Die juristische Presseschau vom 16. September 2016: EuGH zu Stö­rer­haf­tung / Eklat beim DJT / Chinas Zwei-K­ind-­Po­litik als Flucht­grund

16.09.2016

Der EuGH hat die Störerhaftung beim Betrieb offener WLANs konkretisiert. Außerdem in der Presseschau: Eklat beim DJT, chinesische Zwei-Kind-Politik als Fluchtgrund und wie man im Kanzleialltag gelassen bleibt.

Tagesthema

EuGH zu Störerhaftung: Der Europäische Gerichtshof hat am gestrigen Donnerstag das mit Spannung erwartete Urteil zur WLAN-Störerhaftung gefällt: Betreiber offener WLANs in einem gewerblichen Umfeld haften nicht für Urheberrechtsverletzungen, die ein Nutzer über ihren Zugang begeht. Zur Begründung verweist der EuGH auf Art. 12 Abs. 1 der eCommerce-Richtlinie. Schadenersatzansprüche und damit verbundene Erstattungsansprüche für Abmahn- und Gerichtskosten können danach nicht erhoben werden. Bei wiederholten Urheberrechtsverstößen sei aber die Erwirkung von Unterlassungsanordnungen möglich, diese könne auch mit der Verpflichtung einer Passwortsicherung für das Netzwerk einhergehen, die eine Identitätsfeststellung Dritter ermögliche. Dann könnten auch Abmahn- und Gerichtskosten für die Betreiber anfallen. Der Stellungnahme des Generalanwaltes Maciej Szpunar wurde damit nur teilweise entsprochen; dieser hatte weitreichende Auflagen wie etwa Passwortschutz zur Sicherung der WLANs gegen Missbrauch abgelehnt. Das Landgericht München I hatte dem EuGH entsprechenden Fragen zur Richtlinie vorgelegt. Im Sommer hatte es noch Änderungen im deutschen Telemediengesetz zur Eindämmung der Störerhaftung gegeben, wonach das "Provider-Privileg" für lokale WLANs gelte, was nach dem Urteil aber nicht vor der Verpflichtung zu Schtuzmaßnahmen schützt. Dazu berichten SZ (Johannes Boie), FAZ (Hendrik Wieduwilt), BadZ (Christian Rath), netzpolitik.org (Ingo Dachwitz) und zeit.de.

Johannes Boie (SZ) meint, man müsse schon froh sein, dass die Richter die Zugangsbeschränkung "als Vorschlag, nicht als Verdikt formuliert haben". Eine Ausweis- und Passwortpflicht könne der nationale Gesetzgeber ausschließen. Genau dies sei aber in der Neuregelung des Telemediengesetzes versäumt worden. Rechtsanwalt Carl Christian Müller befasst sich für lto.de mit der Entscheidung und bilanziert: "Freifunk Adé". Thomas Stadler (internet-law.de) fasst die wichtigsten Punkte der Entscheidung zusammen und befindet: mit Blick auf offene Netze: "enttäuschend und nicht praxistauglich". Torsten Krauel (Welt) schlägt für die Sicherung geistigen Eigentums vor, statt freie Netze abzuschaffen, zum Beispiel "Größenlimits für Downloads" zu setzen. Wer eine Autobahn nutze, müsse vorher auch nicht die eigene Identität offenlegen, obwohl eine Nutzung für illegale Aktivitäten möglich sei.

Rechtspolitik

Interview mit Ulrich Maidowski: Mit dem Bundesverfassungsrichter Ulrich Maidowski spricht lto.de (Michael Reissenberger, Podcast) eine knappe dreiviertel Stunde darüber, wie man Richter am Bundesverfassungsgericht wird, die Entscheidungsfindung etwa unter Rückgriff auf alte BVerfG-Entscheidungen, Geschlechterparität im 2. Senat und aktuelle Themen in Karlsruhe. So lässt sich Maidowski etwa dahingehend ein, dass ein Abschluss der gesellschaftlichen Debatte "im Sinne von Kopftuch keineswegs oder auf jeden Fall" vom Gericht "nicht autoritativ" bewirkt werden könne.

DJT – Eklat im Arbeitsrecht: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichtet über einen Eklat in der Arbeitsrechts-Abteilung des diesjährigen Deutschen Juristentages: Die Arbeitgeber hätten die gestrige Abstimmung über Empfehlungen an den Gesetzgeber durch Abwesenheit boykottiert. Zwar habe es keine offizielle Erklärung zum Boykott gegeben, es liege aber nahe, dass die bereits seit Jahren eher arbeitnehmerfreundlich formulierten Beschlussvorschläge der Grund für das Fernbleiben seien. Konkret sei es in diesem Jahr über Arbeitszeiten und Digitalisierung gerungen worden. Die FAZ zeichnet Turbulenzen im Arbeitsrecht aus den letzten Juristentagen nach und erinnert dabei an das Fernbleiben der Gewerkschaftler im Jahr 2004, die den Juristentag als von Arbeitgebern "unterwandert" gesehen hätten.

DJT – Überblick Beschlüsse: Einen Überblick über die Beschlüsse der einzelnen Abteilungen des Deutschen Juristentages kurz vor seinem Abschluss gibt die FAZ (Hendrik Wieduwilt): Im Strafrecht sei entgegen der Beschlussvorlage mehrheitlich die TV-Übertragung bei einfachen Gerichten abgelehnt worden. Festschreiben solle der Gesetzgeber aber einen medienrechtlichen Auskunftsanspruch im Ermittlungsverfahren in der Strafprozessordnung, der aber etwa nicht für freie Blogger gelten solle. Im Familienrecht stand vor allem die Stärkung sozialer Eltern im Vordergrund, so sollen etwa Kinder von Gebrut an zwei Mütter haben können. Im öffentlichen Recht haben man sich gegen eine Erweiterung der verwaltungsrechtlichen Klagebefugnis ausgesprochen und wolle offensiv am Individualrechtsschutz festhalten. Im Arbeitsrecht hatte es nach einem Boykott der Arbeitgeber arbeitnehmerfreundliche Beschlüsse etwa zur Stärkung von Betriebsräten und Rechten sogenannter Crowdworker gegeben. Das Zivilrecht habe sich sehr zurückhalten gegenüber Dynamiken digitaler Geschäftsmodelle gezeigt, im Wirtschaftsrecht gäbe es etwa eine Einigung, die Gesellschaft bürgerlichen Rechts sichtbarer zu gestalten.

DJT – Familienrecht: Aus dem Gutachten des Familienrechtlers Tobias Helms, der auch Mitglied im Arbeitskreis Abstammungsrecht im Bundesjustizministerium ist, informiert die Welt (Sabine Menkens) detailliert zu den Themen Stiefeltern, Pflegefamilien, Adoptivfamilien, Pflegefamilien, Samenspenden, Leihmutterschaft und Regenbogenfamilien.

DJT – Öffentlichkeit im Strafverfahren: Aus der strafrechtlichen Abteilung informiert lto.de (Pia Lorenz) über die Beschlüsse im Einzelnen. Hinsichtlich der Öffentlichkeit im Strafprozess habe man sich "recht exakt für das, was der vom Kabinett verabschiedete Entwurf ohnehin schon enthält" entschieden.

Im Medien-Teil der SZ befasst sich Wolfgang Janisch mit Blick auf die Diskussionen bei DJT mit Grund und Grenzen von Öffentlichkeit im Strafprozess. Ursprünglich als Schutzinstrument zugunsten der Angeklagten gedacht, gäbe es heute eine zuverlässig ausbrechende Medienhysterie bei prominenten Verfahren, die stelle aber eine Gefahr für die Unschuldsvermutung dar. So habe es auch auf dem Juristentag entsprechende Vorschläge für das sensible Ermittlungsverfahren gegeben, etwa dahingehend, dass die Staatsanwaltschaft von sich aus keinen Hinweis an die Presse geben dürfen.

Gut, dass der Juristentag beim Siegeszug des Fernsehens durch deutsche Gerichtssäle erstmal "auf die Bremse getreten" ist, findet Reinhard Müller (FAZ). Die damit einhergehende Verhaltensänderung bei Richtern könne eines Tages vielleicht auch dazu führen, dass 'allgemeinverständlich' geredet wird. Oder gleich auch populärer geurteilt wird?".

DJT – "Wenn Richter Politik machen": Unter diesem Titel befasst sich Wolfgang Janisch (SZ) mit den ungewohnt politischen Tönen auf dem Juristentag. Die Leitung des Juristentages appellierte an Bundesregierung und EU, der Türkei in Anbetracht "dramatischer Rückschläge für den Rechtsstaat" deutlich zu machen, dass die Einhaltung der europäischen Grundwerte nicht verhandelbar sei. Solche Kritik sei Anzeichen aufrichtiger Sorge, die sich aber auch auf Polen und Ungarn richten müsse, so Janisch. In Zeiten, in denen der Rechtsstaat an den Rändern brüchig werde, brauche es die Juristen als aufmerksame Wächter und nicht als bloße Konstrukteure der Rechtsordnungen.

Videoüberwachung: Mit dem von Bundesinnenminister Thomas de Maizière angekündigte Einsatz von Gesichtserkennungssoftware bei der Videoüberwachung befasst sich netzpolitik.org (Markus Reuter).

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. September 2016: EuGH zu Störerhaftung / Eklat beim DJT / Chinas Zwei-Kind-Politik als Fluchtgrund . In: Legal Tribune Online, 16.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20589/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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