Der BGH hat eine Bewährungsstrafe für eine tödliche Autowettfahrt beanstandet. Außerdem in der Presseschau: Das LG Berlin verurteilte den sogenannten U-Bahn-Treter. Der Eilbeschluss des BVerfG zum Kopftuch im Gericht wird kritisiert.
Thema des Tages
BGH zu tödlichem Wettrennen: Der Bundesgerichtshof beanstandete ein Urteil des Landgerichts Köln, das zwei Raser wegen fahrlässiger Tötung einer Radfahrerin nur zu Bewährungsstrafen verurteilt hatte. Die Strafaussetzung sei nicht hinreichend begründet worden. Unter anderem monierte der BGH, das Landgericht habe sich zu wenig mit der Frage auseinandergesetzt, wie sich die Bewährungsstrafe auf das "allgemeine Rechtsempfinden" auswirke. Es berichten die SZ (Wolfgang Janisch), die taz (Christian Rath), tagesschau.de (Frank Bräutigam) und lto.de.
Wolfgang Janisch (SZ) hält es für ein richtiges Signal, dass die "groteske" Strafaussetzung beanstandet wurde. Er lehnt es aber ab, Raser zu Mördern zu erklären. Es genüge, "ihren Beinahe-Vorsatz mit empfindlicheren Strafen zu ahnden". Christian Rath (KStA) empfiehlt ebenfalls einen "gesunden Mittelweg" zwischen Bewährungsstrafe und lebenslanger Freiheitsstrafe. Auch Gigi Deppe (swr.de) hält die Korrektur der Strafaussetzung für richtig, allerdings ist ihr die Argumentation mit dem "allgemeinen Rechtsempfinden" eher suspekt.
Rechtspolitik
"Ehe für alle": Am heutigen Freitag wird sich der Bundesrat mit der Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare befassen und voraussichtlich keinen Einspruch erheben. Die SZ (Mathias Drobinski) und die FAZ (Reinhard Müller) schildern insbesondere die Haltung Bayerns, das noch gründlich prüfen wolle, ob es beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf abstrakte Normenkontrolle stellt.
In einem Gastkommentar für die Welt argumentiert Justizminister Heiko Maas, dass der Begriff "Ehe" im Grundgesetz genauso entwicklungsoffen sei, wie die Begriffe "Rundfunk" oder "Brief". Auch Rechtsprofessor Uwe Volkmann plädiert auf verfassungsblog.de für die Annahme eines Verfassungswandels. Die von Christoph Möllers aufgebrachte Vorstellung, der Begriff Ehe bleibe im Grundgesetz unverändert, könne aber im einfachen Recht darüber hinausgehen, hält er für "gekünstelt"; der Schutz der Ehe sei ein normgeprägtes Grundrecht. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Timo Schwander sieht auf juwiss.de ebenfalls keine verfassungsrechtlichen Probleme für die beschlossene Ausweitung der Ehe.
Terror: Das Europäische Parlament hat einen Terrorismus-Sonderausschuss eingerichtet. Dieser soll zum einen die Bedrohung in Europa untersuchen, zum anderen die bereits getroffenen Maßnahmen und ihre Wirksamkeit überprüfen, berichtet netzpolitik.org (Markus Beckedahl).
Algorithmen: Nun beschäftigt sich auch die taz (Dinah Riese) mit dem Vorschlag von Bundesjustizminister Heiko Maas, Transparenz und Kontrolle für Algorithmen sowie ein digitales Anti-Diskriminierungsgesetz zu schaffen.
Koalitionsverträge: Die FAZ (Jasper von Altenbockum) erinnert an die verfassungsrechtlichen Diskussionen, die die seit 1961 praktizierten Koalitionsverträge begleiteten. Hier werde in die Richtlinienkompetenz des Kanzlers und die Ressortverantwortung der Minister eingegriffen, so die Bedenken. Dem stehe aber die starke grundgesetzliche Rolle der Parteien und das Interesse der Verfassung an einer stabilen Regierung gegenüber.
Justiz
LG Berlin zu "U-Bahn-Treter": Das Landgericht Berlin hat einen hirngeschädigten Mann wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, berichtet die taz (Anne Pollmann). Er hatte in einer U-Bahnstation grundlos eine Frau in den Rücken getreten und damit ihren Sturz auf einer Treppe verursacht. Das Gericht nahm verminderte Schuldfähigkeit an. spiegel.de (Uta Eisenhardt) beschreibt, dass eine naheliegende Einweisung in die forensische Psychiatrie nicht möglich sei, weil es sich um die erste derartige Gewalttat des Mannes handelte.
EuGH zu Air Berlin-AGB: Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Fluggesellschaften können an den Verbraucherschutzvorschriften der EU-Mitgliedstaaten gemessen werden, entschied jetzt der Europäische Gerichtshof. Dort dürften pauschale Bearbeitungsgebühren für die Rückerstattung von Tickets verboten werden. Außerdem hielt der EuGH fest, dass Steuern und Gebühren separat neben dem Flugpreis auszuweisen sind. Dies erleichtere den Kunden die Feststellung, was ihnen zurückerstattet werden muss, wenn sie einen Flug nicht antreten. Es berichten lto.de und SZ (Jens Flottau).
BVerfG zu Rechtsreferendarin mit Kopftuch: Anna Katharina Mangold (verfassungsblog.de) kritisiert die jüngst ergangene Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit der einer muslimischen Rechtsreferendarin nicht gestattet wurde, bei Auftritten im Gerichtssaal ihr Kopftuch zu tragen. Ein Kopftuchverbot verhindere, dass dieses Kleidungsstück jemals als normal wahrgenommen werden könne – und deshalb irgendwann als neutral erscheine. Damit würden "Vorurteile stabilisiert". Mangold plädiert dagegen für ein auf Art. 33 Grundgesetz gestütztes "pluralistisches Neutralitätsverständnis".
EuGH zu Piloten-Altersgrenze: Der Anwalt Christian Oberwetter analysiert auf lto.de ein Urteil des EuGH vom Mittwoch. Darin wird die Altersgrenze von 65 Jahren für Passagierflugpiloten als gerechtfertigt angesehen. "Das Urteil des EuGH ist nachvollziehbar, denn die Sicherheit der zivilen Luftfahrt steht als überragendes Gemeinwohlgut weit über den individuellen Begehrlichkeiten von Piloten, möglichst lange beschäftigt zu werden."
BGH zu EEG-Rückerstattung: Der Anwalt Daniel Breuer analysiert auf lto.de ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom vergangenen Mittwoch. Danach kann ein Energieversorger die Rückzahlung der Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz verlangen, wenn ein Anlagenbetreiber seine Solaranlagen pflichtwidrig nicht bei der Bundesnetzagentur angemeldet hatte. Breuer hofft, dass der BGH in der Begründung deutlicher macht, welche Hinweis- und Prüfpflichten die Netzbetreiber im Hinblick auf diese Sanktion haben.
OLG Köln zu unverpixelten Fotos: lto.de beschreibt nun ausführlich eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln, die in dieser Woche bekannt wurde. Danach wurde ein Fotograf, der einen vermeintlich an Ebola Erkrankten gegen seinen Willen fotografierte und danach das unverpixelte Bild einer Zeitung zur Veröffentlichung überließ, zurecht wegen eines Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz verurteilt.
OLG Schleswig zu Fußabtreter und High Heels: Das Oberlandesgericht Schleswig wies die Schadensersatzforderung einer Frau ab, die mit ihren High Heels an einem alten gitterförmigen Fußabtreter hängengeblieben war, so spiegel.de. Passanten müssten selbst aufpassen, wo sie hintreten.
OLG München – NSU-Prozesstermine: Das Oberlandesgericht München hat im NSU-Prozess vorsorglich Termine bis Ende August 2018 festgelegt, meldet die SZ (Annette Ramelsberger). Das Gericht halte es jedoch für unwahrscheinlich, dass der Prozess noch bis zum nächsten Jahr dauern werde.
StA Köln – Jürgen Mossack: Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt gegen Jürgen Mossack, den Mitinhaber der in Panama ansässigen Kanzlei Mossack Fonseca, wegen Beihilfe zu Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Mossack Fonseca galt als einer der weltweit größten Anbieter von Briefkastenfirmen. Über die Hintergründe berichtet die SZ (Klaus Ott, Hans Leyendecker).
Recht in der Welt
Türkei – Deniz Yücel: Die Welt (Daniel-Dylan Böhmer/Daniel Friedrich Sturm) gibt einen Überblick über die prozessuale Lage des in der Türkei inhaftierten Welt-Journalisten Deniz Yücel. In der Türkei wurde gegen ihn noch nicht Anklage erhoben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Türkei um eine Stellungnahme gebeten, die bis zum 23. Oktober erfolgt sein muss.
Sonstiges
Erdoğan in Deutschland: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Shpetim Bajrami beschreibt auf juwiss.de differenziert aus grundrechtlicher, staatsorganisatorischer und völkerrechtlicher Sicht, ob der türkische Präsident Erdoğan ein Recht hat, in Deutschland zu seinen Anhängern zu sprechen. Mit Blick auf den jüngsten Vorschlag stellt Bajrami fest: "Ausländische Staatsoberhäupter sind für politische Aufritte [sic] auch in einem Konsulat von der Genehmigungspflicht der Bundesregierung nicht befreit."
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7. Juli 2017: Raser ohne Bewährung / U-Bahn-Treter mit verminderter Schuld / Neutralität ohne Pluralismus . In: Legal Tribune Online, 07.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23392/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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