Die Europäische Menschenrechtskonvention greift nur bedingt in Kirchensteuer-Fragen. Außerdem in der Presseschau: Betrachtungen zum islamistischen und zum RAF-Terror, Minderheitenrechte im US-Senat wurden geändert.
Thema des Tages
EGMR zu Kirchensteuer: Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist keine Verletzung der Religionsfreiheit gegeben, wenn Konfessionslose in Ausnahmefällen Kirchensteuer zahlen müssen. Beschwert hatte sich ein Mann aus Heidelberg, der selbst keiner Kirche angehört. Aufgrund gemeinsamer Veranlagung mit seiner Ehefrau, die Mitglied einer evangelischen Kirche ist, musste er jedoch deren Kirchensteuer mittragen. Der Gerichtshof sah darin kein Problem, weil es die eigene, jederzeit rückgängig machbare Entscheidung des Ehepaares gewesen sei, eine gemeinsame Steuererklärung abzugeben.
Wie die taz (Christian Rath) berichtet, hat der Gerichtshof vier weitere Beschwerden mit Kirchenfinanzbezug mit der Begründung für unzulässig erklärt, dass die Erhebung von Kirchensteuern eine autonome Entscheidung der Kirchen sei, die dem Staat nicht zugerechnet werden könne und die Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention nur gegenüber diesem Geltung beanspruchten. Über die Entscheidung schreibt auch die FAZ (Hendrik Wieduwilt).
Rechtspolitik
NetzDG: Der vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes gefährdet nach Auffassung des Politikwissenschaftlers Lennart Mühlenmeier, publiziert auf netzpolitik.org, elementare Funktionsweisen des Rechtsstaats, ohne dabei eigentliche Probleme wie "Hate Speech" und "Fake News" zu bekämpfen. Auf zpoblog.de (Benedikt Windau) wird dafür plädiert, statt neue bürokratische Verfahren zu schaffen, die bestehenden Instrumente der Zivilprozessordnung zum einstweiligen Rechtsschutz weiterzuentwickeln.
"Deutscher Herbst": Anlässlich des 40. Jahrestags des RAF-Anschlags auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback am heutigen Freitag erinnert Jost Müller-Neuhof (Tsp) daran, dass die Attentate und Täter von heute anderen Typs seien. Der aktuelle Typus des islamistischen "Gefährders" brauche vor allem eines: Aufmerksamkeit. Man müsse ihn kontrollieren und ihm klar machen, dass er kontrolliert werde, notfalls auch durch strikt begrenzte Haft, wenn Terrorabsichten mit Tatsachen belegbar seien. Hier fänden sich noch Räume, die der Gesetzgeber füllen könne. Nach Meinung von Reinhard Müller (FAZ) kommt, anders als bei RAF-Terroristen, ein Dialog mit islamistischen Terroristen kaum in Betracht. Der Staat müsse heute wieder unmissverständlich klar machen, dass jedes Verbrechen konsequent verfolgt werde und Mord niemals verjähre. Auch Heribert Prantl (SZ) weist darauf hin, dass viele der Taten des "Deutschen Herbstes" bis heute nicht aufgeklärt wurden. Nach Schilderung der SZ (Wolfgang Janisch) zeigte sich unter den beim Richter- und Staatsanwaltstag in Weimar anwesenden Juristen deutlich die Sorge um den Zustand des Rechtsstaates, unter anderem weil nach jedem Anschlag nach schärferen Sicherheitsgesetzen gerufen werde.
Familiennachzug: Katharina Schuler (zeit.de) schreibt von einer familienpolitischen Doppelmoral, die sich daraus ergebe, dass sich die CDU einerseits für die Förderung von Familien ausspreche, beim Familiennachzug von Flüchtlingen jedoch hart bleibe. So hätten Innenpolitiker von CDU und CSU gefordert, dass die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte verlängert werde. Dies sei verfassungsrechtlich höchst bedenklich.
Aktionärsrechte-Richtlinie: Nach Meldung des Rechtsprofessors Ulrich Noack auf blog.handelsblatt.com ist die neue Aktionärsrechte-Richtlinie verabschiedet worden. Zur Umsetzung hätten die Mitgliedstaaten 24 Monate Zeit. Ein Schwerpunkt sei die Deanonymisierung des Aktionariats.
Justiz
EuGH zu Rosneft: Auf verfassungsblog.de erläutert der Rechtsprofessor Peter Van Elsuwege (in englischer Sprache) die Rosneft-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem März 2017, in der es um einschränkende Maßnahmen des Rates gegen russische Unternehmen, einschließlich der Ölfirma Rosneft ging. Die Entscheidung sei bedeutend, da sie kläre, inwieweit das Gericht die Jurisdiktion im Hinblick auf Akte der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union habe.
BGH zu Haftung der Eltern: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Eltern grundsätzlich nicht für Einkäufe haften, die ihre minderjährigen Kinder über 0900-Telefonnummern tätigen. Dies ergebe sich aus einer Sondervorschrift im Telekommunikationsgesetz, berichtet die FAZ (Marcus Jung).
BGH zu Haftung von Architekten: Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs, über die der Rechtsanwalt Friedrich-Karl Scholtissek in der FAZ berichtet, können sich Architekten zukünftig nicht mehr wie bisher formularmäßig von Schadensersatzansprüchen für Mängel am Bauwerk freizeichnen.
BGH zu Bausparern: Wie die SZ (Benedikt Müller) schreibt, können Bausparer nach der nun veröffentlichten schriftlichen Urteilsbegründung des Bundesgerichtshofs über die Kündbarkeit von Bausparverträgen doch Anspruch darauf haben, dass ihre Verträge zumindest eine Zeit lang weiterlaufen.
OLG München zu Onlineberatung: Das Oberlandesgericht München hat entschieden, dass das Vergleichsportal Check 24 Kunden vor dem Online-Abschluss einer Versicherung besser beraten müsse. So müsse die eigene provisionsorientierte Maklertätigkeit künftig offengelegt und auch die Befragungs- und Beratungsleistung verbessert werden, berichtet die FAZ (Henning Peitsmeier).
LAG Berlin-Brandenburg zu Arbeitskämpfen: Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass es der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nicht grundsätzlich untersagt werden kann, Arbeitskampfmaßnahmen auf dem Betriebsgelände von Amazon durchzuführen. Wie der Rechtsprofessor Christian Rolfs auf community.beck.de erläutert, ist das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz in einem genau gleich gelagerten Fall unlängst zu einer gegenteiligen Entscheidung gelangt.
Wirtschaftsstaatsanwaltschaften: Heribert Prantl (SZ) wirft die Frage auf, ob die großen Zeiten der Staatsanwaltschaften in puncto Wirtschaftskriminalität vorbei seien, spektakuläre Erfolge blieben jedenfalls aus. Es bestehe die Vermutung, dass zu viel und zu schnell angeklagt werde. Dabei erfordere es mehr Mut, auch einmal ein Verfahren einzustellen. Nicht alles, was empörend sei, habe auch strafrechtliche Substanz.
Recht in der Welt
Türkei – Ermittlungen gegen Imame: Wie die BerlZ (Christian Bommarius) berichtet, ermitteln deutsche Behörden gegen 20 Imame des islamischen Verbands Türkisch-Islamische Union (Ditib), die in der Bundesrepublik Deutschland Anhänger der Gülen-Bewegung ausspioniert haben sollen.
Türkei – Verurteilter Fußballer: Der türkische Fußballspieler Deniz Naki ist von einem Gericht in Diyarbakir zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden, weil er in sozialen Netzwerken PKK-Propaganda verbreitet haben soll. Wie die SZ (Sebastian Fischer) schreibt, halten Prozessbeobachter das Urteil, das nach nicht einmal 30-minütiger Verhandlung erging, für politisch motiviert.
USA – Senat ändert Verfahrensregeln: In der Auseinandersetzung um die Ernennung des Bundesrichters Neil Gorsuch zum neuen beisitzenden Richter am Obersten Gerichtshof der USA hat der US-Senat mit den Stimmen der republikanischen Senatoren die Regelung zum sogenannten Filibuster geändert. Supreme-Court-Ernennungen werden nun nicht mehr durch oppositionelle Dauerreden behindert werden können, wie unter anderen die FAZ berichtet.
Sonstiges
Anis Amri: Die SZ (Jan Bielicki/Stefan Braun) gibt einen weiteren Überblick darüber, was der Untersuchungsausschuss im Landtag von Nordrhein-Westfalen zum Fall Anis Amri zu Tage förderte. Ronen Steinke (SZ) findet es erstaunlich, mit welch beneidenswerter Selbstgewissheit manche Politiker dort Anklagen gegeneinander erhoben hätten.
Fall Bögerl: Wie die SZ (Josef Kelnberger) schreibt, hat sich der Fall der ermordeten Millionärsgattin Maria Börgerl zu einem Albtraum für die Polizei entwickelt. Der Fall sei von Anfang an reich an Ermittlungspannen gewesen. Fast sieben Jahre nach der Tat sei nun ein neuerlicher Fehlschlag festzustellen und ein Tatverdächtiger, der nach groß angelegter öffentlicher Fahndung festgenommen wurde, wieder freigelassen worden.
NSU-Ermittlungen – Forensic Architecture: Auch auf zeit.de (Tom Sundermann/Sybille Klormann) werden die Ergebnisse des Londoner Forscherteams Forensic Architecture im NSU-Zusammenhang erläutert. Danach sei davon auszugehen, dass der Verfassungsschützer Andreas Temmel mitbekommen habe, wie Halit Yozgat, eines der mutmaßlich von NSU-Tätern getöteten Anschlagsopfer, in seinem Internetcafé erschossen wurde.
Das Letzte zum Schluss
Hitler zum Ausmalen: Wie u.a. die taz (Tobias Müller) berichtet, fand sich in einem an Kinder adressierten Malen-Nach-Zahlen-Buch einer niederländischen Drogeriekette ein Bild von Hitler wieder. Nach Beschwerden auf der Facebook-Seite des Unternehmens wurden die entsprechenden Bücher aussortiert.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ml
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7. April 2017: Kirchensteuer für Konfessionslose / Buback-Gedenken / Minderheitenschutz im US-Senat . In: Legal Tribune Online, 07.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22589/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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