Die juristische Presseschau vom 21. April 2015: Späte Sühne - Teure Untreue - Unverhältnismäßige U-Haft

21.04.2015

Am Landgericht Lüneburg beginnt der vielleicht letzte Auschwitz-Prozess. Kommt das Verfahren gegen den 94-jährigen Angeklagten zu spät? Außerdem in der Presseschau: Papier zu Erbschaftsteuerreform, LG Hamburg verurteilt Heinrich Maria Schulte, Haftbefehl gegen Thomas Middelhoff außer Vollzug, fragwürdige Haar-Analysen in US-amerikanischen Prozessen und ein unpassender Zeitpunkt für eine SMS.

Thema des Tages

Auschwitz-Prozess: Ab dem heutigen Dienstag muss sich ein 94-jähriger vor dem Landgericht Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen verantworten. Als Mitglied der SS-Wachmannschaft des Konzentrationslagers Auschwitz soll der Angeklagte vor allem während der Deportation von ungarischen Juden im Sommer 1944 zu den damaligen Massentötungen beigetragen haben. Der ausführliche Vorbericht der FAZ (Alexander Haneke) geht auf historische Vorbilder für das jetzige Verfahrens ein und beschreibt es als "Fluch", dass der vom damaligen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer maßgeblich vorangetriebene Prozess vor dem Landgericht Frankfurt/M. 1965 zum "Mythos der konkreten Einzeltat" beigetragen habe.

Aufgrund der schieren Größe des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau folgerte das Landgericht damals, dass nicht jeder SS-Mann an konkreten Tötungen teilgenommen habe und verurteilte nur, soweit solche Taten, etwa als Exzess, nachgewiesen werden konnten. Ob die - zuvor bereits im Prozess gegen John Demjanuk angewandte - Konstruktion der Beihilfe durch Anwesenheit im Lager für eine Verurteilung ausreiche, sei umstritten. Über eine Pressekonferenz von Überlebenden, die im Verfahren als Zeugen auftreten werden, schreibt die SZ (Peter Burghardt).

Heribert Prantl (SZ) bedauert, dass der Prozess keine Erklärung oder Entschuldigung dafür liefern kann, "warum nicht schon vor fünfzig, dreißig oder wenigstens vor zwanzig Jahren verhandelt worden ist". Auch wenn eine Bestrafung nun keinen Sinn mehr ergebe, sei eine im Namen des Volkes ergehende "gerichtliche Feststellung der grausamen Wahrheit" durch die jetzige "Judikatur der letzten Sekunde" von Bedeutung, um "die Negation der unfassbaren Negation des Rechts im Nationalsozialismus fassbar zu machen für alle Zeit."

Rechtspolitik

Flüchtlinge: Angesichts erneuter Todesfälle von Flüchtlingen im Mittelmeer hält Dominic Johnson (taz) eine "sofortige, international koordinierte Evakuierungsaktion" für Insassen libyischer Transitlager für nötig. Eine rechtliche Verpflichtung hierzu bestehe aufgrund der nach dem Völkermord in Ruanda entwickelten völkerrechtlichen Doktrin der Schutzverantwortung.

Streikrecht: Die SZ (Detlef Esslinger) interviewt den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Union im Bundestag, Michael Fuchs, zu einer von ihm mitgetragenen Initiative, das Streikrecht im Bereich der sogenannten Daseinsvorsorge einschränken zu wollen.

Erbschaftsteuer: Hans-Jürgen Papier, früherer Präsident des Bundesverfassungsgericht, hat den gegenwärtigen Entwurf zur Reform der Erbschaftsteuer als unnötig restriktiv kritisiert. Der Gesetzgeber besitze auch angesichts des Urteils des BVerfG vom Dezember letzten Jahres einen großen Spielraum bei der Verschonung von Familien-Unternehmen, so Papier in einem für den Wirtschaftsrat der CDU erstellten Gutachten, aus dem die FAZ (Manfred Schäfers) ausführlich zitiert.

Präventionsgesetz: Wesentliche Teile des von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) forcierten Präventionsgesetzes sind verfassungswidrig. Zu diesem Schluss gelangt ein Gutachten der Richterin am Hessischen Landessozialgericht, Prof. Astrid Wallrabenstein. Wie die FAZ (Andreas Mihm) schreibt, stelle nach ihrer Einschätzung or allem die im Entwurf vorgesehene Übertragung von Präventionsaufgaben und -finanzierung auf die Krankenkassen eine Kompetenzüberschreitung des Bundes dar.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. April 2015: Späte Sühne - Teure Untreue - Unverhältnismäßige U-Haft . In: Legal Tribune Online, 21.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15295/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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