In München begann der Strafprozess gegen Georg Funke. Außerdem in der Presseschau: Paul Kirchhof argumentiert für ein vereinfachtes Steuerrecht, der Fahrplan für den Brexit steht und Gesichtsscanner gegen Toilettenpapierdiebstahl.
Thema des Tages
LG München I – Georg Funke: Vor dem Landgericht München I wurde der Prozess gegen Georg Funke, den früheren Chef der Hypo Real Estate, und Markus Fell, den vormaligen Finanzvorstand der Bank, eröffnet. Beiden Angeklagten werden unrichtige Bilanzen in den Jahren der Finanzkrise 2007 und 2008 vorgeworfen. Der Bericht der FAZ (Henning Peitsmeier) betont auch, dass der ursprüngliche Vorwurf der Untreue nicht weiterverfolgt wurde. Funkes Verteidiger habe gegenüber Medienvertretern den damaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) für den Niedergang der mittlerweile verstaatlichten Bank verantwortlich gemacht und angekündigt, dass die Ermittler nach den Fällen der BayernLB und der Deutschen Bank zum dritten Mal einen "Schiffbruch" erleiden würden. taz (Patrick Guyton) und Welt (Gerhard Hegmann) berichten ebenfalls. Die SZ (Stephan Radomsky) stellt den Hauptangeklagten in der Rubrik Profil vor. Seine angekündigte ausführliche Stellungnahme wolle Funke am heutigen Dienstag vortragen. Eine Haftstrafe gelte auch bei einem Schuldspruch als unwahrscheinlich.
Ähnlich mutmaßt Ulrike Herrmann (taz) in einem Kommentar: Ungeachtet des Umstands, dass bisherige Strafverfahren vergleichsweise milde ausgegangen seien, "waren sie Bankrotterklärungen für die Banker". Denn die Gerichte hätten ihnen attestiert, "zu blöd für ihren Job" zu sein und "deswegen nicht haftbar". Weil sich das Strafrecht nicht für eine nachträgliche Aufarbeitung von Finanzkrisen eigne, sei eine Vorsorge im Sinne eigener, strengerer Eigenkapitalregeln für Banken notwendig, dies werde aber bislang durch nach wie vor geschickte Lobbyarbeit der Geldhäuser verhindert. Auch nach Christian Schnell (Hbl) kann der jetzige Prozess die erforderliche "Aufarbeitung der teuersten Bankenrettung Deutschlands" nicht leisten.
Rechtspolitik
Steuerrecht: Der frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof plädiert in einem Gastbeitrag für das Hbl für eine substantielle Vereinfachung des Steuerrechts. Weder Steuerpflichtiger noch Steuerberater, aber auch nicht der Abgeordnete verstünden Inhalt und Anforderungen von Steuergesetzen. Auch für Strafrichter sei das strafbegründende Steuerrecht oft unverständlich. Dagegen biete die Digitalisierung einen "technischen Impuls zur Steuervereinfachung", die Kirchhof im Weiteren beispielhaft beschreibt.
Kennzeichenverbot: Nach einer in der vergangenen Woche in Kraft getretenen Neuregelung im Vereinsgesetz ist es Rockergruppen untersagt, ihre Vereinssymbole öffentlich zu zeigen, wenn auch nur ein Regionalverein der Gruppe verboten wurde. Wenig angetan zeigt sich Rechtsassessor Florian Albrecht auf lto.de. Indem der Gesetzgeber eine moralische Präferenz über das strafrechtliche Erfordernis des Rechtsgüterschutzes stelle, verletze er die Verfassung. Auch sei der praktische Nutzen der Regelung jedenfalls zweifelhaft.
Aktives Wahlrecht: Die SZ (Ulrike Heidenreich) interviewt die frühere Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) zu ihrer Schirmherrschaft der Initiative "Nur wer wählt, zählt", die sich für ein Wahlrecht von Geburt an einsetzt. Die Stimmenabgabe Minderjähriger soll hierbei durch die Eltern als Vertreter ihrer Kinder erfolgen.
Freihandelsabkommen: Die taz (Malte Kreutzfeldt) ist an Unterlagen aus den aktuellen Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan gelangt. Diese belegten, dass die nach öffentlichem Druck erreichten Verbesserungen beim CETA-Abkommen, etwa beim Investitionsschutz, nicht zum Vorbild genommen würden. Auch zur Frage unabhängiger Schiedsstellen existiere offenbar keine Bewegung. Diese Erkenntnisse begründeten "Zweifel an der Lernfähigkeit der Beteiligten", so Malte Kreutzfeldt (taz) im separaten Leitartikel.
Whistleblower: Nach einem für den Untersuchungsausschuss zu Cum-Ex-Geschäften erstellten, der FAZ (Hendrik Wieduwilt) vorliegenden Rechtsgutachten werden Whistleblower zu wenig gegen Sanktionen ihres Arbeitgebers geschützt. Dieser Befund werde gestützt durch Drohungen, die ein aussagebereiter früherer Abteilungsleiter der in Cum-Ex-Geschäfte verwickelten Hypo-Vereinsbank erfahren habe.
Familiennachzug: Bei einer Anhörung im Innenausschuss des Bundestags sprach sich die Mehrheit der geladenen Experten gegen die im vergangenen März verabschiedete Gesetzänderung aus, nach der Geflüchtete mit subsidiärem Schutzstatus für zwei Jahre keine Familienangehörige nach Deutschland holen dürfen. Die taz (Barbara Dribbusch) berichtet.
Dienstleistungsfreiheit: Zu den anhaltenden Auseinandersetzungen über das von der EU-Kommission geplante Maßnahmenpaket berichtet das Hbl (Ruth Berschens u.a.) ausführlich. Während deutsche Politiker bis hin zur Bundeskanzlerin einen Abschied etwa vom Meisterbrief befürchteten, behaupte Jyrki Katainen, Vize-Präsident der EU-Kommission, dass sich durch die Pläne nichts an nationalen Zulassungsregeln für Berufe ändern würde.
Justiz
BVerwG – Abschiebungen: Die taz (Christian Rath) macht auf eine unmittelbar bevorstehende Eilentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die Abschiebung zweier mutmaßlich islamistischer Gefährder aufmerksam. Gegenüber den Betroffenen seien Abschiebungsanordnungen nach § 58a Aufenthaltsgesetz erlassen worden. Die Vorschrift erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen eine Abschiebung auch ohne Anhörung, das BVerwG ist in erster Instanz für eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Anordnung zuständig.
OLG Düsseldorf – Terror: Seit nunmehr zweieinhalb Jahren verhandelt das Oberlandesgericht Düsseldorf gegen Marco G. und drei weitere Angeklagte wegen eines versuchten Bombenanschlags am Bonner Hauptbahnhof. Die SZ (Annette Ramelsberger) widmet dem Verfahren, an dem die Öffentlichkeit nach mehr als 150 Verhandlungstagen augenscheinlich das Interesse verloren habe, eine Seite-Drei-Reportage.
OLG Düsseldorf zu Bundeswaldgesetz: Die gesetzgeberische Freistellung forstwirtschaftlicher Leistungen von kartellrechtlichen Bestimmungen, vom Bundestag erst kürzlich durch eine Änderung des Bundeswaldgesetzes bewirkt, ist wegen Europarechtswidrigkeit "nicht zu beachten". Dies entschied nach Bericht des Hbl (Heike Anger) das Oberlandesgericht Düsseldorf. Dem nationalen Gesetzgeber fehle es an einer Regelungskompetenz für das europäische Kartellverbot.
OLG Hamm zu Stalking: Verletzungen von Gewaltschutzanordnungen können nicht mit Ordnungsgeld oder Ordnungshaft geahndet werden, wenn der Täter schuld- und unzurechnungsfähig ist. Dies stellte nach Bericht von lto.de das Oberlandesgericht Hamm in einem nun veröffentlichten Beschluss vom Anfang des Monats klar. Die dem Fall zugrunde liegenden, seit fast zwei Jahrzehnten währenden Nachstellungen, die ein Pfarrer durch eine Rentnerin zu erleiden hat, müssten daher weiter von ihm ertragen werden.
LG Stuttgart – Schlecker: Das Verfahren gegen Anton Schlecker und Familienangehörige vor dem Landgericht Stuttgart wurde mit der Vernehmung von Wirtschaftsprüfern fortgesetzt. Hierbei hätten sich Hinweise auf Verstöße gegen bilanzrechtliche Vorschriften ergeben, schreibt die SZ (Stefan Mayr).
LG Berlin – Selbstjustiz: Im Verfahren zum Tod eines Ladendiebs konnte der vom Landgericht Berlin bestellte medizinische Sachverständige keine eindeutige Aussage darüber treffen, ob die Schläge des angeklagten Filialleiters den Tod herbeigeführt hatten. Der unter anderem an einem Schädelhirntrauma verstorbene Obdachlose habe auch ältere Verletzungen aufgewiesen, berichtet spiegel.de (Julia Jüttner).
LG Chemnitz zu Luxusgütern: Das Landgericht Chemnitz hat eine Frau von dem Vorwurf freigesprochen, gegen das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen zu haben. Die von der Angeklagten nach Nordkorea gelieferten Waren seien als in jedem Supermarkt verfügbare Massenware keine Luxusgüter, gibt lto.de die mündliche Urteilsbegründung wieder.
AG Freiberg – Clausnitz: Wegen der Blockade eines Flüchtlingsbusses in Clausnitz wird das Amtsgericht Freiberg keinen Strafprozess führen. Nach Verhängung von Auflagen in Gestalt von Geldzahlungen zugunsten karitativer Einrichtungen seien die zuletzt gegen zwei Beschuldigte geführten Ermittlungen eingestellt worden, berichtet zeit.de.
BAW – Auslieferung: Wegen Verabredung zu einem Verbrechen ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen drei Männer, die den 1995 gescheiterten Anschlag auf das damals im Bau befindliche Berliner Abschiebegefängnis verantwortet haben sollen. Zwei der Beschuldigten seien nun in Venezuela aufgetaucht, wo sie nach Bericht der taz (Wolf-Dieter Vogel) einen Asylantrag gestellt haben.
Recht in der Welt
Vereinigtes Königreich – Brexit: Die britische Premierministerin Theresa May wird den Austrittsprozess des Vereinigten Königreichs aus der EU am 29. März in Gang setzen. Die Berichte von FAZ (Jochen Buchsteiner) und taz (Ralf Sotschek) nennen die mutmaßlich am stärksten umstrittenen Punkte in den wohl ab Mai anstehenden Verhandlungen mit der EU.
Österreich – Flughafen: Die Jurastudentin Anna-Julia Saiger stellt auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) eine Entscheidung des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts vor. Das Gericht habe klargestellt, dass Klimaschutzbelange gegenüber dem öffentlichen Interesse am Ausbau eines Flughafens schwerer zu gewichten sein können.
Türkei – Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: In einem Gastbeitrag für das Hbl spricht sich die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) für "einen differenzierten Weg" im Umgang mit den autoritären Bestrebungen des türkischen Präsidenten aus. "Pauschale Einreiseverbote" und "rhetorische Eskalationen" nützten letztlich nur den Mobilisierungsversuchen Erdoğans, dessen Stil und Haltung man sich in Europa nicht aufzwingen lassen dürfe.
Sonstiges
Managerhaftpflicht: Aus Anlass des Schlecker-Verfahrens am Landgericht Stuttgart stellt die SZ (Friederike Krieger) D&O-Versicherungen vor, die sogenannten Haftpflichtversicherungen gegen Pflichtverletzungen von Managern. Diese kämen regelmäßig bei Forderungen von Insolvenzverwaltern zum Einsatz und führten häufig zu einer Senkung der Forderungssummen.
Digitale Assistenten: Die Aufzeichnungen digitaler Assistenten, Smart-TVs oder auch Fitnessarmbänder besitzen in US-amerikanischen Strafverfahren mittlerweile Beweiskraft. Dies berichtet die SZ (Hanno Charisius).
Das Letzte zum Schluss
Toilettenpapierdiebstahl: Toilettenpapier in öffentlichen Bedürfnisanstalten Beijings ist nach Bericht der SZ (Kai Strittmatter) eine relativ neue Erfindung. Seit der Einführung anlässlich der Olympischen Spiele 2008 hätten sich aber auch immer wieder Besucher weit über den tatsächlichen Bedarf, gewissermaßen auf Vorrat für Daheim mit dem Hygieneartikel eingedeckt. Die Toiletten eines Parks der Hauptstadt sind daher ab sofort mit Gesichts-Scannern ausgestattet, welche die Zuteilung rationieren sollen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 21. März 2017: Finanzkrise vor Gericht / Kirchhof zu Steuern / Fahrplan für Brexit . In: Legal Tribune Online, 21.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22404/ (abgerufen am: 18.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag