Der G-20-Gipfel ist vorbei, der Streit um Konsequenzen, Schadenshaftung und Anwalts-Äußerungen geht weiter. Außerdem in der Presseschau: Das BVerfG entscheidet zur Tarifeinheit, das russische Recht in Sachen Homophobie wird diskutiert.
Thema des Tages
G-20 – Extremistendatei: Unter anderem das Hbl (Frank Specht u.a.) berichtet über den Vorschlag, als Konsequenz aus den Ausschreitungen in Hamburg eine EU-weite Extremistendatei über gewaltbereite "Krawalltouristen" einzurichten. Im Interview mit der taz (Christian Rath) erläutert die Bundestagsabgeordnete Eva Högl (SPD) Zweck, Inhalte und mögliche Probleme einer solchen Datei. Die FAZ (Michael Stabenow) erläutert in einem Hintergrundartikel die Funktionsweisen der bereits bestehenden Systeme zum grenzüberschreitenden Informationsaustausch beim EU-Polizeiamt, das auch Erkenntnisse zu Extremisten und Gewaltbereiten sammle, sowie dem EU-Lisa-System, das vorwiegend für das Schengener Informationssystem zuständig ist. Reinhard Müller (FAZ) erwartet von einer europaweiten Vernetzung der Dateien keine Gesinnungsschnüffelei, vielmehr Vorbeugung "des Rechtsbruchs, der zu erwarten ist". Unterließe der Staat derartiges, "würde er sich geradezu schuldig machen", wenn er sein Wissen nicht zur Prävention nutze.
G-20 – Schadenshaftung: Möglichkeiten, die durch Sachbeschädigungen und Plündereien in Hamburg entstandenen Schäden ersetzt zu bekommen, stellt die FAZ (Christian Müßgens/Hendrik Wieduwilt) dar. Versicherer würden sich üblicherweise auf eine Ausschlussklausel zu "inneren Unruhen" berufen, unter Umständen aber auch aus Kulanz zahlen. Bei etwaigen Amtshaftungsprozessen müsse zunächst versucht werden, den Schädiger in Haftung zu nehmen. Unter engen Voraussetzungen ließe sich ein Ersatzanspruch aus dem sogenannten Tumultschadensgesetz von 1920 ableiten. Auch vor etwaigen Ausgleichszahlungen des Staates müssten zunächst die Versicherungen zur Leistung aufgefordert werden, stellt die SZ (Herbert Fromme) klar. Das Auswärtige Amt habe vor dem G-20-Gipfel den Abschluss einer Police gegen Demoschäden abgelehnt.
G-20 – Anwaltsäußerung: lto.de und FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichten über die Kritik der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg an der "widerwärtigen Sympathiebekundung", die Rechtsanwalt Andreas Beuth gegenüber den Ausschreitungen geäußert haben soll. Im Interview mit der taz-Nord (Gernot Knödler) stellt Beuth seine fragliche Äußerung klar und erklärt sich zur Verantwortung, die er als Mitanmelder der "Welcome to Hell"-Demonstration für die Ereignisse in Hamburg trage.
G-20 – Hans-Christian Ströbele: Der scheidende Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele (Grüne) spricht mit zeit.de (Katharina Schuler) über seine Eindrücke von der Hamburger Samstags-Demonstration, Berliner Erfahrungen mit polizeilicher Deeskalation und mögliche Motive linker oder linksextremer Gewalt.
Rechtspolitik
Samenspenderregister: Am vergangenen Freitag billigte der Bundesrat in einer Reihe von Gesetzen auch die Regelung über die Einrichtung eines Samenspenderregisters, durch das auf diesem Weg entstandenen Kindern ein Auskunftsanspruch zu den biologischen Vätern gesichert werden soll. lto.de (Maximilian Amos) spricht mit Rechtsanwältin Eva Becker über die Notwendigkeit dieses Schrittes sowie Kritik über Art, Ort und Inhalt der Regelung.
Staatstrojaner: Die jüngst beschlossenen Befugniserweiterungen für Ermittlungsbehörden auch im digitalen Bereich bezeichnet Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Bundesministerin der Justiz a.D., in einem Gastbeitrag für das Hbl als den "bisher grundrechtsinvasivsten heimlichen Eingriff in die Privatsphäre der Bürger". "Früher oder später" werde sich das Bundesverfassungsgericht mit der Regelung befassen müssen.
Elternschaft: Kinder, die in eine lesbische Ehe hineingeboren werden, werden auch nach Inkrafttreten der auf homosexuelle Partner erweiterten Ehe nur als Kind ihrer biologischen Mutter gelten. Die jeweilige Partnerin müsse das Kind auch weiterhin in einem aufwendigen Verfahren adoptieren, um als Elternteil anerkannt zu werden, schreibt die taz (Christian Rath). Eine denkbare Ergänzung des § 1592 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), der eine gesetzliche Vermutung für die Elternschaft Verheirateter ausspricht, könne aber frühestens nach der Bundestagswahl erfolgen.
Lohntransparenz: Übersichten zum Regelungsgehalt des seit der letzten Woche geltenden Entgelttransparenzgesetzes bringen spiegel.de und focus.de.
Waffen-Amnestie: Seit der vergangenen Woche und noch ein volles Jahr lang können Besitzer illegaler Waffen die Geräte straffrei bei Polizeidienststellen abgeben. Die Amnestie ist Teil der jüngsten Reform des Waffengesetzes, meldet lto.de.
Justiz
BVerfG – Tarifeinheitsgesetz: Am heutigen Dienstag verkündet das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung zu dem vor zwei Jahren verabschiedeten Tarifeinheitsgesetz. Dessen Regelungen zum Ausschluss mitgliederschwacher Gewerkschaften von betrieblichen Tarifverhandlungen wurden bislang noch nicht angewendet, schreibt die FAZ (Dietrich Creutzburg) in einer vertieften Darstellung der in Karlsruhe vorgetragenen Argumente. Berufsgewerkschaften sähen durch das Gesetz die Koalitionsfreiheit und das Streikrecht verletzt. Die taz (Wolfgang Mulke) bringt einen Überblick in Frage-und-Antwort-Form.
BVerfG – EU-Patent: Vor einem Monat wurde bekannt, dass das Bundesverfassungsgericht die vorläufige Aussetzung der Ausfertigung des Umsetzungsgesetzes für die EU-Patentrechtsreform beim Bundespräsidenten erbeten hat. Das Hbl (Heike Anger) nennt weitere Beispiele dieser verfassungsrechtlich nicht unproblematischen Praxis, etwa bei der Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon durch den damaligen Amtsinhaber Horst Köhler.
OLG Brandenburg zu Spaghettimonster: Das Oberlandesgericht Brandenburg tendiert nach dem Bericht von lto.de im Streit über die Anbringung kommunaler Hinweisschilder dazu, dem klagenden Verein der "Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters" eine eigene Weltanschauung abzusprechen. Die Entscheidungsverkündung ist für den 2. August terminiert.
LG Bochum – Werner Mauss: Der wegen Steuerhinterziehung angeklagte Geheimagent Werner Mauss hat beim Landgericht Bochum beantragt, die vom Bundeskriminalamt aufgekauften "Panama Papers" sichten zu lassen. Dieses "Zeitspiel hat Methode in der Strategie der Mauss-Verteidiger", schreibt die SZ (Ralf Wiegand).
LG Saarbrücken zu Aktionskünstler: Das Landgericht Saarbrücken hat die erstinstanzliche Verurteilung eines Aktionskünstlers wegen Störung der Religionsausübung aufgehoben. Die von ihm auf dem Altar einer Kirche unternommenen Liegestütze seien als Kunst zu werten, berichtet lto.de. Den gleichzeitig verübten Hausfriedensbruch rechtfertige dies jedoch nicht.
LG München I – Amoklauf: Weil er dem sogenannten Amokläufer von München die Tatwaffe verkauft haben soll, hat die Staatsanwaltschaft München I einen Hessen unter anderem wegen fahrlässiger Tötung in neun Fällen angeklagt. Der Angeklagte hätte die Tötungsabsicht von David S. erkennen müssen, beschreibt die SZ (Martin Bernstein) die Sicht der Staatsanwaltschaft. Der Prozess soll Ende August beginnen.
StA Koblenz – Steuerbetrug: Die SZ (Klaus Ott) berichtet über Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Koblenz gegen eine Mainzer Bank, der vorgeworfen wird, an Steuerbetrügereien zu Lasten Dänemarks in einer Höhe von knapp 1,7 Milliarden Euro beteiligt gewesen zu sein. In einem Hintergrund-Artikel erinnert die SZ (Klaus Ott) an die internationale Funktionsweise sogenannter Cum-Ex-Deals.
StA Frankfurt/Main – Steuerbetrug: Dem Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) liegen Informationen zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vor, nach denen ein Finanzberater noch im vergangenen Jahr Steuererstattungen im Wege von Cum-Ex-Deals über eine von ihm geleitete gemeinnützige Unternehmergesellschaft organisiert haben soll. Hierdurch sei nach Ansicht der Ermittler ein Schaden von 30 Millionen Euro entstanden.
VW-Hinweisgeber: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichtet über ein neues Manöver von Anwälten, die mutmaßlich Geschädigte des VW-Abgas-Skandals vertreten. Über die eingerichtete Webseite "vw-verhandlung.de" sollten Hinweisgeber interne Dokumente einreichen, die bei Bedarf auch in Klageverfahren verwendet würden. Hierdurch solle die Vergleichsbereitschaft des Autoherstellers in bereits anhängigen Verfahren erhöht werden.
Recht in der Welt
EGMR – Auslieferung: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die gegen seine Auslieferung gerichtete Beschwerde eines Schotten, der in den USA wegen Mordes angeklagt ist, als unzulässig verworfen. Zwar hatte das Straßburger Gericht 2014 in einem anderen Fall entschieden, dass eine dem jetzigen Beschwerdeführer drohende lebenslängliche Freiheitsstrafe ohne Perspektive auf Entlassung menschenrechtswidrig sei. Weil sein Fall vom EGMR jedoch bereits vorher anders entschieden wurde, könne er sich aber nicht auf diese Rechtsprechung berufen. Über das transatlantische "Justiz-Gezerre" klärt die SZ (Wolfgang Janisch) auf.
EGMR – Homophobie: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Sergej Prokopkin (verfassungsblog.de) analysiert die Verurteilung Russlands durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen eines Homosexuelle diskriminierenden Gesetzes und geht im weiteren auch auf die im Land geförderte "Staatshomophobie" ein. Es sei zu hoffen, dass der EGMR hier ein Umdenken in Gang setzen könnte.
Schweiz – Boris Becker: Der frühere Tennis-Star Boris Becker muss nach einem noch nicht rechtskräftigen Urteil eines Schweizer Kantonsgerichts die von einem Geschäftsfreund geforderte Rückzahlung privater Darlehen gegenwärtig nicht leisten. Dabei sei unstreitig, dass Becker mehr als 30 Millionen Euro schulde, rechnet die SZ (Klaus Ott u.a.) vor.
Sonstiges
Predictive Policing: Das Stichwort "Predictive Policing" beschreibt softwarebasierte Modelle, nach denen Straftaten vorhergesagt werden sollen. lto.de (Peggy Fiebig) stellt bereits eingesetzte Programme vor, beschreibt die sich vor allem am Einsatz personenbezogener Daten entzündenden rechtlichen Probleme und erklärt den Zusammenhang zu einem Hollywood-Film.
Leiharbeit und Streikrecht: Die im April in Kraft getretene Neufassung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes sieht ein Einsatzverbot für Leiharbeitnehmer bei von Arbeitskämpfen betroffenen Betrieben vor. Weil die Bestimmung nicht zwischen rechtmäßigen und rechtswidrigen Streiks unterscheide, ist sie nach der Einschätzung von Rechtsprofessor Manfred Löwisch (handelsblatt-rechtsboard) verfassungsrechtlich "nicht haltbar" und müsse daher verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass das Verbot nur bei rechtmäßigen Streiks gelte.
Das Letzte zum Schluss
Beweismittel Katze: Ansprüche aus einem Katzenbiss beschäftigten das Landgericht Ingolstadt in einem von der SZ (Carsten Gschwendtner) vorgestellten Rechtsstreit. Weil zunächst nicht sicher gewesen sei, ob der von der beklagten Nachbarin gehaltene Haustiger der Übertäter war, sah sich das Gericht gezwungen, die "streitgegenständliche Katze" leibhaftig beibringen zu lassen. Eine Gegenüberstellung mit dem Tier blieb der geschädigten Klägerin jedoch erspart. Die Parteien einigten sich vergleichsweise.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 11. Juli 2017: Aufräumarbeiten zu Hamburg / BVerfG zu Tarifeinheit / Staatliche Homophobie . In: Legal Tribune Online, 11.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23369/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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