Haben deutsche Flüchtlingshelfer mit Schleppern kooperiert? Außerdem in der Presseschau: Eine anwaltliche Erstberatung darf kostenfrei angeboten werden. Polen ignoriert EuGH-Anordnung zu Waldrodungen.
Thema des Tages
Italien – "Jugend rettet": Die italienische Staatsanwaltschaft hat das Schiff "Iuventa" der deutschen Hilfsorganisation "Jugend rettet" sichergestellt. Hintergrund sind Ermittlungen wegen "Beihilfe zur illegalen Einwanderung". Das Schiff habe im Mittelmeer nicht nur Flüchtlinge in Lebensgefahr gerettet, sondern auch Flüchtlinge von Schleppern "übernommen". Es berichten die SZ (Andrea Bachstein), die FAZ (Jörg Berger) und die taz (Christian Jakob).
Heribert Prantl (SZ) kommentiert: "Offenbar ist es heute so: Wer Flüchtlinge ertrinken lässt, handelt richtig – weil der Tod abschreckt und die Abschreckung von Flüchtlingen als gut gilt. Wer aber Ertrinkende aufs Schiff holt, ist verdächtig – weil er so Sogwirkung erzeuge."
Rechtspolitik
Musterklagen: Rechtsanwalt Robert Peres kritisiert auf lto.de den Plan von Justizminister Heiko Maas (SPD) zur Einführung einer Musterfeststellungsklage. Dies spare der Justiz und den Verbrauchern keine Zeit, weil nach Abschluss des Musterverfahrens doch jeder Verbraucher für sich klagen müsse. Besser seien Sammelklagen, bei denen Verbraucher sofort gemeinsam klagen können.
Hendrik Wieduwillt (FAZ) attestiert im Wirtschafts-Leitartikel dagegen, dass Maas' Entwurf in die richtige Richtung gehe. Kritisiert wird dabei ein älterer Vorschlag der Grünen für eine Gruppenklage mit Opt-Out-Möglichkeit. "Das wäre eine Bevormundung des Verbrauchers, ein Bruch mit Prozessprinzipien und ein Fest für marktschreierische Kanzleien."
Justizpolitik: Der Deutsche Richterbund und der Deutsche Anwaltverein haben der FAZ (Reinhard Müller) gemeinsam ihre Forderungen zur Bundestagswahl vorgestellt. Unter anderem solle das Strafprozessrecht modernisiert werden, inklusive audiovisueller Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen. An Landgerichten solle das Kammerprinzip gegenüber den Einzelrichtern gestärkt werden. Es solle untersucht werden, warum in Zivilverfahren die Klagen so stark zurückgehen. Im Strafrecht sollen Gesetze, die sich nicht bewährt haben, wieder gestrichen werden.
Justiz
EGMR zu Gefährder-Abschiebung: Die SZ (Wolfgang Janisch) analysiert die Anordnung vorläufiger Maßnahmen (Rule 39) durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Fall eines Russen, der aus Deutschland als Gefährder gemäß § 58a Aufenthaltsgesetz abgeschoben werden soll. Der EGMR mache von diesem Instrument nur sehr selten Gebrauch, meist bei Angehörigen von besonders verletztlichen Gruppen. Ein Veto aus Straßburg habe also etwas zu bedeuten.
BGH zu Verzicht auf Anwaltsgebühren: Ein Rechtsanwalt, der seinen Mandanten eine kostenlose Erstberatung anbietet, verstößt damit nicht gegen anwaltliches Gebührenrecht. Dies entschied laut lto.de der Bundesgerichtshof in einem Urteil von Ende Juli. Da das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz keine bestimmte Gebühr für die Erstberatung vorsehe, gebe es auch keine Mindestgebühr, die beachtet werden müsse.
OVG Berlin zu Böhmermann-Presseauskunft: Das Kanzleramt muss einem Journalisten Auskunft geben, ob die Kanzlerin im Fall Böhmermann die Rechtsansicht des Auswärtigen Amtes kannte, bevor sie sich selbst äußerte. Dem presserechtlichen Auskunftsanpruch stünden weder der Schutz der exekutiven Eigenverantwortung noch von außenpolitischen Interessen gegenüber, entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg laut lto.de.
BGH zu Schmerzensgeld: Nachdem die Vereinigten Großen Senate des Bundesgerichtshofs im September 2016 den Vorstoß des 2. BGH-Strafsenats zur Neuausrichtung des Schmerzensgelds abgelehnt hatten, wendet der 2. Strafsenat nun in vielen zwischenzeitlich liegen gebliebenen Adhäsionsverfahren die alte Rechtslage an. blog.burhoff.de (Detlef Burhoff) spricht von "Aufräumarbeiten" und zitiert ausführlich aus einem entsprechenden Beschluss vom Mai.
BFH zu Freimaurerloge: community.beck.de (Claus Koss) analysiert die Entscheidung des Bundesfinanzhofs, dass Freimaurerlogen nicht gemeinnützig sein können, da sie keine Frauen zum "Tempeldienst" zulassen. Der Vergleich mit Männergesangsvereinen gehe fehl, da diese nach außen wirken. Den Freimaurern wird vorgeschlagen für ihre karitativen nach außen gerichteten Tätigkeiten ein Hilfswerk zu gründen, das dann auch gemeinnützig sein könne.
Stephan Radomsky (SZ) hält das BFH-Urteil für richtig, konsequent und angemessen. Er nimmt das Urteil zum Anlass für grundsätzliche Kritik am Gesetzgeber, der geistig noch in den 1960er-Jahren stecke und regelmäßig vom Bundesverfassungsgericht korrigiert werden müsse, etwa bei der Gleichstellung eingetragener Partnerschaften oder der Erbschaftsteuer für Firmenerben.
EuGH/BGH zu Zertifizierung: Das Grund- und Menschenrechte-Blog (Carolijn Terwindt/Marie Miermeister) untersucht, wie die Rechtsprechung von EuGH und BGH zur Haftung des TüV Rheinland im Brustimplantatefall auf andere Konstellationen übertragbar ist, etwa die Haftung europäischer Zertifizierung für einen Fabrikbrand in Pakistan. Auch dort könne ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter angenommen werden.
OLG München – NSU: Gisela Friedrichsen (Welt) bilanziert die Rolle der Nebenkläger-Anwälte im NSU-Prozess. Manche hätten sinnvolle Erkenntnisse beigesteuert, andere den Prozess nur als Bühne zur Diffamierung des Rechtsstaats missbraucht. Der Prozess habe aber keine Hinweise auf weitere Personen erbracht, die neben Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe an der Planung der NSU-Morde beteiligt waren. Dabei werde von der Justiz auch niemand gedeckt.
Die FAZ (Karin Truscheit) greift aus den Plädoyers der letzten Tage die Ausführungen der Bundesanwaltschaft zur Helfer-Rolle Ralf Wohllebens heraus. Sie schildert auch, dass Zschäpe nicht alleinige Kassenwartin des NSU gewesen sein könne. Zschäpes neue Anwälte hätten sich bei den BAW-Plädoyers nur wenige Notizen gemacht.
GenStA Frankfurt/M. – Cum-Ex: Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main wird bald die erste Anklage im Zusammenhang mit steuerhinterziehenden Cum-Ex-Manövern erheben, so eine Online-Vorabmeldung der NJW (Joachim Jahn) und ein Bericht der FAZ (Corinna Budras). Angeklagt werden soll der Rechtsanwalt Hanno Berger, Erfinder der dubiosen Börsengeschäfte rund um den Dividendenstichtag. Berger habe sich allerdings schon vor Jahren in die Schweiz abgesetzt.
LG Duisburg – Loveparade: Der Strafprozess um die Love-Parade-Katastrophe von 2010 beginnt am 8. Dezember. Das teilte laut spiegel.de das Landgericht Duisburg mit. 111 Verhandlungstage bis zum 20. Dezember 2018 stehen bereits fest.
BVerfG – Verfassungsschutz und Vorratsdaten: In Kooperation mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte haben drei Kläger eine Verfassungsbeschwerde gegen das bayerische Landesverfassungsschutzgesetz eingelegt. Zentraler Punkt der Klage ist laut taz (Christian Rath) die Befugnis des bayerischen Verfassungsschutzes, die Daten der Vorratsdatenspeicherung zu nutzen. Diese Befugnis sei wegen eines Widerspruchs zum Bundesrecht "nichtig", weil das Telekommunikationsgesetz dem Verfassungsschutz keinen Zugang zu den Daten gewähre.
BVerfG – U-Haft gegen G-20-Gegner: Die Anwältin Gabriele Heinecke hat für einen 18-Jährigen, der seit dem 7. Juli in Hamburg wegen Teilnahme an gewalttätigen Protesten in Untersuchungshaft sitzt, Verfassungsbeschwerde eingelegt. Zuvor hatte das Oberlandesgericht Hamburg eine Entlassung aus der U-Haft abgelehnt. Den Fall schildert die taz (Katharina Schipkowski), die auch einen Überblick über die bisherige Strafverfolgung im Zusammenhang mit dem G-20-Gipfel in Hamburg gibt.
Recht in der Welt
Venezuela – verfassungsgebende Versammlung: Die Generalstaatsanwältin von Venezuela hat laut spiegel.de beantragt, die eben abgeschlossene Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung zu anullieren und auf deren Konstituierung an diesem Freitag zu verzichten. Die Manipulationsvorwürfe schildert die taz (Jürgen Vogt).
Brasilien – Präsident Temer: Das Abgeordentenhaus von Brasilien hat die Bestechungs-Anklage des Generalstaatsanwalts gegen Präsident Temer mit 263 von 513 Stimmen abgelehnt. Für eine Weiterleitung der Anklage an den Obersten Gerichtshof wäre eine Zweidrittel-Mehrheit erforderlich gewesen. Wie die FAZ (Matthias Rüb) und die SZ (Boris Herrmann) berichten, soll Temer kurz vor der Abstimmung dafür gesorgt haben, dass viele teure Infrastrukturprojekte in den Wahlkreisen von wankelmütigen Abgeordneten genehmigt wurden.
USA – Wahlkampfmanipulation: Der Sonderermittler Robert Mueller, der eine mögliche russische Einflussnahme auf die US-Präsidentschaftswahl untersucht, hat laut zeit.de eine Grand Jury einberufen. Die auch "Anklagekammer" genannte Grand Jury kann über die Erhebung einer Anklage entscheiden.
USA – Sanktionen: Eine neue gesetzliche Bestimmung, die es dem US-Präsidenten erlaubt, Sanktionen gegen "Personen" zu verhängen, die mit ihren Investitionen Russland dabei unterstützen, Pipelines zum Energieexport zu bauen, sei völkerrechtswidrig, soweit die USA hier auch Sanktionen gegen europäische Unternehmen verhängen können. Das analysiert das Hbl (Dana Heide). Europäische Gegenmaßnahmen, etwa eine Klage bei der WTO, seien aber langwierig und ermöglichten letztlich nur Gegensanktionen.
Polen – Urwald: Der Europäische Gerichtshof hat auf Antrag der EU-Kommission kurzfristig den sofortigen Stopp der Abholzung im Bialowieza-Urwald verfügt. Die polnische Regierung hat erklärt, dass sie die Anordnung missachten wird, so spiegel.de. Europarechtler halten den Vorgang für äußerst bedenklich.
Polen – Tusk: Die FAZ (Konrad Schuller) erläutert, wie Polens Regierung versucht, den polnischen EU-Ratsvorsitzenden Donald Tusk mit Prozessen in die Enge zu treiben. Dieser sei verantwortlich, dass der Flugzeugabsturz von Smolensk, bei dem der damalige Präsident Lech Kaczynski ums Leben kam, von russischer Seite nicht richtig untersucht wurde.
Polen – NS-Reparationen: Die Forderung der polnischen Regierung nach Reparationen für die NS-Verbrechen in Polen seien "völkerrechtlich und politisch" nur "leere Drohungen", schreibt die Welt (Felix Kellerhoff). "Weder die Bundesrepublik als Staat noch Firmen oder Einzelpersonen schulden heute Polen noch irgendwelche Ersatzzahlungen." Die "Welt" zeichnet Verzichtserklärungen und Zahlungen aus den Jahren 1945, 1953 und 1991 nach.
Das Letzte zum Schluss
Bissiger Papagei: Wer in einer Tierhandlung von einem Papagei gebissen wird, kann auf Grundlage der Tierhalterhaftung Schadensersatz verlangen. Dies entschied das Landgericht Düsseldorf. Das Opfer, das sieben Wochen krankgeschrieben war, erhielt 500 Euro Schmerzensgeld und 3.600 Euro Verdienstausfall, berichtet justillon (Stephan Weinberger).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 4. August 2017: "Jugend rettet" unter Verdacht / Verzicht auf Anwaltsgebühren kann legal sein / Konflikt um polnischen Urwald . In: Legal Tribune Online, 04.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23795/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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