Die Bundesregierung untersagt einen Auftritt Erdoğans in Deutschland. Außerdem in der Presseschau: Kommt die "Ehe für alle" nur mit Grundgesetzänderung? Hasenfüßigkeit bei Protestcamp-Beschluss? Das BSG urteilt zu Elterngeldberechnung.
Thema des Tages
Erdoğan-Auftritt: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wird am in der kommenden Woche tagenden G-20-Gipfel in Hamburg teilnehmen, eine Großveranstaltung mit ihm am Rande des Gipfels wird aber nicht stattfinden. Wie u.a. taz (Tobias Schulze) und SZ (Stefan Braun/Luisa Seeling) berichten, habe die Bundesregierung eine offizielle Anfrage des türkischen Politikers abschlägig beschieden. Nach Darlegung des Bundesaußenministers Sigmar Gabriel (SPD) sei ein solcher Auftritt "angesichts der Konfliktlage" in der Türkei nicht angemessen.
Im Leitartikel begrüßt es Torsten Krauel (Welt), dass es in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum gescheiterten Putsch "auf deutschem Boden keine Jubelveranstaltung" geben werde. Der 15. Juli sei "zugleich der erste Jahrestag der Aufhebung etlicher Freiheiten" und tausender Verhaftungen in der Türkei. Berthold Kohler (FAZ) meint, gleichfalls im Leitartikel, dass "Hassprediger", hier nichts zu suchen hätten, gleich, "ob sie als Flüchtlinge kommen oder als Präsidenten". Heribert Prantl (SZ) schließlich erinnert an das Schicksal Deniz Yücels, der nach wie vor als "Geisel" gehalten werde. Eine Auftrittserlaubnis unter diesen Umständen wäre nicht nur "ein Akt der Souveränitätsberaubung", sondern auch "unverständlich und skandalös, eine Beihilfe zu Freiheitsberaubung und Geiselnahme". Auch aus juristischen Gründen müsse der Auftritt abgelehnt werden.
Rechtspolitik
"Ehe für alle": Vor der für den heutigen Freitag anberaumten Bundestagsabstimmung über die Ausweitung der Ehe auf homosexuelle Heiratswillige schreibt die taz (Jörg Wimalasena), dass der geschlossene Block der Unionsabgeordneten die Aufnahme der Gesetzesvorlage in die Tagesordnung verhindern könnte. Zudem seien Normenkontrollanträge beim Bundesverfassungsgericht denkbar. Die FAZ (Alexander Haneke/Helene Bubrowski) geht auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lebenspartnerschaftsgesetz ein. Das Karlsruher Gericht hatte 2002 die Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner als "Wesensmerkmal" der Ehe bezeichnet. 2013 sei dagegen auch homosexuellen Partnern zugestanden worden, Familie im Sinne des Artikel 6 Grundgesetz zu sein. Privatdozent Matthias Hong legt auf verfassungsblog.de dar, dass die Verfassung die Ehe für alle nicht nur nicht verhindere, sondern wegen ihres Gleichheitsversprechens sogar verlange.
Dieser Einschätzung widerspricht Reinhard Müller (FAZ) im Leitartikel des Blatts. Das Grundgesetz gehe beim Institut der Ehe von der Verbindung von Mann und Frau aus. Bei einer Änderung im Ausmaß einer "gesellschaftlichen Umwälzung" sei der verfassungsändernde Gesetzgeber gefragt, die von den Abgeordneten zu entscheidende Gewissensfrage tatsächlich "die Neufassung eines Fundaments des Gemeinwesens". Kritisch mit den Motiven des vermeintlichen Meinungswandels der Bundeskanzlerin setzen sich Robert Roßmann (SZ) und Stefan Niggemeier (spiegel.de) auseinander.
Raser: Ein am gestrigen Donnerstag vom Bundestag beschlossener § 315d Strafgesetzbuch bedroht die Teilnahme an Autorennen auf öffentlichen Straßen mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. Eine kurzfristige Ergänzung des bisherigen Entwurfs stellt zudem auch das rücksichtslose Fahren zum Zwecke einer höchstmöglichen Geschwindigkeit unter Strafe. Die taz (Christian Rath) berichtet.
NetzDG: Aus Anlass der am heutigen Freitag anstehenden Bundestagsabstimmung zum Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes bringt Jan Fleischhauer (spiegel.de) in einer Kolumne seinen "Respekt" vor Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) zum Ausdruck. Es sei erstaunlich, welch breiten Widerstand das vom Minister in Gang gebrachte Gesetz erfahre, dabei begründe es offenkundige und für andere Medien als Facebook längst selbstverständliche Pflichten.
Vorratsdatenspeicherung: Christian Rath (taz.de) kommentiert, dass die faktische Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung durch die Bundesnetzagentur mit Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) abgestimmt war, was die CDU/CSU kritisiere. Die SPD setze hier aber nicht ihre Agenda gegen die Union durch, da sie meist für die anlasslose Speicherung war. Er fordert die SPD auf, nun wenigstens dafür zu sorgen, dass die EuGH-Rechtsprechung in Deutschland anerkannt wird.
Justiz
EuGH zu DB-Strukturen: Die Bundesrepublik hat gegen Richtlinien-Verpflichtungen zu Eisenbahnunternehmen verstoßen. Hierdurch wurde die Bestimmung, inwieweit Gewinnübertragungen von Infrastrukturtöchtern der Deutschen Bahn auf den Mutterkonzern öffentliche Gelder enthielten, unmöglich gemacht. Dies stellte der Europäische Gerichtshof in seinem stattgebenden Urteil zu einem von der EU-Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren fest. Rechtsprofessor Urs Kramer stellt auf lto.de die Entscheidung einschließlich der klageabweisenden Teile vor, führt dabei auch in die zugrunde liegende Rechtsproblematik ein und diskutiert schließlich mögliche Folgerungen aus dem Urteil.
BVerfG – Videoüberwachung: Auch die taz (Christian Rath) berichtet nun zu der von drei Piraten-Politikern eingelegten Verfassungsbeschwerde gegen das im März verabschiedete Gesetz zur erleichterten Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Weil der "extrem gründliche Richter Johannes Masing" zuständig sei, könne mit einer schnellen Entscheidung nicht gerechnet werden.
BVerfG zu G-20-Protestcamp: Dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum G-20-Protestcamp in Hamburg bescheinigt Christian Rath (taz) in einem Kommentar "Hasenfüßigkeit". Dass Demonstranten Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt ihrer Versammlung selbst bestimmen könnten, sei Kern der Versammlungsfreiheit und auch ständige Rechtsprechung des Gerichts. Insofern überrasche die geübte Zurückhaltung bei der Anerkennung des Camps als grundgesetzlich geschützte Versammlung.
BGH zu Sicherungsverwahrung: Die beiden jüngsten Urteile des Bundesgerichtshofs zu den Voraussetzungen der Anordnung einer Sicherungsverwahrung werden nun auch durch lto.de (Maximilan Amos) vertieft dargestellt.
BGH zu Ikea-Bett: In einer Auseinandersetzung um gewerbliche Schutzrechte vor dem Bundesgerichtshof hat der Einrichtungskonzern Ikea eine Niederlage erlitten. Mit dem Vertrieb seines Betts "Malm" seien möglicherweise Designrechte eines Frankfurter Möbelgestalters verletzt worden, schreibt die SZ (Wolfgang Janisch) über die Entscheidung, die zur endgültigen Klärung an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen wurde. Der Bericht der FAZ (Christine Scharrenbroch/Hendrik Wieduwilt) beschreibt auch weitere schutzrechtliche Auseinandersetzungen des obsiegenden Möbeldesigners.
BSG zu Elterngeld: Anlassbezogene Sonderzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld sind bei der Berechnung des Elterngeldes nicht zu berücksichtigen. Dies urteilte nach Meldungen von lto.de und FAZ (Marcus Jung) das Bundessozialgericht. Die Entscheidung entspreche zwar der Logik und den steuerlichen Vorschriften, kommentiert Ulrike Heidenreich (SZ). Ärgerlich sei sie trotzdem, weil hierdurch Frauen, die ohnehin weniger verdienten und häufiger nicht in durchgängigen Vollzeitarbeitsverhältnissen tätig seien, im Ergebnis für harte Gehaltsverhandlungen – die in der Regel der Grund für Einmalzahlungen seien – nicht belohnt würden.
BVerwG zu Auskunftsanspruch: Der Auskunftsanspruch eines Journalisten zu einem Gutachten über die NS-Verstrickung ehemaliger Mitarbeiter des Bundeslandwirtschaftsministeriums erstreckt sich auf bereits verstorbene, nicht jedoch noch lebende Betroffene. Dies urteilte das Bundesverwaltungsgericht nach einer Meldung von lto.de.
BAG zu Schienenkartell: Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts muss das Landesarbeitsgericht Düsseldorf erneut prüfen, ob ein früherer ThyssenKrupp-Manager hinsichtlich seines Verhaltens im sogenannten Schienenkartell "pflichtwidrig und schuldhaft" gehandelt habe. Ob er darüber hinaus auch für die gegen das Unternehmen verhängte Geldbuße hafte, müsse jedoch von einem Zivilgericht geklärt werden, so die FAZ (Marcus Jung) über die Entscheidung.
OVG NRW zu Vorratsdatenspeicherung: Rechtsprofessor Jürgen Kühling analysiert auf verfassungsblog.de den unanfechtbaren Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen zur Vorratsdatenspeicherung aus der vergangenen Woche.
OLG München – NSU: Das NSU-Verfahren sei für das Oberlandesgericht München "längst erledigt", schreibt zeit.de (Tom Sundermann). Gleichwohl erforderten fortlaufende Anträge der Verteidigung eine gründliche Befassung, um "das irgendwann gefällte Urteil" auch revisionssicher zu machen.
LG Braunschweig – VW: Zu Beginn des vom Rechtsdienstleister MyRight beim Landgericht Braunschweig angestrengten Schadensersatzverfahrens gegen VW referiert spiegel.de (Kristina Gnirke/Gerald Traufetter) die von den Parteien vorgebrachten Argumente. Während die Kläger behaupteten, dass der Autohersteller die fraglichen Diesel-Modelle ohne gültige Zulassung verkauft hätte, würde sich VW auf den Standpunkt stellen, dass die Autos mit der manipulierten Software vom Kraftfahrt-Bundesamt genehmigt worden seien. In der Verhandlung habe das Gericht zu verstehen gegeben, dass es der klägerseits angeregten Vorlage zum Europäischen Gerichtshof nicht folgen werde, berichtet die FAZ (Carsten Germis). Eine diesbezügliche Entscheidung ergehe Ende August.
LG Stuttgart zu Umwelthilfe: Das Landgericht Stuttgart hat eine gegen die Daimler AG gerichtete Klage der Deutschen Umwelthilfe wegen angeblich irreführender Werbung abgewiesen. Bei der mittlerweile nicht mehr verwendeten Werbung zum Schadstoffausstoß eines Diesel-Modells sei keine Irreführung der Verbraucher erkennbar, schreibt die SZ (Stefan Mayr) über das Urteil.
Recht in der Welt
Slowenien/Kroatien – Schiedsspruch: Ein unter Vermittlung der EU eingerichtetes Schiedsgericht in Den Haag hat den jahrelangen Konflikt zwischen Slowenien und Kroatien über den exakten Grenzverlauf beider Länder im Golf von Piran zugunsten Sloweniens entschieden, berichtet die FAZ (Karl-Peter Schwarz). Nachdem vor zwei Jahren bekannt wurde, dass ein slowenischer Richter des Schiedsgerichts gegen die Geheimhaltungsvorschriften verstoßen hatte, boykottierte Kroatien die Verhandlung und habe sich nun auch geweigert, sich den Spruch zustellen zu lassen. Die Welt (Flora Wisdorff) berichtet ebenfalls.
Russland – Nemzow-Mord: Ein russisches Militärgericht hat einen tschetschenischen Militärangehörigen wegen Mordes am Oppositionspolitiker Boris Nemzow schuldig gesprochen, weitere vier Angeklagte wegen Beihilfe. Nebenklagevertreter bemängelten, dass jegliche Versuche, die Hintergründe der Tat aufzuklären, vom Gericht abgeblockt wurden, schreiben spiegel.de (Christina Hebel) und SZ (Julian Hans).
Sonstiges
NSU-U-Ausschuss: Anlässlich der Präsentation des Abschlussberichts des zweiten NSU-Untersuchungs-Ausschusses des Bundestages wurde die voreilige ermittlungstechnische Fokussierung auf das bis heute bekannte Trio kritisiert, schreibt die FAZ (Marlene Grunert). Insbesondere beim Mord an Michele Kiesewetter sei diese "Trio-These" kaum noch haltbar. Weitere Kritik hätten die Ausschussmitglieder an der Dienst- und Fachaufsicht des Bundesamts für Verfassungsschutz geäußert.
Bundeslöschtage: Die FAZ (Rainer Blasius) bemüht sich, die "Legende" um sogenannte Bundeslöschtage als dem vermeintlichen Grund des Zerwürfnisses zwischen dem jüngst verstorbenen Altkanzler Helmut Kohl und dem heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier aufzuklären. Disziplinarrechtliche Vorermittlungen unter Leitung von Burkhard Hirsch (FDP) hätten zwar im Jahr 2000 zu einem Strafantrag des damaligen Kanzleramtsministers wegen des Verdachts von Datenlöschungen geführt, diese Ermittlungen wurden aber 2003 von der Bonner Staatsanwaltschaft eingestellt. Ein gegen Steinmeier eingeleitetes verwaltungsrechtliches Verfahren wegen Verletzung beamtenrechtlicher Dienstherrenpflichten endete in einem Vergleich.
Stephan Holthoff-Pförtner: FAZ (Reiner Burger), Hbl (Catrin Bialek) und SZ (Jan Bielecki) stellen den als Anwalt Helmut Kohls bekanntgewordenen Stephan Holthoff-Pförtner aus Anlass seiner Ernennung zum nordrhein-westfälischen Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien vor.
Das Letzte zum Schluss
Geschüttelt, nicht gerührt: Wegen "familiärer Probleme" beantragte ein mit seinem Geburtsnamen Unzufriedener eine Namensänderung. Weil die Gemeinde seinen Vorschlag – James Bond – nicht akzeptierte, blieb der Gang vors Gericht. Auch das Verwaltungsgericht Koblenz mochte sich der Argumentation des Klägers nicht anschließen, wie blog.betriebsrat.de (Ines Heinsius) zu berichten weiß.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 30. Juni 2017: Kein Erdoğan-Auftritt / Ehe und GG / Elterngeld ohne Bonus . In: Legal Tribune Online, 30.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23289/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag