundesverfassungsgerichts und das neue Bundestagswahlrecht.

Hartz-IV-Regelsätze: "Menschenwürde ist schwer zu zählen", verfassungsrechtlich bedenklich können aber etwa Streichungen bei der Hartz-IV-Regelsatz-Berechnung sein, die den Konsum von Gütern in sozialer Gemeinschaft betreffen. So das Fazit Franz Dillmanns (lto.de) zur Debatte um Regelsätze, Statistiken und die Menschenwürde. Dillmann erläutert noch einmal die entsprechenden Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die legislativen Bemühungen zur Umsetzung in Form des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und die Bestätigung durch das Bundessozialgericht. Anlass ist eine kritische Studie der Böckler-Stiftung zur Höhe des Eckregelsatz und den Berechnungsgrundlagen.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 6. bis 8. Juli 2013: Adenauer für NSA - Lammert zu BVerfG-Gestaltungsehrgeiz - Todesstrafe in Bayern? . In: Legal Tribune Online, 08.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9092/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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