Die EU-Kommission stimmt sich mit dem Verkehrsministerium über die PKW-Maut ab. Außerdem in der Presseschau: Bundesteilhabegesetz, absehbares Ende im NSU-Verfahren und die GFF betreibt Verfassungsbeschwerden mit Strategie.
Thema des Tages
PKW-Maut: Die EU-Kommission hat sich mit dem von Alexander Dobrindt (CSU) geleiteten Bundesverkehrsministerium über die Voraussetzungen der Einführung einer PKW-Maut auf deutschen Autobahnen geeinigt. Einzelheiten berichten bild.de (Dirk Hoeren) und die SZ (Markus Balser/Daniel Brössler). Nach jüngsten Bericht behält sich das Nachbarland Österreich wegen möglicher Benachteiligung seiner Autofahrer eine Klage beim Europäischen Gerichtshof vor.
Nach dem Kommentar von Markus Balser (SZ) hat sich der Verkehrsminister offenbar "sehr viel mehr einfallen lassen", als die Gegner Projekts für möglich gehalten hatten. Verkehrspolitisch bleibe die Neuerung aber "beinahe wirkungslos". Nach Hendrick Kafsack (FAZ) ist das Kalkül des Kommissionspräsidenten "leicht zu durchschauen". So sei die "mit den EU-Verträgen eigentlich unvereinbare Ausländer-Diskriminierung" mit dem "legalistischen" Argument, eine Eins-zu-eins-Verrechnung von Maut und Kfz-Steuer finde nicht statt, umgangen worden, um einen Konflikt mit Deutschland zu vermeiden. Für Christoph B. Schiltz (Welt) besteht die Zukunft der Beteiligung von Autofahrern an Infrastrukturkosten in einem europaweiten System, das Straßennutzungsgebühren einheitlich regele, und nicht in der deutschen "Retro-Maut".
Rechtspolitik
EU-Digitalcharta: Die soeben von der "Zeit"-Stiftung initiierte "Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union" erfährt Widerspruch von Rechtsanwalt Niko Härting auf lto.de. In seinem Kommentar kritisiert der Autor "diese sehr deutsche Aktion", weil deren Verfasser anscheinend davon ausgingen, dass die geltende europäische Grundrechtecharta in der "Hochrisikozone" Internet nicht ausreichen würde. Inhaltlich konzentriere sich die Digitalcharta auf Einschränkungen von Freiheitsrechten und Allgemeinplätze. Auch Michael Hanfeld (FAZ) zeigt sich im Medien-Teil der Zeitung skeptisch gegenüber dem Vorhaben. Die in der Charta behandelten Themen würden inzwischen von Politik und Justiz ernstgenommen. Um einer Aushöhlung von Grundrechten vorzubeugen, bedürfe es eines Digitalgesetzes, "das ganz konkret Ansprüche der Bürger gegen Unternehmen formuliert", die mit persönlichen Daten Handel treiben.
Bundesteilhabegesetz: Der Bundestag hat das Bundesteilhabegesetz beschlossen. Die wichtigsten Regelungen, die Vorgeschichte des Gesetzes und die von Betroffenenverbänden weiterhin vorgebrachte Kritik stellt die taz (Constantin Grosch/Marie Gronwald) dar. In ihrem Wirtschafts-Teil berichtet die FAZ (Britta Beeger) ebenfalls. Im Interview mit der SZ (Christoph Dorner) gibt Verena Bentele, Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, ihre Einschätzung zum Gesetz ab. Raul Krauthausen (taz) bezeichnet das Gesetz in einem Kommentar als "nicht mehr als ein Reförmchen", das den versprochenen Paradigmenwechsel nicht vollziehe.
Arbeitszeit: In dem soeben von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles vorgestellten "Weißbuch Arbeiten 4.0" werden Vorschläge unter anderem zur Anpassung von Arbeitszeitbestimmungen im digitalen Zeitalter unterbreitet. Die Rechtsanwälte Alexander Bissels und Hannah Krings unterziehen auf lto.de das Vorhaben einer ausführlichen, kritischen Analyse und kommen zu dem Schluss, dass die angedeuteten bzw. angeregten Neuregelungen den durch europarechtliche Bestimmungen zulässigen Rahmen nur unzureichend ausschöpfen würden.
Datenaustausch: Das Europäische Parlament hat mit großer dem sogenannten "Umbrella Agreement", einem Abkommen zwischen EU und den USA zum Austausch personenbezogener Daten zwischen Polizei und Justiz für Strafverfolgungszwecke, zugestimmt. Die weiterhin erforderliche Zustimmung des Ministerrates gelte als sicher, schreibt netzpolitik.org (Simon Rebiger).
Musterklagen: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichtet zum zum vorgelegten Musterklagen-Entwurf. Nach diesem sollten Verbände, Handwerks- sowie Industrie- und Handelskammern bei möglichen Ansprüchen von mindestens zehn Betroffenen die Möglichkeit erhalten, in einem Musterverfahren Sachverhalte verbindlich entscheiden zu lassen. Verbraucher würden sich elektronisch für eine solche Musterklage registrieren lassen können. Nach der Meldung von deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) stehen die Aussichten für eine Durchsetzung des Entwurfs wegen Vorbehalten in der Union gegen weitere Rechte für Verbraucherverbände nicht gut.
BauGB: Durch die am Mittwoch von der Bundesregierung beschlossene Novelle des Baugesetzbuchs wird auch die Einbeziehung von Außenbereichsflächen in das beschleunigte Verfahren ermöglicht. Nach dem Bericht der SZ (Michael Bauchmüller) erlaubt dieser auf Betreiben der CSU eingefügte Passus die Bebauung vormaliger Ackerflächen an den Rändern bestehender Siedlungsgebiete. Dies widerspreche dem eigentlichen Ziel der Reform, innerstädtische Flächen für den Wohnungsbau besser auszunutzen.
Meldepflicht für Steuersparmodelle: Steuerberater und Anwälte sollen nach Vorstellung der Landesfinanzminister gesetzlich dazu verpflichtet werden, von ihnen entwickelte Steuersparmodelle anzumelden. Dies schreibt die SZ (Cerstin Gammelin).
E-Books: E-Books und Onlinezeitungen sollen künftig den gleichen vergünstigten Mehrwertsteuersatz wie Printprodukte für sich in Anspruch nehmen können. Diese Ankündigung der EU-Kommission gehe auch auf die Kritik an einem unlängst ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs ein, nach der eine solche Besteuerung in Frankreich und Luxemburg noch untersagt wurde. Dies schreibt die SZ (Alexander Mühlauer).
IMK – Presseausweis: Die Innenministerkonferenz hat die (Wieder-) Einführung eines einheitlichen Presseausweises für hauptberufliche Journalisten beschlossen. Der Bericht von taz.de (Christian Rath) erklärt die Funktion und Vorteile eines solchen Ausweises, die Gründe für die 2008 erfolgte Abschaffung des Vorgängermodells und die Kriterien, nach denen künftig Ausweise ausgestellt werden sollen.
Kopftuch: Nach Meldung der SZ will der bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU) durch Änderung des Richtergesetzes das Tragen religiös geprägter Kleidungsstücke und Symbole verhindern. Das Vorhaben sei als "eindeutige Absage an das Kopftuch auf der Richterbank" zu verstehen.
Justiz
EuGH – HOAI: Der Europäische Gerichtshof befasst sich nun mit der deutschen Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOIA). Nach Auffassung der EU-Kommissarin für den Binnenmarkt, Elzbieta Bienkowska, behinderten die Festschreibungen von Höchst- und Mindestsätzen in der HOIA die Niederlassungsfreiheit, schreibt unter ausführlicher Darlegung der relevanten Rechtsprobleme Rechtsanwalt Friedrich-Karl Scholtissek in einem Gastbeitrag für den Immobilien-Teil der FAZ.
BGH zu Sparangeboten: Sparangebote für medizinische Hilfsmittel, bei denen Händler auf die üblicherweise von Verbrauchern zu leistenden Zuzahlungen verzichten, sind nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs zulässig. Die fraglichen Bestimmungen dienten nicht dem Schutz von Apothekern, sondern der Kostendämpfung im Gesundheitswesen, gibt die FAZ (Hendrik Wieduwilt) die Entscheidung wieder. Die unterlegene Wettbewerbszentrale könne sich somit nicht auf deren Einhaltung berufen.
BGH zu Oskar Gröning: Der SWR RadioReport (Gigi Deppe) widmet sich in einem Feature der nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs nun rechtskräftigen Verurteilung von Oskar Gröning wegen dessen Tätigkeit im KZ Auschwitz und geht dabei auch auf mögliche weitere Verfahren gegen KZ-Aufseher ein.
BSG zu Streikrecht für Kassenärzte: Arbeitskampfmaßnahmen wie Streiks bleiben für Kassenärzte weiterhin unzulässig. Eine derartige Interessenvertretung gegenüber Krankenkassen und kassenärztlicher Vereinigung sei nicht mit der gesetzlichen Konzeption des Vertragsarztrechts vereinbar, entschied das Bundessozialgericht nach einer Meldung von community.beck.de (Markus Stoffels).
OLG München – NSU: Am 327. Verhandlungstag im NSU-Verfahren hat das Oberlandesgericht München die Beteiligten aufgefordert, etwaige Beweisanträge "möglichst zügig und möglichst schnell" zu stellen. Die Vernehmung des psychologischen Gutachters zur Hauptangeklagten sei in drei Wochen angesetzt worden, berichtet die SZ (Wiebke Ramm). Im Anschluss seien die Plädoyers zu erwarten. Zschäpes Verteidiger Mathias Grasel habe für die kommende Woche ergänzende Angaben seiner Mandantin angekündigt. Nach Meinung von Annette Ramelsberger (SZ) ist das absehbare Ende des Prozesses zu begrüßen. Dieser habe im vergangenen Jahr eher der Absicherung gegen eine Urteilsaufhebung in der Revision denn der Wahrheitsfindung gedient. Daher habe sich das Gericht "mit zusammengebissenen Zähnen" die umständliche Vernehmung Zschäpes "gefallen" lassen.
LG Traunstein – Bad Aibling: Das Strafverfahren zum Zugunglück von Bad Aibling wurde am Landgericht Traunstein mit der Vernehmung von Sachverständigen fortgesetzt. Das Gericht ließ sich hierzu Einzelheiten des vom Angeklagten vor dem Zusammenstoß der Züge benutzten Handyspiels und der hierdurch bedingten Beeinträchtigung des Aufmerksamkeitsvermögens erläutern. Es berichten SZ (Annette Ramelsberger) und FAZ (Karin Truscheit).
LG Berlin zu Reservierungsgebühr: Das Landgericht Berlin hat es in einem jetzt bekannt gewordenen Urteil vom 8. November einem Immobilienunternehmen untersagt, von Kaufinteressenten eine sogenannte Reservierungsgebühr zu erheben. Die Klausel benachteilige Verbraucher unangemessen, schreibt die FAZ (Marcus Jung) über das noch nicht rechtskräftige Urteil. In einem separaten Kommentar mutmaßt Marcus Jung (FAZ), dass die beanstandete Praxis wohl nicht nur in Berlin vorkomme. Ob die Leistung tatsächlich Geld wert wäre, müsse höchstrichterlich geklärt werden. Bis dahin würden Vermittler "in Graubereichen Chancen" erkennen. So funktioniere "ein Markt mit hoher Nachfrage und wenig Angeboten nun mal".
VG Dresden zu Lutz Bachmann: Das Verwaltungsgericht Dresden hat ein gegen den Pegida-Anführer Lutz Bachmann verhängtes mehrjähriges Verbot, als Versammlungsleiter aufzutreten, aufgehoben. Die Generalklausel des sächsischen Versammlungsgesetzes biete für das Verbot keine ausreichende Rechtsgrundlage, schreibt lto.de zu dem Beschluss.
GFF: Gemeinsam mit Amnesty International Deutschland hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) im vergangenen Monat eine Verfassungsbeschwerde gegen die Telekommunikationsüberwachung durch den BND erhoben. Die GFF soll durch eine sogenannte strategische Prozessführung die gerichtliche Durchsetzung von Bürger- und Freiheitsrechten erwirken. Im Interview mit juwiss.de (Sarah Rödiger) erläutert Rechtsprofessorin Nora Markard, Vorstandsmitglied der GFF, Ziele und Vorgehen des Vereins und geht auch auf das nun beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren ein.
Recht in der Welt
Türkei – Verfassungsänderung: Über die vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geplanten Verfassungsänderungen soll das Parlament bereits in der kommenden Woche beraten. Im nächsten Sommer sei dann ein Referendum geplant, meldet zeit.de.
USA – Durchsuchungsbeschluss: Durch die Änderung einer strafprozessualen Bestimmung ist es US-amerikanischen Bundesbehörden wie dem FBI ab sofort möglich, durch amtsrichterliche Beschlüsse ("magistrate judge") beliebig viele Computer in beliebigen Jurisdiktionen zu durchsuchen. Hierdurch würden weltweit Hacks ermöglicht, schreibt zeit.de (Patrick Beuth).
Sonstiges
NSA-U-Ausschuss: Die Enthüllungsplattform WikiLeaks hat zahlreiche Dokumente veröffentlicht, die dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Verfügung stehen. Als geheim eingestufte Dokumente fänden nicht darunter, weil diese nicht digitalisiert worden seien, schreibt zeit.de (Kai Biermann/Patrick Beuth). Die Veröffentlichung erlaube dennoch einen vertieften Blick auf die Kooperation von Geheimdiensten.
Das Letzte zum Schluss
Knappe Kiste: Die saarländische Landes-Garagenverordnung sieht für die Zufahrten von Parkhäusern eine Mindestbreite von drei Metern vor. Die Beschädigungen seines Fahrzeugs, die ein ein Autofahrer in einer nur 2,55 m breiten Zufahrt erlitt, muss er nach einem Urteil des Landgerichts Saarbrücken aber trotzdem selbst tragen. Das Befahren einer Parkhauseinfahrt in dieser Breite auch mit den gängigsten Fahrzeugmodellen, über die sich das Gericht beim ADAC erkundigte, sei ohne weiteres gefahrlos möglich. Über das Urteil berichtet der verkehrsrechts-blog.com (Alexander Gratz).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 2. Dezember 2016: Freie Fahrt für Maut / Endlich Ende im NSU-Prozess? / Verfassungsbeschwerden mit Strategie . In: Legal Tribune Online, 02.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21313/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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