Die juristische Presseschau vom 3. April 2012: Gewissensfreiheit zur Suizidhilfe – Lynchaufruf hat Nachspiel – Viel Knete für Juristen

03.04.2012

Das Berliner Verwaltungsgericht hält ein Verbot ärztlicher Suizidhilfe für rechtswidrig, der Steuerstreit mit der Schweiz füllt weiterhin die Presse. Außerdem: Mediationsgesetz vor dem Vermittlungsausschuss, Ermittlungen wegen Lynchaufrufs, BVerfG zu TV-Gerichtsberichterstattung, hohe Jura-Gehälter – und ein "Büroversehen" beim Bundesamt für Justiz.

Suizidhilfe: Das Berliner Verwaltungsgericht hat ein berufsrechtliches Suizidhilfeverbot der Berliner Ärztekammer aufgehoben. Das von der Kammer einem Arzt gegenüber verfügte Verbot der Weitergabe von tödlichen Medikamenten an sterbewillige Patienten sei mit dessen Berufs- und Gewissensfreiheit nicht vereinbar, so die FAZ (Mechthild Küpper) in einem Kurzbericht. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles sei die Berufung zum Oberverwaltungsgericht zugelassen worden. Ein weiterer Kurzbericht findet sich in der taz.

Oliver Tolmein kritisiert im Feuilleton der FAZ, dass das Urteil instrumentalisiert und als Grundsatzurteil aufgebauscht werde. Es beziehe sich auf einen Einzelfall aus dem Jahr 2007 und nicht etwa auf das in der erst 2011 beschlossenen Musterberufsordnung der Bundesärztekammer enthaltene Verbot der Suizidhilfe.

Schweiz gegen Steuerfahnder: Wie es zu dem schweizerischen Strafverfahren gegen die drei deutschen Steuerfahnder kommen konnte, erläutert die SZ (Hans Leyendecker), während die FTD (Jens Brambusch) die damit verbundene "Panne" einer deutschen Staatsanwaltschaft aufs Korn nimmt.

Für "töricht und von alberner Bösartigkeit" hält Heribert Prantl (SZ) die Haftbefehle; für mehr Gelassenheit in der "trocken juristischen" Angelegenheit plädiert Ralph Pöhner (zeit.de).

Unterdessen drängt die Bundesregierung einem umfassenden Bericht der FAZ (Manfred Schäfers/Jürgen Dunsch/Rüdiger Soldt) zufolge auf eine schnelle Ratifizierung des Steuerabkommens. Damit würde auch die strafrechtliche Verfolgbarkeit der Beamten entfallen.

Auch die Akteure werden beleuchtet: Ihren "Kopf des Tages" widmet die FTD (Tobias Bayer) dem schweizerischen Bundesanwalt Michel Lauber; als "Finanzbeamte und Strafverfolger gleichzeitig" beschreibt die FAZ (Joachim Jahn) die Rolle deutscher Steuerfahnder.

Weitere Themen – Rechtspolitik

AGB-Recht: Die FTD (Thomas Münster) befasst sich heute mit der Debatte um die Reform des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen. Insbesondere kleine Unternehmen fühlten sich "von einer Reforminitiative bedroht", die Beschränkungen für Verträge zwischen Unternehmern aufheben wolle.

Mediationsgesetz: Über die Auseinandersetzung um das neue Mediationsgesetz im Vermittlungsausschuss informiert das Handelsblatt (Constanze Hacke). Auf Kritik stoße das Gesetz vor allem bei den Bundesländern, die bislang auf gerichtsinterne Mediation setzen.

Weitere Themen – Justiz

Lynchaufruf: Ein im Internet verbreiteter Aufruf zur Selbstjustiz gegenüber dem sich später als unschuldig herausstellenden Tatverdächtigen im "Mordfall Lena" könnte nun seinerseits strafrechtliche Folgen haben – die Staatsanwaltschaft Aurich ermittele nun wegen öffentlichen Aufrufs zu einer Straftat, weiß die FR (Jörg Schindler).

Mit der "Lynchjustiz 2.0" setzt sich auch Gerd Held (Die Welt) auseinander und meint, diese dürfe "nicht ungesühnt bleiben".

Berliner Doppelmord-Prozess: Der mutmaßliche Doppelmörder Mehmet Y. steht seit gestern in Berlin vor Gericht. Über den Tatvorwurf und den eher lebhaften ersten Prozesstag, der von einem lautstarken Angeklagten und seinem Verlangen nach einem neuen Pflichtverteidiger geprägt war, berichtet Die Welt (Michael Mielke).

Interviewerpressung: Vor dem Oberlandesgericht München geht der Prozess um die Interviewerpressung des Kabarettisten Ottfried Fischer morgen in die dritte Instanz. Das Landgericht hatte einen Ex-Bild-Reporter freigesprochen, der Fischer mit der Drohung der Veröffentlichung eines Sex-Videos zum Interview gedrängt haben soll, so die FR.

TV-Prozessberichterstattung: Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Eilentscheidung ein Verbot von Filmaufnahmen aus einem Hamburger Gerichtssaal aufgehoben. Das Persönlichkeitsrecht des wegen einer spektakulären Entführung Angeklagten könne auch durch Verpixelung des Gesichts gewahrt werden, fasst lto.de den Beschluss zusammen.

Laienprivileg: Mit dem "Laienprivileg" für Online-Forenbetreiber und Blogger setzt sich David Ziegelmayer auf lto.de auseinander. Er bezweifelt die Zeitgemäßheit dieser jahrzehntealten, ohnehin umstrittenen und "schwammigen" Rechtsfigur.

Thomas Stadler (internet-law.de) geht darauf aufbauend einen Schritt weiter und setzt sich mit der in seinen Augen entscheidenden Frage der Reichweite der Verbreiterhaftung auseinander – und widerspricht dem LTO-Autor in zwei Punkten zudem ausdrücklich.

Fiskalpakt: Nach einem Bericht der taz (Christian Rath) will die Partei Die Linke vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Fiskalpakt klagen, weil die Verpflichtung zu einer Schuldenbremse ihrer Ansicht nach gegen das Grundgesetz verstößt. Die Chancen der Linken, damit in Karlsruhe Gehör zu finden, stünden aber schlecht.

Microsoft flieht: Nach einem Bericht der FTD (Annika Graf) verlegt Microsoft aus Angst vor der "komplizierten und strengen deutschen Patentrechtsprechung" sein Logistikzentrum von Deutschland in die Niederlande. Hintergrund sei ein bald erwartetes Urteil des Landgerichts Mannheim im Patentstreit mit Motorola, das den Konzern eine Blockade wichtiger Produkte befürchten lasse – schlimmstenfalls drohe hier nämlich ein Verkaufsverbot. Darüber berichtet auch Die Welt (Benedikt Fuest).

Alte Schuldverschreibungen: In der FTD stellt der Rechtsanwalt Peter Bert als "Urteil der Woche" eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt vor, nach der das am 5. August 2009 in Kraft getretene Schuldverschreibungsgesetz nicht rückwirkend auf ältere Anleihen angewendet werden darf. Bei einer Unternehmensrestrukturierung müssten in einem solchen Fall deswegen nicht nur 75 Prozent der Gläubiger, sondern alle der Sanierung zustimmen.

Toll Collect: Das Schiedsverfahren über Schadensersatzforderungen der Bundesrepublik gegen die Betreiber des Mautsystems Toll Collect liegt vorübergehend auf Eis. Wie das Handelsblatt (dhs) knapp berichtet, ist der vom Bund entsandte Richter erkrankt und muss ersetzt werden.

Sonstiges

Jura-Gehälter: Nach einer Gehaltsstudie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung gehört der Jura zu "den fünf finanziell attraktivsten Fächern". Mit der DIW-Forscherin Johanne Storck führt lto.de (Constantin Körner) ein Interview.

Mit der Karriere in Top-Kanzleien, den damit verbundenen Gehältern und Entbehrungen sowie flexiblen Arbeitszeitmodellen beschäftigt sich das Handelsblatt (Katrin Terpitz, Susanne Metzger).

Das Letzte zum Schluss

Führungszeugnis-Fehler: Dreizehn Euro für die Neuausstellung eines Führungszeugnisses, das ursprünglich fehlerhaft war? Wenn es nach dem Bundesamt für Justiz gegangen wäre, hätte der Antragsteller genau diesen Betrag zahlen müssen. Ein "bedauerliches Büroversehen" hingegen erkannte darin das Bundesjustizministerium – und schickte das neue Führungszeugnis gleich mit. Die ganze Geschichte gibt's bei lawblog.de (Udo Vetter).

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. April 2012: Gewissensfreiheit zur Suizidhilfe – Lynchaufruf hat Nachspiel – Viel Knete für Juristen . In: Legal Tribune Online, 03.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5929/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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