Das Bundesverfassungsgericht hebt die Kernbrennstoffsteuer auf. Außerdem in der Presseschau: Österreich will Deutschland vor den EuGH bringen und die britische Premierministerin May kündigt an, Menschenrechte außer Kraft zu setzen.
Thema des Tages
BVerfG zu Kernbrennstoffsteuer: Das Bundesverfassungsgericht hat die 2011 eingeführte Steuer auf Kernbrennelemente für verfassungswidrig erklärt und aufgehoben. Es berichten SZ (Markus Balser/Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath), FAZ (Manfred Schäfers) und lto.de (Maximilian Amos). Dem Bund fehle es an der erforderlichen Kompetenz für die Erhebung. Er habe kein "freies Steuererfindungsrecht". Die Kernbrennstoffsteuer sei insbesondere keine Verbrauchssteuer nach Artikel 106 Grundgesetz, da eine solche typischerweise auf den Endverbraucher umgelegt werde. Dies sei aber bei der Kernbrennstoffsteuer ausweislich der Gesetzesbegründung nicht geplant gewesen. Die rund 6,3 Milliarden Euro, die bis 2016 an den Bund geflossen waren, muss dieser nun an die betreffenden Unternehmen zurückzahlen.
Wolfgang Janisch (SZ) kritisiert, dass Steuergesetzgebung Freiraum benötige und Karlsruhe dem Gesetzgeber mit seiner Entscheidung "in die Parade" fahre. Rechtsprofessor Rainer Wernsmann begrüßt demgegenüber auf verfassungsblog.de die vom Verfassungsgericht betonte Formenbindung der Finanzverfassung. Reinhard Müller (FAZ) sieht in der Entscheidung im Leitartikel ein wichtiges Zeichen für die föderale Kompetenzordnung, die durch die Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen in Gefahr geraten sei.
Rechtspolitik
NetzDG: In der Zeit verteidigt Rechtsanwalt Chan-jo Jun das geplante Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) gegen Kritik. Soziale Netzwerke dürften kein rechtsfreier Raum werden, in dem falsche Tatsachenbehauptungen, Hetze und Gewaltdarstellungen kursierten. Einer vorschnellen Löschung nicht strafbarer Inhalte könne durch Errichtung einer neutralen Clearingstelle und gerichtliche Überprüfung begegnet werden.
Musterfeststellungsklagen: Rechtsanwalt Robert Peres beklagt auf lto.de das Scheitern der Einführung einer Musterfeststellungsklage. Zwar stünden Musterklagen hinter echten Sammelklagen zurück, da sie den Verbrauchern keinen Titel verschafften, sondern lediglich die Möglichkeit, auf Grundlage eines festgestellten Tatbestandes ohne Hemmnis durch Verjährung eine eigene Klage anzustrengen. Dennoch hätte die Einführung von Musterfeststellungsklagen ein wichtiger Schritt zu mehr Waffengleichheit zwischen Verbrauchern und Großkonzernen sein können.
Pauschalreiserecht: Rechtsprofessor Ernst Führich erklärt auf lto.de die Änderungen in §§ 651a bis y Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und im Einführungsgesetz zum BGB (EGBGB) zur Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie 2015/2302. Der Begriff des Reiseveranstalters werde erweitert und setze künftig nur das Zusammenstellen zweier touristischer Leistungen zu einem Paket zum Zweck einer Reise voraus. Dies stelle eine bedeutende Verschärfung der Haftungsrisiken von klassischen Reisebüros dar.
Justiz
EuGH – Pkw-Maut: Österreich plant, Deutschland wegen der geplanten Einführung einer Pkw-Maut vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verklagen. Dies berichten spiegel.de, SZ (Alexander Mühlauer) und BerlZ. Die Maut diskriminiere alle Nicht-Deutschen, da inländischen Autofahrern die Maut über Nachlässe bei der Kfz-Steuer gleichsam erlassen werde. Die EU-Kommission sei vor Deutschland "eingeknickt". Als Voraussetzung für eine Klage ist zunächst ein Vermittlungsverfahren durchzuführen, das etwa drei Monate dauern würde. Hierauf werde sich dann der Gang vor den EuGH anschließen.
BVerfG zu Abschiebung nach Griechenland: Der Rechtsprofessor Kay Hailbronner erläutert in der FAZ einen Kammerbeschluss des Zweiten Senates des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Mai über ein Abschiebungsverbot, das einen Syrer betrifft, der in Griechenland bereits als Flüchtling anerkannt worden war. Dieser hatte sich gegen seine Abschiebung nach Griechenland gewehrt, weil dort kein Zugang zu Sozialleistungen, Arbeitsmöglichkeiten und sonstigen Integrationsleistungen bestehe. Das Verfassungsgericht gab seiner Beschwerde statt. Hailbronner kritisiert, das Verfassungsgericht setze den Standard einer drohenden unmenschlichen Behandlung zu niedrig an. Auf Grundlage eines solchen Standards seien Abschiebungen künftig nur schwer durchsetzbar.
EuGH zu Freihandelsabkommen: Der Rechtsprofessor Christian Tietje bespricht in der FAZ das Gutachten des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Freihandelsabkommen EU-Singapur vom 16. Mai 2017. Anders als vielfach berichtet habe der EuGH keineswegs die Rechte der nationalen Parlamente gestärkt. Vielmehr habe der Gerichtshof klargestellt, dass Freihandelsabkommen nahezu umfassend in die ausschließliche Kompetenz der EU fielen. In der Gestaltungs- und Entscheidungskompetenz der Mitgliedsstaaten verblieben lediglich direkt gegen den Staat gerichtete Investitionsschutzklagen sowie sogenannte Portfolioinvestitionen. Dies sind Auslandsinvestitionen, die nicht zu einem Kontrolleinfluss bei dem Unternehmen führen, in das investiert wird.
LG Duisburg – Loveparade-Prozess: Das Landgericht Duisburg hat den Prozessbeginn im Verfahren wegen fahrlässiger Tötung bei der Loveparade-Katastrophe 2010 auf Anfang Dezember 2017 terminiert, berichten spiegel.de und lto.de (Pia Lorenz). Um der Größe des Verfahrens mit über 60 Nebenklägern gerecht zu werden, hat das Gericht einen Saal im Kongresszentrum auf dem Gelände der Messe Düsseldorf angemietet. Das Gericht steht unter Zeitdruck, da ohne ein erstinstanzliches Urteil bis spätestens zum 27. Juli 2020 die absolute Verjährung greift (§ 78c Abs. 3 S. 2 Strafgesetzbuch).
LG Hamburg – Reski vs. Augstein: Die Journalistin Petra Reski hat angekündigt, den Verleger des "Freitag", Jakob Augstein, wegen ehrverletzender Äußerungen vor dem Landgericht Hamburg zu verklagen. Dies berichten SZ, FAZ und taz (Peter Weissenburger). Reski hatte im "Freitag" einen Bericht über Mafia-Strukturen in Deutschland veröffentlicht und war daraufhin von einem von ihr im Text namentlich als Mafia-Mitglied genannten Erfurter Gastronomen verklagt worden. Augstein hatte sich daraufhin von Reski distanziert und ihr unter anderem "mangelhafte Recherche" vorgeworfen, worin diese eine Diffamierung ihrer Arbeit sieht.
GBA – CIA-Vize-Chefin: Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat beim Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen die Vize-Chefin des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA, Gina Haspel, wegen Folter erstattet. Dies berichtet die Zeit (Christian Fuchs). Für Straftaten wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit gilt nach dem Völkerstrafgesetzbuch das Weltrechtsprinzip, das deutschen Strafverfolgungsbehörden Ermittlungen auch dann ermöglicht, wenn die Taten im Ausland gegen Ausländer begangen wurden.
Recht in der Welt
Vereinigtes Königreich – Menschenrechte: Die britische Premierministerin hat angekündigt, notfalls Menschenrechte einzuschränken, wenn auf diese Weise wirksamer gegen islamistische Terroristen vorgegangen werden könnte. Dies melden u.a. spiegel.de und zeit.de. Die Welt (Stefanie Bolzen) analysiert die rechtlichen Voraussetzungen für eine Suspendierung der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK). Nach Artikel 15 der Konvention ist dies nur zeitweise möglich und erfordert eine Bedrohung für das "Leben der Nation durch Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand".
Niederlande – Geert Wilders: Die niederländische Justiz hat das Verlangen einer Initiative österreichischer Muslime abgelehnt, wegen islamfeindlicher Äußerungen gegen den Politiker Geert Wilders vorzugehen. Dies meldet zeit.de. Wilders hatte bei einem Treffen der österreichischen FPÖ den Islam als eine "Ideologie des Krieges und Hasses" bezeichnet. Die Beleidigung einer Religion oder Religionsgemeinschaft sei in den Niederlanden, anders als in Österreich, nicht strafbar.
Irak – Unabhängigkeitsreferendum: Das Präsidialamt der autonomen kurdischen Region im Nordirak hat ein Referendum über die Unabhängigkeit der Region für den 25. September 2017 angekündigt. Dies meldet spiegel.de. Die irakische Zentralregierung lehnt das Referendum ab. Die Entscheidung könnte zu noch größeren Spannungen zwischen den Volksgruppen des Landes führen.
USA – Bill Cosby: Am zweiten Verhandlungstag im Prozess gegen den US-Schauspieler Bill Cosby wegen des Vorwurfs sexueller Nötigung hat überraschend das mutmaßliche Opfer, Andrea Constand, ausgesagt. Hierüber berichten spiegel.de (Marc Pitzke), zeit.de und BerlZ. Constand habe geschildert, wie Cosby ihr vermeintliche Beruhigungspillen gegeben und anschließend ihre Geschlechtsteile berührt habe. Die ausführliche Vernehmung werde am nächsten Prozesstag fortgesetzt.
Sonstiges
Bundeswehr-Werbung: Anlässlich der Serie "Die Rekruten", mit der die Bundeswehr auf Youtube und RTL II für sich wirbt, erläutert Frederick Ferrau auf juwiss.de die rechtlichen Voraussetzungen eines solchen Regierungshandelns. Zwar habe die Bundesregierung die Kompetenz für Informations- und Öffentlichkeitshandeln, worunter auch werbende Angebote fielen. Indes gebiete das Gebot der Staatsferne die Abwesenheit staatlicher Einflussnahme auf Rundfunkanstalten. Daher könnte etwa eine Kennzeichnungspflicht bei der Ausstrahlung staatlicher Produktionen oder die zeitliche Beschränkung auf ein Bagatellmaß notwendig sein.
Steuerabkommen: In einem völkerrechtlichen Vertrag haben sich 60 Staaten über Maßnahmen geeinigt, um grenzüberschreitende Steuerhinterziehung zu erschweren. Dies berichtet die SZ (Cerstin Gammelin). Auf diese Weise sollen die Empfehlungen der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) und der G-20 gegen aggressive Steuergestaltung in bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen umgesetzt werden. Die USA wirken an dem Vertragswerk nicht mit.
Das Letzte zum Schluss
Handy am Steuer: Ein selbstgedrehter Videoclip auf Facebook wurde der Boulevard-Berühmtheit Verona Pooth zum Verhängnis. Weil sie ihr Handy beim Autofahren zum Filmen genutzt hatte, verhängte die Düsseldorfer Polizei gegen sie ein Bußgeld wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit. Dies meldet spiegel.de Und auch der Inhalt des Videos erregte Anstoß: Pooth war erkennbar nicht angeschnallt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mps
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. Juni 2017: BVerfG kippt Atomsteuer / Österreich plant Klage wegen Maut / May zu Menschenrechten . In: Legal Tribune Online, 08.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23131/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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