Der Suizid von Jaber Albakr könnte eine Reform des Haftrechts in Gang setzen. Außerdem in der Presseschau: Musterklagenentwurf doch in diesem Jahr, Haftstrafe für Ex-Chefarzt, das polnische Verfassungsgericht und ein Zelt für Gras.
Thema des Tages
Albakr/Justizvollzug: Die Selbsttötung des Terrorverdächtigen Jaber Albakr in der vergangenen Woche könnte Neuerungen im Haftrecht bewirken. So fordert der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Burkhard Lischka eine "Bundeszuständigkeit für bestimmte Häftlingsgruppen wie Terrorverdächtige und islamistische Gefährder". Auch seien bundesweit einheitliche Regeln im Justizvollzug vonnöten und diesbezügliche Punkte der Föderalismusreform II insoweit zu ändern. Hierzu gibt spiegel.de einen Überblick und zu weiteren Forderungen. Nach dem Bericht von deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) enthält die Forderung auch eine Kritik am Generalbundesanwalt Peter Frank, die Ermittlungen im Fall Albakr verspätet aufgenommen zu haben. Hierzu wird sich Frank in einer für den morgigen Mittwoch geplanten Anhörung im Innenausschuss des Bundestags erklären müssen.
Reinhard Müller (FAZ) verweist in seinem Kommentar dagegen darauf, dass "dieses föderale Land" bislang ohne "FBI" oder "Bundesgefängnis" nicht "so schlecht" gefahren sei. Bei der aktuellen Kritik am Freistaat Sachsen allerdings träfen "tatsächliche Fehler auf alte Vorurteile und schlichte Unkenntnis". Verwaltung und Justiz seien "immer noch wesentlich" von baden-württembergischen und bayerischen Beamten geprägt.
Rechtspolitik
Musterklagen: Entgegen anderslautender Berichte soll der Gesetzentwurf für einen verbesserten kollektiven Rechtsschutz von Verbrauchern durch Muster- oder Sammelklagen nun doch noch in diesem Jahr vorgelegt werden. Die bislang eingetretene Verzögerung werde in Regierungskreisen mit geringen Erfolgschancen des Vorhabens erklärt, schreibt die SZ (Klaus Ott). Der Bericht der FAZ (Hendrik Wieduwilt) stellt die an Musterklagen gerichteten Erwartungen in Frage. Die Einführung entsprechender Regelungen zugunsten von Kapitalanlegern habe jedenfalls die in sie gesetzte Hoffnung auf einen raschen Abschluss offener Streitfragen nicht erfüllt. So sei ein wegen falscher Prospektinformationen der Telekom geführter Prozess immer noch beim Oberlandesgericht Frankfurt anhängig, der ursprüngliche "Musterkläger" aber mittlerweile verstorben.
Verbandsklagen: Bereits seit längerem sind sogenannte Verbandsklagen im Naturschutzrecht zulässig und geltendes Recht. Ein nun vorliegender Gesetzentwurf soll die völker- und unionsrechtliche Verpflichtung Deutschlands umsetzen, die Möglichkeit von Verbandsklagen auszuweiten. Rechtsprofessorin Sabine Schlacke untersucht auf lto.de, inwiefern dies gelungen ist.
Schlichtungsstellen: Mit dem demnächst aus dem Amt scheidenden Verfassungsrichter Reinhard Gaier spricht die taz (Christian Rath) über den vermehrten Einsatz privater Schlichtungsstellen, deren möglichen Einfluss auf fallende Eingangszahlen bei Zivilgerichten und das Verhältnis privater Schlichtung zu staatlicher Justiz.
Verfassungsschutz/Richter: Bewerber auf ein Richteramt in Bayern müssen vor ihrer Einstellung ihre Verfassungstreue ab sofort auch durch eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz bestätigen lassen. Im Interview mit lto.de (Till Mattes) erläutert Walter Groß, Vorsitzender des Bayerischen Richtervereins, seine Position zu dieser Neuerung.
E-Notariat: Ein in der vergangenen Woche von der Bundesregierung beschlossener Gesetzentwurf sieht unter anderem die Einführung eines bei der Bundesnotarkammer geführten Elektronischen Urkundenarchivs vor. Diese und andere Neuerungen stellt Notarassessor Matthias Frohn auf lto.de vor.
Justiz
LG Bamberg zu Chefarzt: Wegen Vergewaltigungen und sexuellen Missbrauchs von Patientinnen hat das Landgericht Bamberg einen ehemaligen Chefarzt zu sieben Jahren und neun Monaten Haft verurteilt und gleichzeitig ein fünfjähriges Berufsverbot verhängt. Nach den gerichtlichen Feststellungen hätten die vom Arzt durchgeführten Behandlungen und Versuche keinen wissenschaftlichen Hintergrund erkennen lassen, wie vom Verurteilten behauptet. Der Bericht der SZ (Annette Ramelsberger) geht auch auf die den Fall auslösende Strafanzeige einer Medizinstudentin ein.
LG Hof – Biersteuer-Hinterziehung: Wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe sind drei Männer am Landgericht Hof angeklagt. Ihnen wird vorgeworfen, Bier in großen Mengen in Deutschland versteuert, dann aber schwarz in Großbritannien verkauft zu haben, spiegel.de berichtet.
LG Würzburg zu Hass-Posts: Wegen rechtsradikaler Posts auf Facebook hat das Landgericht Würzburg einen Mann zu anderthalb Jahren Haft verurteilt. Die Reduzierung der Strafe gegenüber der erstinstanzlichen Verurteilung zu zwei Jahren und drei Monaten Haft sei durch gezeigte Reue gerechtfertigt, meldet zeit.de.
AG Hannover zu Samenspender: Eine als "Retortenbaby" geborene Frau hat nach einem Urteil des Amtsgerichts Hannover gegenüber der Reproduktionsklinik einen Auskunftsanspruch über die Identität des Samenspenders. Die Entscheidung sei nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs aus dem vergangenen Jahr zu erwarten gewesen, schreibt die SZ. In der Praxis verweigerten jedoch noch immer zahlreiche Kliniken entsprechende Auskünfte wegen der Befürchtung, Schadensersatzforderungen von namhaft gemachten gemachten Spendern ausgesetzt zu werden.
StA Hamburg – Wölbern-Anwälte: Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat in der vergangenen Woche zwei Anwälte des inzwischen rechtskräftig verurteilten früheren Chefs des insolventen Bankhauses Wölbern verhaften lassen. Gegen die Beschuldigten, einen früheren und einen aktuellen Partner einer renommierten Großkanzlei, werde wegen Beihilfe zur Untreue im Zusammenhang der Bankpleite ermittelt, meldet die FAZ (mj).
Flüchtlings-Klagen: In den ersten acht Monaten dieses Jahres sind bei deutschen Verwaltungsgerichten mehr als 17.000 Klagen mit dem Ziel einer Flüchtlings-Anerkennung statt des beschiedenen subsidiären Schutzes eingegangen. Die weitaus meisten Kläger stammen aus Syrien, in mehr als 90 Prozent der entschiedenen Fälle waren sie erfolgreich. Dies geht aus einer nun beantworteten Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Linke) hervor, von der die SZ (Jan Bielicki) berichtet.
Recht in der Welt
Polen – Verfassungsgericht: Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) widmet sich eingehend dem Konflikt zwischen EU-Kommission und polnischer Regierung über die Situation des Verfassungsgerichts im Nachbarland. Die von der Kommission gesetzte Frist für die Umsetzung von Empfehlungen zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit in Polen läuft am 27.10. ab, ob man in Brüssel allerdings wirklich gewillt sei, die sogenannte nukleare Option des Art. 7 des EU-Vertrags zu ziehen, sei fraglich. In Polen selbst herrsche unter Regierungskritikern Ratlosigkeit. Es sei denkbar, dass die Regierung die im Dezember ablaufende Amtszeit des jetzigen Gerichtspräsidenten für die Ernennung eines Gefolgsmannes nutze, um die EU-Empfehlungen dann umzusetzen.
Sonstiges
"Terror": Bei der gestrigen Zuschauer-Abstimmung im Rahmen des Fernsehspiels "Terror" nach dem gleichnamigen Theaterstück von Ferdinand von Schirach sprach sich eine überwältigende Mehrheit für einen Freispruch des angeklagten Soldaten aus. focus.de berichtet und geht dabei auch auf die der Ausstrahlung nachfolgende Diskussionsrunde ein. Im Interview mit spiegel.de (Anne Haerning) äußert sich der Regisseur des Films, Lars Kraume, zu seinen Beweggründen, der Vorbereitung auf den Dreh und seinem eigenen Votum.
Geschworene: Die Ausstrahlung von "Terror" nimmt Rechtsprofessor Klaus Günther in einem Gastbeitrag für den Medien-Teil der FAZ zum Anlass eines rechtshistorischen und rechtsvergleichenden Blicks auf die Praxis von Gerichtsentscheidungen unter Beteiligung von Geschworenen. Nach wie vor sei umstritten, ob derartige Jury-Verfahren mit entscheidungsbefugten juristischen Laien "mit höherer Wahrscheinlichkeit" unparteiliche, faire und gerechte Urteile produzierten als Verfahren, in denen Berufsrichter entschieden.
Manager-Regress: Die FAZ (Carsten Germis u.a.) legt im Unternehmens-Teil ausführlich dar, dass Unternehmen, deren Top-Manager Milliardenstrafen von Aufsichtsbehörden zu verantworten haben, nur äußerst selten in persönlichen Regress genommen werden. Um wenigstens einen Teil der für die Sanktionen aufgewendeten Mittel zurückerlangen zu können, gingen die Unternehmen aber dazu über, in solchen Fällen Bonus-Zahlungen zurückzuhalten.
Das Letzte zum Schluss
Großstadt-Camping: Wer Cannabis anbaut, muss gewisse logistische Herausforderungen meistern. Zumindest für eine Weile gelang dies zwei Berlinern, die sich jetzt aber vor dem Landgericht Berlin verantworten müssen. bild.de berichtet, dass die Männer für ihren Heim-Garten in einer Wohnung in Ku'damm-Nähe ein sechs mal drei Meter großes Zelt aufbauten, in dem sie ihre Plantage betrieben.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 18. Oktober 2016: Bundesgefängnis für Terroristen? / Musterklage für Verbraucher / Haft für Chefarzt . In: Legal Tribune Online, 18.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20769/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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