Europäische Kontensperrungen ukrainischer Regierungsbeamter waren rechtswidrig, entscheidet der EuG. Außerdem in der Presseschau: können Gerüchte strafbar sein?, Prozess gegen Ex-Präsidenten und originelle Berufungs-Argumentation.
Thema des Tages
EuG zu Sanktionen: Im Frühjahr 2014 beschloss der Europäische Rat die Sperrung von Auslandskonten hochrangiger Vertrauter des früheren ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch. Er stützte sich dabei auf ein Schreiben des ukrainischen Generalstaatsanwalts, der den Betroffenen die Veruntreuung öffentlicher Gelder vorwarf. Eben diese Begründung war nach nach einer Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union in Luxemburg zu unbestimmt, berichtet die SZ (Stefan Ulrich). Denn sei nicht dargelegt worden, inwiefern die jetzigen Kläger für die behaupteten Taten verantwortlich gewesen seien. Die nun für ungültig erklärte Maßnahme war auf ein Jahr bestimmt, gegen die im März 2015 verfügte Verlängerung ist ebenfalls eine Klage anhängig. Auch die taz (Christian Rath) berichtet.
In einem separaten Kommentar bezeichnet Stefan Ulrich (SZ) die Maßnahmen dennoch als "sinnvoll". Anders noch als etwa die Irak-Sanktionen des UN-Sicherheitsrates von 1990 erlaubten es "intelligente Sanktionen", zielgerichtet gegen Führungsfiguren vorzugehen, ohne eine ganze Bevölkerung in Sippenhaft zu nehmen. Dementsprechend dürften aber auch die an die Maßnahmen zu stellenden Anforderungen nicht zu streng sein. Das Bestimmtheitsgebot sei zwar "ein wichtiger Rechtsgrundsatz", Sanktionen aber keine strafrechtlichen Strafen, vielmehr "Druckmittel des Völkerrechts".
Rechtspolitik
Asylpaket II: Am gestrigen Donnerstagabend haben sich die Spitzen der Regierungskoalition auf die Inhalte des sogenannten Asylpakets II verständigt. Kernpunkt sei die Aussetzung des Familiennachzugs für solche Flüchtlinge, "die nicht unmittelbar persönlich verfolgt" würden, zitiert spiegel.de Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD). Daneben sollen spezielle Aufnahmeeinrichtungen zur Bearbeitung von Asylanträgen in Schnellverfahren eingerichtet werden. Unabhängig von dem Maßnahmenpaket sollten Marokko, Algerien und Tunesien zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, die für die Zustimmung im Bundesrat erforderliche Einigung mit den Grünen stehe aber noch aus.
Flüchtlinge: Zur Bewältigung der Flüchtlingssituation hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach Darstellung des HBl (Sven Afhüppe/Gabor Steingart) in dessen Wochenende-Teil einen "komplexen Alternativplan entwickeln lassen", dessen Einsatz von einer nach dem EU-Gipfel im Februar zu ziehenden Zwischenbilanz abhänge. Das HBl (Sven Afhüppe u.a.) stellt in einem weiteren Beitrag hierzu zehn Punkte vor. So sei eine Neuorganisation des Schengen-Systems ebenso wie die Einführung einer EU-Steuer zur Finanzierung der Flüchtlingskosten denkbar. Weitere Maßnahmen betreffen die Aufstockung der Bundespolizei und die Einführung europaweiter Kontingente für die Aufnahme von Flüchtlingen.
Gerüchte: Nachdem feststeht, dass die Meldung eines am Berliner Lageso verstorbenen Flüchtlings nicht zutraf, erinnert Christian Rath (BadZ) in einem Kommentar daran, dass "die Lüge an sich" nicht strafbar ist. Eine Strafbarkeit des "Verbreitens falscher beunruhigender Gerüchte" sei rechtsstaatlich bedenklich, auch wenn es in Österreich eine derartige Strafnorm gebe. Vielmehr sei fraglich, ob gegen jede Ärgerlichkeit das Strafgesetzbuch in Anschlag gebracht werden müsse. Immerhin sei es auch möglich, den Urheber der Falschmeldung wegen groben Unfugs nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz zu sanktionieren.
Basiskonto: Nach Darstellung der SZ (Vivien Timmler) wird ein Gesetz zur Einführung eines Basiskontos auf Guthabenbasis trotz anhaltenden Widerstandes vieler Banken noch in diesem Frühjahr geschehen.
Vergaberechtsreform: Durch eine Neufassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und eine neue Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge beabsichtigte die Bundesregierung eine umfassende Reform des Vergaberechts. Rechtsanwalt Ralf Leinemann zeigt sich in einer auf lto.de abgegebenen Einschätzung der Maßnahmen skeptisch. Problematisch sei vor allem der "Wildwuchs" von nach wie vor weiterbestehenden Landesvergabegesetzen und dazugehörigen Durchführungsverordnungen. Die Neuregelungen verkomplizierten darüber hinaus das bestehende Recht und machten die Beteiligung kleiner und mittlerer Unternehmen an Vergaben öffentlicher Aufträge schwieriger.
Justiz
EuGH zu Safe Harbor: Die nach dem Safe Harbor-Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom vergangenen Oktober gesetzte Frist zur Erarbeitung einer einvernehmlichen Lösung für grundrechtskonformen Datentransfer von Europa in die USA läuft am kommenden Sonntag aus. Ein Ergebnis sei weder in Sicht noch aktuell technisch oder rechtlich denkbar. Dies berichtet zeit.de (Marvin Strathmann) und stellt dabei auch mögliche Lösungsansätze vor.
BVerfG – Flüchtlingspolitik: Noch vor der bayerischen Regierung haben sechs Rechtsanwälte wegen der Regierungsentscheidung vom September zur Aufnahme von Flüchtlingen das Bundesverfassungsgericht angerufen. Die Erfolgsaussichten dieser Verfassungsbeschwerde, mit der eine Verletzung des Rechts auf politische Teilhabe geltend gemacht werde, sei fraglich, so die FAZ (Reinhard Müller). Dies müsse auch für den Bayern angedachten Bund-Länder-Streit konstatiert werden. Selbst der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio habe in seinem Gutachten anerkannt, dass der politische Spielraum der Bundeskanzlerin groß und damit nur eingeschränkt justiziabel sei.
BGH zu Versicherungsmaklern: Versicherungsmakler sind für Kunden tätig und damit nicht berechtigt, für Versicherungen Schäden zu regulieren. Dies entschied der Bundesgerichtshof nach Meldung der SZ (Herbert Fromme) in einem jetzt veröffentlichten Urteil von Mitte Januar. Hierdurch würde das Geschäftsmodell zahlreicher Maklerfirmen in Frage gestellt, die Interessenvertretung Verband Deutscher Versicherungsmakler prüfe daher die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde.
BGH zu wetter.de: Eine allgemein beschreibende Bezeichnung bestimmter Webseiten ist nicht schon durch entsprechende Gewöhnung in der Öffentlichkeit geschützt, vielmehr müssten mehr als die Hälfte der Nutzer den fraglichen Begriff mit der Webseite identifizieren. Mit dieser Argumentation wies der Bundesgerichtshof nach einer Meldung der FAZ (Joachim Jahn) eine Klage des "wetter.de"-Betreibers ab. Eine Analyse von Entscheidung und Rechtslage liefert Rechtsanwältin Andrea Renvert auf lto.de.
BFH zu Arbeitszimmern: Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur eingeschränkten steuerlichen Absetzbarkeit privater Arbeitszimmer fasst die SZ (Harald Freiberger) in Frage-und-Antwort-Form zusammen. Experten kritisierten die Entscheidung als sozial ungerecht, weil sich die vom BFH geforderte "nahezu ausschließliche" berufliche Nutzung eines gesonderten Arbeitszimmers nur in größeren Wohnungen realisieren ließe.
OLG München zu Youtube/Gema: Das Oberlandesgericht München hat eine Schadensersatzforderung der Musikverwertungsgesellschaft Gema gegen Youtube abgewiesen. Der Videokanal sei lediglich als technischer Dienstleister für Nutzer, die Musik auf der Plattform einstellten, tätig, so zeit.de zu den Entscheidungsgründen. Die Gema beharre dagegen auf dem Standpunkt, dass die entscheidende und damit auch lizenzpflichtige Tathandlung das "dauerhafte Bereithalten" von Musik durch Youtube selbst sei. Eine Revision zum Bundesgerichtshof sei wahrscheinlich.
OLG München – NSU: Im Verfahren vor dem Oberlandesgericht München ist Beate Zschäpe auch mit ihrem vierten Antrag auf Entpflichtung ihrer "Alt-Anwälte" gescheitert, meldet die taz (Konrad Litschko). Der von Ralf Wohlleben gestellte Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl wurde gleichfalls verworfen.
OVG Münster zu Studi-Fete: Die Studierendenschaft der Uni Bochum hat vor dem Oberverwaltungsgericht Münster von ihrem ehemaligen Asta-Vorsitzenden und dessen Finanzreferent Schadensersatz von mehr als 88.000 Euro erstritten. Verfahrensgegenstand war eine überdimensionierte Studierendenfeier mit mehreren namhaften Popbands vor mehr als acht Jahren, schreibt die FAZ (joja). Die Fete habe ein Finanzloch von mehr als 200.000 Euro hinterlassen, den Beklagten sei aber beim Instanzengang eine Reduzierung der wegen der Fehlplanung zu ersetzenden Summe gelungen.
Recht in der Welt
IStGH – Laurent Gbagbo: Zum Prozessauftakt im Verfahren gegen den ehemaligen ivorischen Präsidenten Laurent Gbagbo und einen früheren Minister vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag erklärten sich die Angeklagten für nicht schuldig, berichtet die FAZ (Thomas Scheen). Die Kritik Gbagbos, das Haager Gericht betreibe Siegerjustiz, sei "nicht ganz von der Hand zu weisen". Denn habe sich bislang keiner der Anhänger des Kontrahenten und jetzigen Präsidenten Alassane Outtara wegen der gewaltsamen Auseinandersetzungen nach der umstrittenen Wahl im Dezember 2010 juristisch verantworten müssen.
Diese Kritik teilt Isabel Pfaff (SZ) in einem Kommentar. Durch verschleppte Ermittlungen gegen Outtara machten sich die Haager Strafverfolger "unglaubwürdig" und gefährdeten damit letztlich auch den Fortbestand des gerade in Afrika umstrittenen Gerichts.
EuG zu Österreich/BayernLB: Eine von der Republik Österreich zugunsten der BayernLB erteilte Garantie ist nach einem Urteil des Gerichts der Europäischen Union als staatliche Beihilfe einzustufen. Weil die Beihilfe aber mit Unionsrecht vereinbar war, wies das Gericht die Nichtigkeitsklage Österreichs gegen Beschlüsse der EU-Kommission ab, berichtet lto.de.
Polen – Staatsumbau: Nach einer Meldung von zeit.de hat das polnische Parlament eine Neuregelung beschlossen, nach der alle Staatsanwaltschaften des Landes der direkten Aufsicht des Justizministeriums unterstellt würden. Der Justizminister solle nun auch die Funktion des Generalstaatsanwalts übernehmen und damit das Recht erlangen, bei jeder Ermittlung zu intervenieren.
Österreich – Obergrenze: Auf verfassungsblog.de unternimmt Ralph Janik, Uni-Assistent in Wien, eine "vorläufige rechtliche und politische Bestandsaufnahme" der von der österreichischen Regierung geplanten Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen. Die politischen Vorstellungen liefen bei Erreichung des Grenzwerts auf entweder eine Zurückweisung an der Grenze oder das womöglich jahrelange Nichtbearbeiten von Asylanträgen hinaus, beide mit eigenen rechtlichen Problemen behaftet. Wegen der "allgemeinen Zuspitzung der Lage" sei daher auch eine "maßgebliche Veränderung des Flüchtlingsrechts" auf europarechtlicher oder auch völkerrechtlicher Ebene denkbar.
Großbritannien – Brexit: Für den EU-Gipfel Mitte Februar ist der Abschluss einer Vereinbarung zur zukünftigen Rolle Großbritanniens in der EU geplant, über die zu einem späteren Zeitpunkt die britischen Bürger in einem Referendum abstimmen sollen. Die SZ (Daniel Brössler) analysiert nun auch die vier zur Verhandlung stehenden "Körbe" im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit geltendem Europarecht. Die britische Regierung fordere etwa eine Stärkung nationaler Parlamente, die im Zusammenschluss EU-Gesetzesvorhaben verhindern könnten. Dies kollidiere mit dem existierenden EU-Gesetzgebungsverfahren mit seinem Initiativrecht bei der Kommission und Zustimmungsbedürftigkeit durch Rat und Europäisches Parlament.
Türkei – Journalisten: Auch die FAZ (Karen Krüger) berichtet nun über den Fall der in Istanbul wegen angeblichem Geheimnisverrat von einer lebenslangen Freiheitsstrafe bedrohten Journalisten Can Dündar und Erdem Gül.
Sonstiges
Diskriminierung: Nach mehreren Berichten über Zugangsverbote für Flüchtlinge in Schwimmbädern und Discos untersucht die wissenschaftliche Mitarbeiterin Doris Liebscher auf juwiss.de die Rechtmäßigkeit derartiger Praktiken im Lichte des Regelungsgehaltes des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Die Norm biete "keinerlei Ausnahmevorschriften" für rassistische Diskriminierung, welche auch nicht vom Hausrecht von Einrichtungsbetreibern gedeckt werde.
Maßnahmen wie ein Badeverbot für Flüchtlinge sind nach dem Kommentar von Jost Müller-Neuhof (Tsp) ein Indiz für Populismus als den "heimlichen Herrscher einer jeden Demokratie". In einer "vereinfachten Weltbetrachtung" in den Kategorien von "die und wir" müssten "bei allen auftauchenden Schwierigkeiten" ebenso einfache, wenn auch "schlichte Lösungen" her. Dabei gebe es Gesetze wie das AGG als "eine Art staatliches Erziehungs- und Integrationsprogramm".
EKD-Behandlung von Bagatelltätern: Heribert Prantl (SZ) kommentiert die nun bekanntgewordene Vereinbarung der Kieler Polizei vom vergangenen Oktober, bei wegen Bagatelldelikten aufgegriffenen Ausländern auf erkennungsdienstliche Maßnahmen zumindest dann verzichten zu wollen, wenn die Betroffenen Ersttäter seien und keine Ausweispapiere besäßen. Auch wenn der "Kieler Unsinn" von der Generalstaatsanwaltschaft verboten worden sei, eigne sich die Geschichte, Vorurteile zu befeuern. Mit "vernünftigen Vorschlägen" einer generellen Entkriminalisierung von Bagatelldelikten oder alternativen Sanktionsmöglichkeiten hätten sie auf jeden Fall nichts zu tun. Die Polizei könne sich ungeachtet aller tatsächlichen Schwierigkeiten ihrer ureigensten Aufgabe, der Registrierung und Identifizierung von Taten und Tätern, nicht entziehen.
Smart-TV und Datenschutz: Internetfähiges Fernsehen, sogenanntes Smart-TV, eröffnet Nutzern zahlreiche früher unbekannte Möglichkeiten des Medienkonsums. Dabei ist vielen Verbrauchern jedoch nicht bewusst, dass die Online-Verbindung auch Daten an Fernsehsender, Gerätehersteller und sonstige Dritte sendet, wie Rechtsanwalt Tobias Kohl auf lto.de darlegt. Datenschutzrechtliche Bestimmungen zur Information von Verbrauchern und deren erforderlicher Zustimmung würden dabei häufig unterlaufen, wie eine Überprüfung durch das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht im vergangenen Jahr ergab.
Dashcams: Auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar wurde nach einem Bericht der FAZ (Reinhard Bingener) über die Rechtmäßigkeit von Aufnahmen sogenannter Dashcams diskutiert. Deren Verwertbarkeit sei in bislang vorliegenden unterinstanzlichen Entscheidungen widersprüchlich behandelt worden. Ein vergleichbares Meinungsbild gaben die im Artikel wiedergegebenen Referenten wieder.
Das Letzte zum Schluss
Gerichtssprache: Im vergangenen November untersagte ein belgisches Gericht dem Facebook-Konzern die Verwendung von Cookies, mit denen das Surf-Verhalten auch von Nicht-Mitgliedern des sozialen Netzwerks verfolgt werden kann. In der nun eingelegten Berufung gegen das Urteil haben sich die sicherlich hochkompetenten Anwälte des Internet-Konzerns eine besondere Argumentationslinie einfallen lassen. Nach dem Bericht von spiegel.de (Fabian Reinbold) wird die Verwendung englischsprachiger Begriffe wie eben "Cookie", aber auch "Browser" oder "Homepage" im Urteil moniert. Damit verstieße das Gericht gegen belgisches Recht, nach dem alle Urteile einer der offiziellen Sprachen des Landes – Französisch, Niederländisch, Deutsch – verfasst werden müssen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 29. Januar 2016: EuG zu Sanktionen / Strafbare Gerüchte? / Selektiver IStGH . In: Legal Tribune Online, 29.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18289/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag