Die Länder lehnen de Maizières Vorschläge zur Zentralisierung der Sicherheitsbehörden ab. Außerdem in der Presseschau: Prozessfinanzierer lanciert Klage wegen VW-Abgasskandal, das Verfassungsgericht Polens hat eine neue Mehrheit.
Thema des Tages
Sicherheitsarchitektur: Die Länder haben Vorschläge von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zur Stärkung der Sicherheitsbehörden des Bundes fast generell zurückgewiesen. Einen Überblick über Vorschläge und Debatte geben SZ (Stefan Braun/Christoph Hickmann) und FAZ (Günter Bannas/Eckart Lohse). Die FAZ (Reinhard Bingener u.a.) beschreibt die Position der Länder detailliert.
Ronen Steinke (SZ) würde die vorgeschlagene Abschaffung der Verfassungsschutz-Landesämter begrüßen. Derzeit herrsche "gefährlicher Wirrwarr". Auch Jasper von Altenbockum (FAZ) unterstützt die Zentralisierungspläne, insbesondere mit Blick auf "Vollzugsdefizite" bei Abschiebungen.
Die taz (Pascal Beucker) stellt ein Konzeptpapier von SPD-Chef Sigmar Gabriel zur inneren Sicherheit vor. Gabriel plädiere zum einen für mehr Videoüberwachung und Abschiebehaft für Gefährder, fordere aber auch mehr Prävention durch Kooperation mit Moscheegemeinden. Für einen Umbau der Behörden sei jetzt keine Zeit.
Terrorabwehr Bayern: In Bayern arbeitet seit Jahresbeginn eine neue Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET). Sie ist beim Münchener Generalstaatsanwalt angesiedelt und soll herausgehobene Ermittlungsverfahren bearbeiten, meldet welt.de.
Elektronische Fußfessel: Bild (rok/fsl) stellt einen Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung vor. Extremistische Straftäter, die bereits "wegen schwerer Vergehen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, der Terrorismusfinanzierung oder der Unterstützung terroristischer Vereinigungen verurteilt wurden", sollen nach der Haft mit der elektronischen Fußfessel überwacht werden können. Laut Bild sind nur die wenigsten der rund 550 islamistischen "Gefährder" bereits verurteilt worden.
Präventivhaft: Rechtsprofessor Michael Kubiciel plädiert auf lto.de für eine Ausweitung des polizeirechtlichen Präventivgewahrsams. Bei hochgefährlichen und hochmobilen Personen könne der Staat seinen Schutzauftrag nur mit einer Ingewahrsamnahme erfüllen. Änderungen des Strafrechts (etwa bei § 89a StGB), die versuchten, alle erforderlichen Konstellationen zu erfassen, würden wohl gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßen.
Videoüberwachung: Im Interview mit der taz (Svenja Bergt) kritisiert der Kriminologe Nils Zurawski die Vorstellung, mit Videoüberwachung ließen sich Straftaten verhindern. Die Forschung könne aber auch noch nicht sagen, welche Auswirkungen Videoüberwachung auf die Gesellschaft habe.
Rechtspolitik
Trauerschaden: Nun berichtet auch die FAZ (Hendrik Wieduwilt) über den Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der Hinterbliebenen eine finanzielle Anerkennung ihres seelischen Leids ermöglichen will, wenn ein nahestehender Mensch durch eine unerlaubte Handlung getötet wurde.
Sonntagsarbeit: Der Anwalt Matthias Dombert plädiert in der FAZ dafür, den Logistikzentren der Onlinehändler in der Jahresendzeit gesetzlich Sonntagsarbeit zu erlauben. Die bereits bestehenden Ausnahmeregelungen vom Verbot der Sonntagsarbeit würden von den Behörden zu eng ausgelegt.
Abschiebung: Das brandenburgische Innenministerium hat einen Erlass veröffentlicht, wonach ausreisepflichtige Opfer rechter Gewalt nicht mehr abgeschoben werden sollen. Stattdessen sollen sie einen Aufenthaltstitel aus "humanitären oder persönlichen Gründen" erhalten, berichtet die taz (Jana Anzlinger). Dies soll die Opfer entschädigen und rechte Täter abschrecken.
Justiz
LG Braunschweig – VW-Abgasskandal: Die Kanzlei Hausfeld will am Landgericht Braunschweig eine Musterklage einreichen, bei der ein VW-Käufer Rückabwicklung des Kaufvertrags für einen VW Eos Diesel im Neuwert von 41.000 Euro fordert. Das Fahrzeug hätte nicht verkauft werden dürfen, weil die eingebaute Abgasmanipulationssoftware nicht der EG-Typengenehmigung entsprochen habe. Die Klage wird von dem Prozessfinanzierer My Right finanziert, der im Erfolgsfall 35 Prozent der erstrittenen Summe erhält. Details zur Klage berichten FAZ (Marcus Jung - faz.net-Zusammenfassung), lto.de (Pia Lorenz) und spiegel.de.
In einem separaten Kommentar begrüßt Marcus Jung (FAZ) die Klage als gutes Zeichen für den kollektiven Verbraucherschutz. Allerdings sei eine Erfolgsbeteiligung von 35 Prozent sehr teuer. Betroffene VW-Käufer sollten sich daher überlegen, ob sie besser allein klagten.
BGH zu Mietzahlung: Es genügt, wenn ein Mieter am dritten Werktag des Monats seine Bank anweist, die Miete zu bezahlen. Eine mietvertragliche Klausel, die bereits den Eingang der Miete am dritten Werktag verlangt, sei unwirksam, entschied jetzt laut lto.de der Bundesgerichtshof.
BGH zu Autoraser: Der Bundesgerichtshof bestätigte laut spiegel.de ein Urteil des Landgerichts Köln vom Mai 2016, bei dem ein Autofahrer wegen fahrlässiger Tötung und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt worden war. Der Mann war mit 109 Stundenkilometern durch Köln gerast und hatte dabei einen Radfahrer erfasst, der später starb.
BVerwG – Küken: Das Bundesverwaltungsgericht hat nun doch die Revision gegen ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen zugelassen, das die systematische Tötung männlicher Küken durch Brutbetriebe nicht als Verstoß gegen das Tierschutzgesetz gewertet hatte. Damit war laut lto.de eine Nichtzulassungsbeschwerde des Landes NRW erfolgreich.
BVerfG zu Bayern: Die FAZ (Patrick Bahners) analysiert im Feuilleton den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, wonach eine Volksabstimmung über den Austritts Bayerns aus der Bundesrepublik unzulässig wäre. Die Länder seien nicht "Herren des Grundgesetzes".
FG Berlin-Brandenburg zu DJ-Nächten: Der Rechtsreferendar Thomas Sendke bespricht auf juwiss.de ein Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg aus dem September. Danach ist der Eintritt in den Berliner Technoclub Berghain nur mit der ermäßigten Mehrwertsteuer von 7 Prozent belastet. Die Tätigkeit der Berghain-DJs habe künstlerischen Charakter und stehe daher Konzerten gleich. Sendke begrüßt das Urteil, das sich aber nicht auf normale Diskotheken übertragen lasse, wo nur Musik abgespielt werde.
BAW – IS-Kämpfer: Die Bundesanwaltschaft hat im Fall des Bremer Islamisten Harry S. laut spiegel.de einen neuen Haftbefehl wegen sechsfachen Mordverdachts beantragt. S. war im Juli 2016 wegen IS-Mitgliedschaft zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Nach Auswertung von Videoaufnahmen nimmt die BAW nun an, dass S. in Syrien auch an der Erschießung von Gefangenen beteiligt war.
Recht in der Welt
Indien – Religion und Wahlkampf: Das Oberste Gericht Indiens hat mit 4 zu 3 Richterstimmen entschieden, dass Religion und Kastenfragen im Wahlkampf keine Rolle spielen dürfen. Bei Zuwiderhandlungen könne ein Mandat aberkannt werden, berichtet die FAZ (Till Fähnders). Beobachter gingen davon aus, dass das Urteil vor allem den Parteien von Minderheiten schadet.
Polen – Verfassungsgericht: Der polnische Rechtsprofessor Tomasz Tadeusz Koncewicz beschreibt auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache), wie die Regierungspartei PiS inzwischen das polnische Verfassungsgericht "übernommen" hat und fordert nun von den ordentlichen Gerichten eine "constitutional recapture".
Polen – EU-Kommission: Der Rechtsprofessor Laurent Pech und die Soziologieprofessorin Lane Scheppele kritisieren auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) die jüngsten Empfehlungen der EU-Kommission an Polen vom 21. Dezember als zahnlos, insbesondere mit Blick auf die erfolgte Machtübernahme der Regierungspartei am polnischen Verfassungsgericht.
Juristische Ausbildung
IPR als Pflichtstoff? Rechtsprofessor Stephan Lorenz bezweifelt auf lto.de die Notwendigkeit, den juristischen Prüfungsstoff zu reduzieren. Vor allem aber kritisiert er, dass das Internationale Privatrecht nach dem Bericht eines Ausschusses der Justizministerkonferenz künftig gar nicht mehr Prüfungsstoff sein soll. Lorenz fordert dagegen, dass das IPR bundesweit Prüfungsstoff sein sollte und nicht wie bisher lediglich in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.
Sonstiges
Schutzschriften: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) weist darauf hin, dass Schutzschriften gegen Eilanträge seit Jahresbeginn nach § 49c Bundesrechtsanwaltsordnung nur noch elektronisch eingereicht werden dürfen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 4. Januar 2017: Zentralisierung der Sicherheit? / Musterklage gegen VW / Polnisches Verfassungsgericht gekippt . In: Legal Tribune Online, 04.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21658/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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