Das Recht auf Vergessenwerden gilt laut EuGH nicht gleichermaßen für Gesellschaftsregister. Außerdem in der Presseschau: Im Bundestag wird über Datenschutz diskutiert und der BGH hat Zahlen zu Nebeneinkünften der Richter veröffentlicht.
Thema des Tages
EuGH zu Gesellschaftsregister: Einträge in Gesellschaftsregistern müssen nicht nach einer bestimmten Frist gelöscht oder anonymisiert werden. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Das Gesellschaftsregister diene der Rechtssicherheit und habe auch über die Auflösung einer Gesellschaft hinaus Bedeutung. Wann Informationen gelöscht werden müssten, sei den Mitgliedstaaten überlassen. Im Einzelfall könne die Speicherung auch gegen Unionsrecht verstoßen. Im konkreten Fall habe der Kläger jedoch kein "Recht auf Vergessenwerden". Die FAZ (Marcus Jung) fasst das Urteil zusammen.
In einem gesonderten Kommentar äußert sich Marcus Jung (FAZ) zustimmend: Wer als Geschäftsführer oder Vorstand Verantwortung übernehme, habe sich auf die Regeln des Wirtschaftslebens einzustellen.
Rechtspolitik
GWB-Novelle: Der Bundestag hat die 9. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen beschlossen. Das melden die FAZ (Kerstin Schwenn) und die SZ (Michael Kläsgen). Nach den Änderungen kann das Bundeskartellamt einfacher gegen Machtmissbrauch auf digitalen Märkten vorgehen. Außerdem wird die Ministererlaubnis zeitlich gestrafft, Klagemöglichkeiten werden eingeschränkt.
Neues Bauland: Der Bundestag hat beschlossen, die Ausweisung von neuem Bauland zu erleichtern. In dem Gesetz, das gestern vom Bundestag beschlossen wurde und eigentlich EU-Vorgaben umsetzt, ist ein Passus enthalten, nach dem Gemeinden am Ortsrand Neubaugebiete ohne Umweltverträglichkeitsprüfung ausweisen dürfen. Damit soll die Wohnungsnot gelindert werden. Experten und Umweltschutzverbände warnten vor einem massiven Anstieg des Flächenverbrauchs, schreibt die SZ (Michael Bauchmüller).
In einem gesonderten Kommentar kritisiert Michael Bauchmüller (SZ) das Gesetz. Es löse nicht die Probleme in den Städten, sondern führe zu Wildwuchs auf dem Land. Deutschland verbaue seine Dörfer.
Zugriff auf Passbilder: netzpolitik.org (Markus Reuter) weist auf einen gestern im Bundestag behandelten Gesetzentwurf hin, mit dem Geheimdienste Zugriff auf die Passbilder der Bürger erhalten sollen. Dadurch "könnte durch die Hintertür eine zentrale biometrische Datenbank aller Bürger entstehen".
Datenschutzreform: Im Bundestag wurde gestern über das Datenschutzanpassungsgesetz beraten, mit dem unter anderem die EU-Datenschutzgrundverordnung umgesetzt werden soll. netzpolitik.org (Simon Rebiger) stellt den Gesetzentwurf und andere datenschutzrechtlich relevante Vorhaben vor. In einem Gastbeitrag für netzpolitik.org kritisiert Heinrich Dorn, der in der Privatwirtschaft als betrieblicher Datenschutzbeauftragter tätig ist, die Bundesregierung dafür, dass sie die Betroffenenrechte gegenüber der Datenschutzgrundverordnung einschränken will.
Autonomes Fahren: Am heutigen Freitag wird im Bundestag ein Gesetzentwurf diskutiert, der das autonome Fahren insbesondere in Hinblick auf Haftungsfragen regeln soll. Den Vorschlag und die Kritik daran stellt die SZ (Markus Balser/Max Hägler) vor. Die taz (Tanja Tricarico) beleuchtet die datenschutzrechtlichen Probleme, die damit einhergehen, dass der Computer im Fahrzeug zahlreiche Informationen speichert.
Sichere Herkunftsstaaten: Die Einstufung von Marokko, Algerien und Tunesien als "sichere Herkunftsstaaten" im Sinne des Asylrechts wird voraussichtlich im Bundesrat keine Mehrheit finden. Bei der für den heutigen Freitag angesetzten Abstimmung wollen Berlin, Bremen und Thüringen gegen das Gesetz stimmen, die meisten anderen Länder mit grüner Regierungsbeteiligung wollen sich enthalten. Das berichtet die taz (Christian Jakob).
Handydaten: Die SZ (Lena Kampf/Georg Mascolo) befasst sich mit den Plänen der Bundesregierung, die Handys von Flüchtlingen auszulesen und die Daten auszuwerten. Am heutigen Freitag soll der Gesetzentwurf im Bundestag diskutiert werden. Unklar sei noch, ob der von Grünen-Justizministern geforderte Richtervorbehalt aufgenommen werde und wer Zugriff auf die Daten erhalten soll.
Justiz
BGH – Nebeneinkünfte: Beim Jahrespresseempfang des Bundesgerichtshofs hat Gerichtspräsidentin Bettina Limperg Zahlen zu den Nebeneinkünften der BGH-Richter genannt. 92 von 135 Richtern gingen überhaupt entgeltlichen Nebentätigkeiten nach. Die Einnahmen lägen im Schnitt unter 10.000 Euro. Nur ein Richter hebt sich laut einer Antwort auf eine Bundestagsanfrage der Grünen mit 275.400 Euro ab. Dabei handelt es sich, so wird vermutet, um Thomas Fischer, den Autor des bekannten Strafrechtskommentars, der nach Informationen der taz (Christian Rath) die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand zum 30. April beantragt hat.
In einem gesonderten Kommentar meint Christian Rath (taz), dass Verbote und Obergrenzen für Nebentätigkeiten nicht erforderlich seien, solange die Richter ihre Arbeit in hoher Qualität erledigten. Sinnvoll sei jedoch im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Richter die Offenlegung der Herkunft von Nebeneinkünften: "Dann sieht jeder, ob der Vorsitzende des Banken-Senats ständig gut bezahlte Vorträge bei den Verbänden der Bankwirtschaft hält."
BGH – BND-Kontrolle: Das unabhängige Gremium, das die sogenannte Ausland-Ausland-Aufklärung des Bundesnachrichtendienstes kontrollieren soll, hat seine Arbeit aufgenommen. Ihm gehören zwei Richter des Bundesgerichtshofs sowie ein Bundesanwalt an. Das Gremium sei zwar am BGH angesiedelt und funktioniere wie ein Spruchkörper, spreche aber kein Recht, betonte BGH-Präsidentin Bettina Limperg laut lto.de (Pia Lorenz).
BVerfG – Bots: Das Bundesverfassungsgericht muss sich mit dem Vertrieb von Software befassen, mit der Computerspiele teilweise automatisiert durchgespielt werden, um schneller die Ziele zu erreichen. Gegen den Verkauf dieser sogenannten Bots ist der Hersteller des Online-Spiels "World of Warcraft" unter Berufung auf § 4 UWG vorgegangen. Zuletzt hat der Bundesgerichtshof das Urteil gegen den Bot-Hersteller bestätigt. Dieser wehrt sich jetzt mit einer Verfassungsbeschwerde, die lto.de (Maximilian Amos) vorliegt, und rügt die Verletzung der Berufsfreiheit und des Gleichheitssatzes.
Klagen von Atomkonzernen: Die Bundesregierung hat sich mit den Energieriesen Vattenfall, Eon , RWE und EnBW über Details zum Umgang mit atomaren Altlasten verständigt. Danach nehmen die Atomkonzerne nicht, wie ursprünglich von der Bundesregierung gefordert, alle Klagen zurück. Anhängig bleiben die Klagen gegen die Brennelementesteuer und ein Verfahren vor einem Schiedsgericht in den USA, schreiben FAZ (Helmut Bünder/Manfred Schäfers) und spiegel.de.
EuGH zu humanitären Visa: Die Juristin Pauline Endres de Oliveira kritisiert auf verfassungsblog.de die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, nach der das Europarecht nicht die Erteilung von Visa zum Zweck der Asylantragstellung gebietet. Der Gerichtshof vernachlässige das europäische Primärrecht und stütze letztlich "die im Namen der nationalen Souveränität geführte Abschottungspolitik der Mitgliedstaaten". Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Catharina Ziebritzki stellt in einem zweiten Teil auf verfassungsblog.de das Urteil dem Schlussantrag des Generalanwalts Mengozzi gegenüber, der einen Anspruch auf Visa vertreten hatte. Die umstrittenen rechtlichen Fragen würden durch das EuGH-Urteil nicht geklärt.
OLG Oldenburg zu Bargeld: In einem Beitrag zu Gefahren, die mit dem Aufbewahren größerer Bargeldsummen einhergehen, weist die SZ (Caroline Biallas/Lea Hampel) auf einen Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg von Januar dieses Jahres hin. Danach muss eine Versicherung nicht gesondert auf eine Klausel hinweisen, die die Erstattung von gestohlenem Bargeld auf 1.100 Euro begrenzt.
Recht in der Welt
USA – Einreisestopp: Nachdem US-Präsident Donald Trump einen neuen Einreisestopp für Staatsangehörige von einigen mehrheitlich muslimischen Ländern erlassen hat, haben die US-Bundesstaaten Hawaii, New York und Washington angekündigt, juristisch dagegen vorzugehen. Das melden spiegel.de und zeit.de. Ein vergleichbares Dekret war von mehreren Gerichten vorläufig ausgesetzt worden.
Griechenland – Reform des Staates: Als Aufschlag zu einem (englischsprachigen) Online-Symposium auf verfassungsblog.de schlagen Armin von Bogdandy und Michael Ioannidis vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht vor, dass bis zu 500 oder gar 1.000 qualifizierte Fachkräfte aus Griechenland und der griechischen Diaspora Schlüsselpositionen im griechischen Staat erhalten sollen. Die Stellen sollten nach EU-Standards ausgeschrieben und bezahlt und aus den internationalen Hilfspaketen finanziert werden. In mehreren Beiträgen antworten die Rechtswissenschaftler András Jakab, Achilles Skordas, Angelos Chaniotis und Pál Sonnevend auf den Vorschlag.
EGMR – Inhaftierungen in der Türkei: In einem Beitrag aus der Reihe "Türkische Chronik" der SZ beschäftigt sich Yavuz Baydar, türkischer Journalist und Blogger, mit der Frage, ob Erdoğan auf dem Weg zum Autoritarismus noch aufzuhalten ist. Die rechtlichen Grundlagen seien dazu vorhanden. Nach anfänglichem Zögern habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angekündigt, sich bald mit zwei Fällen von inhaftierten Journalisten zu befassen.
Sonstiges
Kündigung von Bausparverträgen: Die Aachener Bausparkasse hat zahlreiche gut verzinste Bausparverträge gekündigt. Anders als in den vom Bundesgerichtshof bereits entschiedenen Fällen, in denen dieser ein Recht zur ordentlichen Kündigung zehn Jahre nach Zuteilungsreife annahm, beruft sich die Bausparkasse auf die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB), alternativ auf die Kündigung aus wichtigem Grund (§ 314 BGB). Hintergrund ist das Niedrigzinsniveau, mit dem viele Bausparkassen kämpfen. Das Vorgehen des kleinen Instituts und die rechtlichen Rahmenbedingungen schildert die FAZ (Marcus Jung).
Türkischer Wahlkampf im Ausland: Auftritte türkischer Regierungsmitglieder in Deutschland sind nicht nur nach deutschem Recht problematisch, sondern verstoßen nach Berichten von Welt (Wolfgang Büscher u.a.) und zeit.de auch gegen das türkische Wahlgesetz. In dessen Artikel 94/A heiße es: "Im Ausland und in Vertretungen im Ausland kann kein Wahlkampf betrieben werden." Die türkische Regierung plane dennoch 30 Auftritte in Deutschland.
Organisierte Kriminalität: Laut dem Sicherheitsbericht von Europol ist die Zahl der kriminellen Organisationen in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Im Interview mit der Welt (Marco Tripmaker) äußert sich Arndt Sinn, Strafrechtler und Mitglied des Beraterstabes für den aktuellen Europol-Sicherheitsbericht, zur Bedeutung von Cybercrime und zum Zusammenhang mit dem internationalen Terrorismus. Er fordert eine Harmonisierung im Bereich der für organisierte Kriminalität typischen Delikte und grenzüberschreitende Joint-Investigation-Teams.
Thomas Kutschaty im Interview: Im Zusammenhang mit der diesjährigen Assistententagung Öffentliches Recht hat juwiss.de mit NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) gesprochen. In dem Interview geht es unter anderem um die Globalisierung der Rechtskultur, die Reform des Jurastudiums, das NPD-Parteiverbotsverfahren und gesetzgeberischen Handlungsbedarf im Bereich Social Media.
Nürnberger Prozesse: Rechtsprofessor Miloš Vec rezensiert in der FAZ das Buch "The Betrayal. The Nuremberg Trials and German Divergence" des Historikers Kim Christian Priemel, in dem geschildert wird, wie die Nürnberger Prozesse den deutschen Weg zu den NS-Verbrechen als Verrat an westlichen Werten erzählten.
Das Letzte zum Schluss
Falscher Ausreise-Gutschein: Um politische Gegner einzuschüchtern verschickte die rechtsextreme Partei "Der Dritte Weg" mehrere Postkarten, die als Gutscheine für eine Ausreise nach Afrika gestaltet waren. "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen", so das Motto. Ein Grünen-Politiker nahm die Ansage wörtlich. Nachdem die Rechtsextremisten nicht auf seine Frage reagierten, ob "gegen Zuzahlung eine Außenkabine mit Balkon" zu haben sei, verklagte er die Partei vor dem Amtsgericht Bad Dürkheim. spiegel.de schildert den Fall.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. März 2017: Keine Löschung aus Gesellschaftsregister / Datenschutz im Bundestag / Nebeneinkünfte beim BGH . In: Legal Tribune Online, 10.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22334/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag