Die juristische Presseschau vom 13. bis 15. Mai 2017: Berlin trotzt LAG-Urteil / BSG bestä­tigt Leis­tungs­kür­zungen / Unt­reue-Ver­dacht bei VW

15.05.2017

Justiz

BVerfG zu Gesundheitsversorgung: Rechtsprofessor Stefan Huster nimmt auf verfassungsblog.de einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Anlass, sich mit dem System der Gesetzlichen Krankenversicherungen und Ansprüchen auf Leistungen der Gesundheitsversorgung zu befassen. Das Verfassungsgericht hat im April entschieden, dass ein verfassungsunmittelbarer Anspruch nur bei einer "durch eine nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage" bestehe. Der Autor meint, dass diese Einschränkung in die richtige Richtung weise, und lenkt den Blick auf Legitimationsprobleme des Gemeinsamen Bundesausschusses, der über den Zugang neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den GKV-Versorgungskatalog entscheidet.

BVerfG zu Verlustvortrag: Der Ausschluss vom Verlustvortrag bei einer Übertragung von Anteilen in Höhe von mindestens 25 Prozent verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Die Übertragung indiziere keine missbräuchliche Steuergestaltung. Auch sei nicht ersichtlich, warum sich durch sie die wirtschaftliche Identität einer Gesellschaft ändere. Das Urteil fassen die FAZ (Hendrik Wieduwilt), community.beck.de (Michael Ehret) und lto.de zusammen.

BSG zu Leistungskürzung für Ausländer: Leistungskürzungen für Ausländer, die sich weigern, bei der Passbeschaffung für die eigene Abschiebung mitzuwirken, verstoßen nicht gegen das Grundgesetz. Das hat das Bundessozialgericht entschieden. Geklagt hatte ein Kameruner, dessen Asylantrag abgelehnt worden war. Nachdem er mehrfach von der Ausländerbehörde aufgefordert worden war, bei der Botschaft einen Pass zu besorgen, kürzte ihm das Sozialamt die Leistungen auf das "unabweisbar Gebotene", bestehend aus Unterkunft sowie Gutscheinen für Kleidung und Essen. Vor Gericht berief sich der Kläger auf das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch die Teilhabe am sozialen Leben beinhalte. Das Bundessozialgericht verneinte eine Verletzung, weil der Betroffene sein Verhalten jederzeit ändern könne. Die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt), die Samstags-SZ (Ulrike Nimz) und die Samstags-taz (Christian Rath) berichten.

Bernd Kastner (Montags-SZ) kritisiert die Entscheidung. "In einem humanen Rechtsstaat steht die Würde des Menschen über allem. Auch über dem Wunsch nach Strafe und dem Zorn von Ämtern." Laut Christian Rath (taz.de) ist die Entscheidung hingegen gut begründet. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2012 habe die Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen offen gelassen. Wer sie rechtspolitisch ablehne, müsse Alternativen anbieten. Der vollständige Verzicht auf Abschiebungen gefährde die Akzeptanz des Flüchtlingsschutzes.

LG Potsdam zu Leistungsschutzrecht: Das Landgericht Potsdam hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob es sich beim deutschen Leistungsschutzrecht um "technische Vorschriften" im Sinne der Richtlinie über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften handelt. In diesem Falle hätte vor der Verabschiedung im Bundestag eine Notifizierung bei der EU-Kommission erfolgen müssen. Darauf habe die Bundesregierung jedoch aus Zeitgründen verzichtet, schreibt netzpolitik.org (Leonhard Dobusch).

LG Köln zu Anwaltswerbung: Ein Rechtsanwalt, der Kalender mit Fotos von nackten Frauen und einer Lasche, die auf seine Kanzlei verweist, verschicken wollte, hat erneut eine Niederlage vor Gericht erfahren. Die Rechtsschutzversicherung muss nicht die Kosten für seine Auseinandersetzung mit dem Generalstaatsanwalt tragen, weil er sich bemüht habe, "fernab von Sachargumenten das von ihm gewollte Ergebnis zu begründen", so das Landgericht Köln. Es ist nicht das erste Mal, dass der Anwalt sich um die Grenzen zulässiger Werbung streitet, so lto.de (Pia Lorenz).

EuGH – Uber: Jost Müller-Neuhof (Sonntags-Tsp) begrüßt das Votum des Generalstaatsanwalts, der den Taxiservice Uber als nicht als "Dienst der Informationsgesellschaft" eingestuft hat. Angebote aus der "Sharing Economy" sollten das Geschäft beleben – es jedoch nicht ohne Rücksicht auf nötige Standards unterlaufen.

VerfGH Berlin – Abgeordnetenrechte: Der Berliner FDP-Politiker Marcel Luthe klagt nach einer Meldung des Spiegel (Markus Deggerich) vor dem Verfassungsgerichtshof Berlin gegen die Landesregierung. Er hatte rund 80 Fragen zum Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gestellt und hält die Antworten der Regierung für unzureichend.

BGH – Surfprotokollierung: Der Bundesgerichtshof wird am Dienstag über die Klage des Piraten-Politikers Patrick Breyer gegen die sogenannte Surfprotokollierung entscheiden. Das berichtet die Samstags-taz-Nord (Christian Rath). Nachdem der Europäische Gerichtshof geurteilt habe, dass es sich bei den IP-Adressen um personenbezogene Daten handeln kann, müsse der Bundesgerichtshof entscheiden, ob deren Speicherung durch die Abwehr von Hackerangriffen gerechtfertigt wird.

LG Neubrandenburg – SS-Sanitäter: Das Verfahren gegen den ehemaligen SS-Sanitäter Hubert Z. droht zu platzen. Einem Gutachten zufolge ist der 96-Jährige wegen einer Demenz-Erkrankung nicht mehr in der Lage, sich angemessen zu verteidigen. Das berichtet spiegel.de (Benjamin Schulz). Der Mann, der in in Auschwitz-Birkenau stationiert war, ist wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 3.581 Fällen angeklagt. Staatsanwaltschaft und Nebenkläger werfen dem Gericht vor, durch jahrelanges Hin und Her die Aufarbeitung blockiert zu haben.

StA Braunschweig – Betriebsratsvergütung: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt wegen des Verdachts der Untreue gegen mehrere Manager des VW-Konzerns. Sie werden verdächtigt, dem Betriebsratschef Bernd Osterloh eine zu hohe Vergütung verschafft zu haben. Es berichten die Samstags-FAZ (Marcus Jung/Carsten Germis), die Samstags-SZ (Max Hägler) und das Montags Hbl (Martin Murphy/Stefan Menzel/Volker Votsmeier). community.beck.de (Markus Stoffels) stellt die einschlägigen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes vor und äußert Zweifel, dass diese eingehalten wurden.

BVerwG zu Abgabe tödlicher Medikamente: Das Bundesgesundheitsministerium und das ihm unterstellte Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte müssen bald über die Abgabe tödlicher Medikamente an schwerkranke Menschen entscheiden. Das Bundesverwaltungsgericht hatte im März geurteilt, dass die Abgabe in extremen Ausnahmefällen nicht verwehrt werden dürfe. In dieser Woche sollen nach Informationen des Sontags-Tsp (Jost Müller-Neuhof) die Urteilsgründe zugestellt werden.

BAG zu Kündigung nach Strafanzeige: In der Samstags-FAZ weist Rechtsanwalt Marcel Grobys auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts von Dezember letzten Jahres hin, das die Kündigung einer Arbeitnehmerin bestätigte, die Strafanzeige gegen ihren Arbeitgeber erstattet hatte. Die Strafanzeige komme nur als letztes Mittel nach einer innerbetrieblichen Klärung in Betracht. Außerdem dürfe der Vorwurf nicht völlig haltlos sein, was jedoch laut Gericht der Fall war. Die Juristin und Dozentin hatte ihre Hochschule bezichtigt, im Rahmen einer Evaluation Datenschutzvorschriften verletzt zu haben.

Lammerts Kritik am BVerfG: Dietmar Hipp (Spiegel) bezeichnet die Kritik, die Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) letzte Woche am Bundesverfassungsgericht geäußert hat, in einem Kommentar als "so wohlfeil wie deplatziert". Das von Lammert angeführte Beispiel des Wahlrechts greife nicht, da eine Änderung zugunsten eines kleineren Bundestags nicht am Bundesverfassungsgericht, sondern an den Parteiinteressen gescheitert sei. Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) zeigt sich (im englischsprachigen Editorial) hingegen verständnisvoll. Dass der Gesetzgeber die Verfassung ändern könne, sei keine Drohung, sondern von der Verfassung selbst vorgesehen. Das Verfassungsgericht könne sich auch – anders als der verfassungsändernde Gesetzgeber – nicht auf eine normative Gültigkeit "because I say so" berufen. Karlsruhe sei daher gut beraten, Lammert zuzuhören.

Langsame Ost-Justiz: Verfahren dauern an ostdeutschen Gerichten im Durchschnitt länger als im Westen. Das ergibt sich aus einer vertraulichen Statistik der Bundesländer für das Jahr 2015, die dem Spiegel (Dietmar Hipp) vorliegt. Demnach dauern Zivilverfahren an Amtsgerichten in Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen im Schnitt 5,2 bis 6,1 Monate; in Bayern nur vier Monate. Ähnliches gelte an den Landgerichten und in Strafverfahren der Amtsgerichte. Nur die Strafverfahren an Landgerichten würden in ostdeutschen Ländern ähnlich schnell zu Ende gebracht.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 13. bis 15. Mai 2017: Berlin trotzt LAG-Urteil / BSG bestätigt Leistungskürzungen / Untreue-Verdacht bei VW . In: Legal Tribune Online, 15.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22915/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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