Der Europäische Gerichtshof hat über Kopftuchverbote in privaten Unternehmen entschieden. Außerdem in der Presseschau: Ein Gesetz gegen Online-Hass wird geplant und das neue Bauvertragsrecht ist beschlossene Sache.
Thema des Tages
EuGH zu Kopftuch: Private Unternehmen dürfen das Tragen eines Kopftuchs am Arbeitsplatz unter bestimmten Bedingungen verbieten. Das hat der Europäische Gerichtshof in zwei Fällen aus Belgien und Frankreich entschieden, in denen muslimische Mitarbeiterinnen entlassen worden waren. Das Kopftuchverbot kann danach zulässig sein, wenn das Unternehmen eine allgemeine betriebliche Neutralitätsregelung aufstellt. Dies soll keine unmittelbare Diskriminierung darstellen, weil sich das Neutralitätsgebot gegen alle Religionen gleichermaßen richte. Auch eine darin möglicherweise zu sehende mittelbare Diskriminierung kann durch den Wunsch des Unternehmens gerechtfertigt sein, Neutralität gegenüber Kunden zu wahren. Jedenfalls ist aber, wie im zweiten Fall aus Frankreich, nicht ausreichend, dass das Verbot lediglich auf den Wunsch eines Kunden zurückgeht. Die beiden Urteile besprechen die SZ (Wolfgang Janisch), die FAZ (Marcus Jung), die taz (Christian Rath), der Tsp (Jost Müller-Neuhof) und Rechtsanwältin Sabine Jantzen auf lto.de.
Für Heribert Prantl (SZ) stellen die Urteile "Leitentscheidungen gegen die Religionsfreiheit" dar. Reinhard Müller begrüßt in der FAZ die Entscheidungen und meint, das freie Europa dürfe sich nicht für radikale politische Signale missbrauchen lassen. Christian Rath (BadZ) befürchtet einen Rückschlag für die Integration strenggläubiger Muslime, falls viele Unternehmen nun solche Neutralitätsregeln einführten.
Die FAZ (Alexander Hagelüken u.a.) befasst sich mit der Unternehmenspolitik in Deutschland; hier gibt es in den meisten Branchen keine Richtlinien oder Handlungshilfen zum Umgang mit religiösen Symbolen. spiegel.de (Matthias Kaufmann) interviewt Rechtsanwältin Doris-Maria Schuster zu den Konsequenzen für deutsche Unternehmen.
Rechtspolitik
Soziale Netzwerke: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will soziale Netzwerke zu einem schnelleren und effektiveren Vorgehen gegen rechtswidrige Inhalte, Hasskommentare und "Fake News" verpflichten. Dazu hat er einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, wie unter anderem die SZ (Nico Fried), die FAZ (Hendrik Wieduwilt), netzpolitik.org (Markus Reuter), internet-law.de (Thomas Stadler) und lto.de (Pia Lorenz) berichten. Facebook und andere Social-Media-Anbieter sollen zur Einrichtung eines Meldeverfahrens angehalten werden, offensichtlich strafbare Inhalte schon innerhalb von 24 Stunden löschen und Mechanismen gegen erneutes Einstellen implementieren. Bei Verstoß drohen Bußgelder in Millionenhöhe. Zudem wird eine Berichtspflicht über die Umsetzung der Maßnahmen geschaffen.
Detlef Esslinger (SZ) begrüßt den Entwurf als einen Anfang, den "verbalen Kampf aller gegen alle" auf den Plattformen einzudämmen. Alfons Kaiser (FAZ) fordert eine bessere Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden, "um gegen kriminelle Handlungen in dieser Parallelwelt vorgehen zu können".
Mega-Bundestag: Die Welt (Daniel Friedrich Sturm) befasst sich mit dem Problem der wachsenden Zahl von Bundestagssitzen aufgrund von Überhang- und Ausgleichsmandaten. Die Gefahr bestehe nach wie vor, dass die Zahl der Bundestagsabgeordneten auf bis zu 700 steigt. Neben der Idee einer Obergrenze, die Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) vorgebracht hat, schlage Wahlrechtsexperte Frank Decker vor, Überhangmandate mit Listenmandaten eines anderen Bundeslandes zu verrechnen. Eine Reform wird in dieser Legislaturperiode jedoch nicht mehr angestrebt.
Bauvertragsrecht: Der Bundestag hat die Reform des Bauvertragsrechts verabschiedet, mit der die Materie eigenständig geregelt wird. Rechtsanwalt Paul Popescu erläutert auf lto.de die Einzelheiten der Novelle, die unter anderem ein Anordnungsrecht des Bestellers, Vergütungsregelungen und Regelungen zu Abschlagszahlungen und Abnahme vorsieht. Daneben wurde im Kaufrecht die Rechtsprechung zu den Ein- und Ausbaukosten bei Mängelbeseitigung umgesetzt.
Bayerisches Polizeirecht: Der Akademische Rat Martin Heidebach analysiert auf juwiss.de die Reform des bayerischen Polizeirechts, die zahlreiche Erweiterungen polizeilicher Befugnisse vorsieht. Die neu geschaffene Kategorie der "drohenden Gefahr" hält der Autor für eine verfassungswidrige Absenkung der Gefahrenschwelle.
Kindergeld für Unionsbürger: Nun berichtet auch die SZ (Cerstin Gammelin) von der gestoppten Kürzung des Kindergeldes für EU-Ausländer, deren Kinder im Herkunftsland verblieben sind. Rechtsprofessor Thorsten Kingreen erläutert auf verfassungsblog.de die deutsche und europäische Rechtsgrundlage der Debatte.
Steuerreform: Die FAZ (Manfred Schäfers/Henrike Roßbach) stellt die Steuerreformvorschläge von Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) dar. In dem Papier, das am Donnerstag vorgestellt werden soll, will die Ministerin mittlere Einkommen entlasten, das Ehegattensplitting durch ein Realsplitting ersetzen und die Besteuerung von Eigenkapital reformieren.
Justiz
BVerfG zu Wahlkampfauftritten: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Wahlkampfauftritten ausländischer Politiker analysiert nun der Juniorprofessor Matthias Goldmann auf verfassungsblog.de. Die Zulassung von Wahlkampfauftritten hatte das Gericht in das außenpolitische Ermessen der Bundesregierung gestellt. Der Autor meldet Bedenken in Bezug auf die Versammlungsfreiheit der Gastgeber sowie private Reisen von Regierungsmitgliedern an.
OLG München – "Oldschool Society": Der einjährige Prozess gegen die sogenannte Oldschool Society könnte mit dem Urteil am heutigen Mittwoch sein Ende finden. Den drei Männern und einer Frau, die sich in sozialen Netzwerken radikalisiert haben sollen, wird unter anderem die Bildung einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags vorgeworfen. Die SZ (Ronen Steinke u.a.) bringt einen Prozessbericht zum jüngsten Gerichtstermin. Das Urteil hänge davon ab, wie das Gericht die ausgetauschten Gewaltfantasien werte.
LG Paderborn – Höxter: Der Angeklagte im Höxter-Prozess, Wilfried W., hat erstmals ausgesagt, wie die FAZ (Katrin Hummel), die SZ (Hans Holzhaider) und spiegel.de (Ansgar Siemens) berichten. In der schriftlichen Einlassung weist er die Schuld an den grausamen Morden von Höxter seiner ehemaligen Ehefrau und Mitangeklagten Angelika W. zu. Sie soll die Dominante und die Sadistin in der Beziehung gewesen sein.
LG Frankfurt – S&K-Prozess: Infolge eines "Deals" im S&K-Prozess haben die Angeklagten und Gründer der Firma, Stephan Schäfer und Jonas Koller, Geständnisse abgelegt. Im Gegenzug zum Geständnis der Untreue soll der Betrugsvorwurf fallengelassen werden und die Haftstrafe geringer ausfallen. Zu rechnen sei mit einer Haft von achteinhalb bis neuneinhalb Jahren, erklären die FAZ (Marcus Jung), die SZ (Markus Zydra) und das Hbl (Katharina Schneider).
OLG Dresden – Gruppe Freital: Im Prozess gegen die Gruppe Freital wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung hat der jüngste Angeklagte, Justin S., seine Beteiligung an Anschlägen auf ein Flüchtlingsheim und ein alternatives Wohnprojekt eingeräumt und die Mitangeklagten als Rädelsführer und Organisatoren schwer belastet, meldet zeit.de.
Recht in der Welt
Vereinigtes Königreich – Verständigung bei Strafverfolgung: Die Anwälte Heiner Hugger und David Pasewaldt erläutern im Recht-und-Steuern-Teil der FAZ die britische Form der Verständigung zwischen Unternehmen und Staatsanwaltschaft bei Ermittlungen wegen Korruptionsverdachts. Dort ist die Einstellung der Ermittlungen gegen eine Geldstrafe zulässig, wenn das Unternehmen vollständig kooperiert und die Verantwortlichen keine leitenden Funktionen mehr ausübten.
EGMR zu Ungarn: Wie unter anderem focus.de meldet, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Ungarn zur Zahlung einer Entschädigung verurteilt, weil das Land die Kläger als Asylbewerber in einer Transitzone festgehalten und nach Serbien abgeschoben hatte. Das Gericht rügte, die Behörden hätten die Anträge nicht individuell geprüft.
Vereinigtes Königreich – Brexit: Nun berichten auch die taz (Dominic Johnson/Eric Bonse) und die SZ (Alexander Menden) von der Verabschiedung des Brexit-Gesetzes durch das britische Parlament. Nach der Unterschrift der Queen soll der Brexit-Antrag gestellt werden, der die Austrittsverhandlungen auslöst.
Sonstiges
Fischer zu Strafprozess: Bundesrichter Thomas Fischer nimmt in seiner wöchentlichen Kolumne auf zeit.de zunächst Bezug auf die Causa Rainer Wendt und erklärt im Folgenden die Bestandteile eines strafrechtlichen Urteils sowie die Voraussetzungen von Berufung und Revision. Anschließend plädiert er für die technische Aufzeichnung der Hauptverhandlung.
Know-how-Richtlinie: Zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen hat die EU-Kommission die Know-how-Richtlinie erlassen, die bis Mitte nächsten Jahres umgesetzt werden muss. Die Rechtsanwälte Udo Kornmeier und Ramon Glassl fassen für die FAZ die Regelungen der Richtlinie zusammen. Danach wird der Schutz gegenüber dem geltenden Recht ausgeweitet, allerdings nur, wenn die Unternehmen die Geheimnisse aktiv durch Geheimhaltungsmaßnahmen schützen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 15. März 2017: Kopftuchverbot in Unternehmen / Hate-Speech-Gesetz vorgeschlagen / Bauvertragsrecht beschlossen . In: Legal Tribune Online, 15.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22365/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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