Das VG Augsburg hebt in Bayern praktiziertes Kopftuchverbot für Referendarinnen als rechtswidrig auf. Außerdem in der Presseschau: Erbschaftsteuer verzögert sich, Tatsachenfehler im Pechstein-Urteil und pfennigfuchsender Widerspruchsführer.
Thema des Tages
VG Augsburg zu Kopftuch: Die gegen die bayerische Rechtsreferendarin Aqilah Sandhu verhängte Auflage, hoheitliche Aufgaben im Rahmen ihres Vorbereitungsdienstes nicht mit Kopftuch auszuüben, ist vom Verwaltungsgericht Augsburg wegen fehlender Rechtsgrundlage aufgehoben worden. Für den mit der Auflage bewirkten Eingriff in Religions- und Ausbildungsfreiheit als Teil der Berufsfreiheit sei eine gesetzliche Grundlage erforderlich. Die Einschränkung war der muslimischen Referendarin aber nach einer Dienstanweisung des bayerischen Justizministeriums auferlegt worden, schreibt die SZ (Stefan Mayr). Die Welt (Matthias Kamann) geht davon aus, dass es "eine schlüssige Argumentationsweise" für ein Verbotsgesetz tatsächlich geben könne. Denn sei die vom unterlegenen Freistaat propagierte Neutralität im Gerichtssaal verfassungsgerichtlich bereits durch eine Entscheidung zum Robenzwang abgesegnet worden. Es sei fraglich, ob diese zulässige "Objektivitätssysmbolisierung" durch ein "dann doch nicht neutrales Symbol" oberhalb der Robe umgangen würde. Gleichwohl seien staatliche Eingriffe in die Religionsfreiheit "ausgesprochen anspruchsvoll". Fall, Verhandlung und die erfolgreiche Klägerin stellt die SZ (Dunja Ramadan) vor.
Matthias Drobinski (SZ) begrüßt das Urteil im Leitartikel als "Zumutung". Religionsfreiheit bedeute auch, Andersgläubige und Andersdenkende "auszuhalten" und weder im Gericht noch in der Schule könne Neutralität bedeuten, dass einem dort nur glaubens- und überzeugungsfreie Menschen begegneten. Das gegenseitig auszuübende "Recht auf Zumutung" ende dort, "wo der Übergriff beginnt". Diese Grenze müsse "immer wieder neu und mühsam ausgehandelt werden."
Rechtspolitik
Erbschaftsteuer: Die Mehrheit der Landesfinanzminister lehnt die von der großen Koalition erst kürzlich beschlossene Reform der Erbschaftsteuer ab und plant, den Vermittlungsausschuss anzurufen, schreibt die SZ (Guido Bohsem). Die Minister bemängelten eine unzulässige Privilegierung wertvoller Unternehmen, die vom Bundesverfassungsgericht 2014 gesetzte Frist für die Umsetzung der Reform werde damit nicht erfüllt. Marc Beise (SZ) begrüßt die Entscheidung in einem Kommentar. Der gefundene Kompromiss sei "so widersprüchlich, kompliziert und undurchsichtig, dass er vermutlich bei einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht nicht Bestand haben würde." So sei es besser, noch einmal von vorne anzufangen.
Volksgesetzgebung: Reinhard Müller (FAZ) befasst sich im Leitartikel des Blattes mit verschiedenen Modellen der Volksgesetzgebung. Während sich die "Fragwürdigkeit eines Referendums" bei der Brexit-Abstimmung gezeigt habe, ermögliche eine "eingehegte Form" derartiger Abstimmungen, wie sie in der Schweiz herrsche, tatsächlich vom Volk ausgehende Herrschaft. Innerhalb von Grenzen des rechtlich Zulässigen hätten Abstimmungen dann auch befriedenden Charakter. Vorstöße wie jener der Thüringer CDU, die aus tagespolitischen Erwägungen heraus fakultative Referenden über verabschiedete Gesetze einführen will, schwächten dagegen die parlamentarische Demokratie. "Wenn Volksgesetzgebung, dann nur in klar legitimierten und geregelten Bahnen."
CETA: Die Bundesregierung geht weiterhin davon aus, dass es sich beim geplanten Freihandelsabkommen CETA um ein sogenanntes gemischtes Abkommen handelt, bei dem nationale Parlamente ein Mitspracherecht besitzen. Dementsprechend werde für den Herbst an einem Entschließungsantrag des Bundestages gearbeitet, schreibt die FAZ (Günter Bannas). Ein Ratifizierungsgesetz solle wegen der Zustimmungspflichtigkeit des Bundesrates dagegen vermieden werden. Fragen zum Abkommen und legislativen Beteiligungsrechten stellt und beantwortet die SZ (Alexander Mühlauer/Robert Roßmann). Auf verfassungsblog.de legt Patrik Holterhus, wissenschaftlicher Assistent, dar, unter welchen Bedingungen "entscheidende Einwirkungsmöglichkeiten des Bundestages" auch bei einer Behandlung von CETA als Abkommen in alleiniger EU-Kompetenz bestünden.
BND-Gesetz: Nach der Vorstellung des Entwurfs zur Reform des BND-Gesetzes sieht netzpolitik.org (Andre Meister) bereits geäußerte Befürchtungen bewahrheitet: "alles, was durch Snowden und Untersuchungsausschuss als illegal enttarnt wurde, wird jetzt einfach als legal erklärt."
Bundeskartellamt: Mit einer Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sollen nach Bericht der FAZ (Kerstin Schwenn) die Kontrollrechte des Bundeskartellamtes vor allem im digitalen Bereich erweitert werden. Der für Anfang August geplante Kabinettsentwurf sehe ferner eine Verschärfung der Haftung durch Bußgelder vor.
Privacy Shield: spiegel.de (Markus Becker/Angela Gruber) liegt der finale Entwurf zum Datenschutzabkommen Privacy Shield vor. Die Nachfolgevereinbarung für das Safe-Harbor-Abkommen steht kurz vor dem Abschluss, der Beitrag führt fünf zentrale neue Punkte auf.
Justiz
BGH zu Claudia Pechstein: In einem Gastbeitrag für den Sport-Teil der FAZ kritisiert Rechtsanwalt Mark-E. Orth das Anfang Juni ergangene, klageabweisende Urteil des Bundesgerichtshofs gegen die Sportlerin Claudia Pechstein. Der BGH habe durch seine Einstufung der "zwingenden Schiedsklausel eines marktbeherrschenden Sportverbands zugunsten eines Schiedsgerichts in der Schweiz als nicht missbräuchlich" Sportlern aus EU-Staaten Rechtsschutz durch das europäische Kartellrecht beschnitten und gleichzeitig auch Wirtschaftsunternehmen einen Weg gezeigt, "um dem europäischen Kartellrecht zu entkommen". Pechsteins Anwälte müssten sich fragen lassen, warum sie keinen Antrag auf Vorabentscheidung an den Europäischen Gerichtshof gestellt haben. Der EuGH habe in anderen Verfahren bewiesen, dass er geltendes Kartellrecht auch gegenüber Sportverbänden "anzuwenden weiß".
Bei der Entscheidung ist dem BGH offenbar ein Tatsachenfehler unterlaufen. Im Einklang mit der Berufungsinstanz sei eine Bestimmung zu den Ernennungskompetenzen der Berufungsabteilung des Internationalen Sportgerichtshofs unzutreffend wiedergegeben worden, schreibt lto.de (Pia Lorenz) unter Bezugnahme auf einen Bericht der SZ. Es sei unklar, ob dieser Mangel rechtzeitig gerügt wurde, in jedem Fall dürfte die Sache in der ordentlichen Gerichtsbarkeit rechtskräftig abgeschlossen sein.
BGH zu Beleidigung: Auch schwerwiegende Beleidigungen begründen zumindest dann keinen Anspruch auf Geldentschädigung, wenn sie im persönlichen Umfeld ohne öffentliche Breitenwirkung geschehen. Dies entschied nach einer Meldung von lto.de der Bundesgerichtshof in einer nun veröffentlichten Entscheidung vom Mai.
BGH zu Gebrauchtwagenkauf: Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu Gewährleistungsrechten beim Gebrauchtwagenkauf stellt focus.de vor.
BAG zu Mindestlohn: Rechtsanwalt Patrick Mückl stellt auf lto.de Fall und Problematik des am vergangenen Mittwoch ergangenen Grundsatzurteils des Bundesarbeitsgerichts zum Mindestlohnanspruch für Bereitschaftszeiten vor. Der BAG habe richtiger Weise klargestellt, dass Bereitschaftsdienst nicht gesondert zu vergüten sei, solange das erzielte Grundgehalt in seiner Gesamtheit über dem Mindestlohn liege. Das Urteil trage insoweit weiter zur Rechtssicherheit für die betriebliche Praxis bei.
BVerwG zu Altmetall-Kleinsammlern: Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgericht ist die Schilderung einer lückenlosen Kette des Verwertungsweges bei einem gewerblichen Kleinsammler von Altmetall nicht erforderlich, meldet lto.de.
OLG München – NSU: Der Bericht von spiegel.de (Wiebke Ramm) zum 293. Verhandlungstag im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München befasst sich mit dem Versuch des Mitangeklagten Carsten S., eine vom Bundeskriminalamt protokollierte Aussage klarzustellen. Der als Zeuge vernommene BKA-Beamte habe schließlich zu verstehen gegeben, dass S. bei einer Vernehmung im Februar 2012 zwar ausgesagt habe, sich an Details einer Geldübergabe zum Zwecke des Waffenkaufs nicht mehr erinnern zu können. Nicht in Frage habe jedoch gestanden, dass der ebenfalls mitangeklagte Ralf Wohlleben das Geld für diesen Kauf bereit gestellt habe. Dies sei im Vernehmungsprotokoll unklar dargestellt gewesen.
LG Neuruppin – Mordfall: Im Mordprozess vor dem Landgericht Neuruppin gegen eine Frau, die 1974 ihren achtjährigen Sohn ermordet haben soll, fehlt die in der DDR angelegte Originalakte. Vor Gericht erklärte sich nun eine Mitarbeiterin des Brandenburger Generalstaatsanwalts, die Akte vor etlichen Jahren in der Hand gehabt und Teile daraus für eine unbekannt gebliebenen Frau kopiert zu haben, schreibt die FAZ (Mechthild Küpper). Auch der zu der Akteneinsicht angelegte Verwaltungsvorgang sei nicht mehr auffindbar.
Recht in der Welt
Großbritannien – Brexit: lto.de (Pia Lorenz) befragt den in London lehrenden deutschen Rechtsprofessor Alexander Türk zur Stimmung an seiner Universität nach der Brexit-Abstimmung, seiner Meinung zu Volksabstimmungen allgemein und möglichen Ausstiegsszenarien, auch im Bezug auf Schottland. Die SZ (Alexander Mühlauer) legt dar, unter welchen Bedingungen ein aus der EU ausgetretenes Vereinigtes Königreich weiter am europäischen Binnenmarkt teilnehmen könnte und erläutert hierzu die Vereinbarungen mit Norwegen und der Schweiz.
ICTY – Haftstrafen: Die Berufungsinstanz des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) hat die Verurteilung zweier Vertrauter von Radovan Karadzic zu langjährigen Haftstrafen bestätigt. Nach dem Bericht von zeit.de sind damit nur noch fünf Verfahren beim ICTY anhängig.
Russland – Anti-Terror-Gesetz: In einem Kommentar zum Anti-Terror-Gesetz in Russland behauptet Reinhard Veser (FAZ), das Land unternehme "einen weiteren Schritt von der autoritären Herrschaft zur Diktatur". "In demokratischen Staaten" werde bei der Bekämpfung des Terrorismus "stets" zwischen behördlichen Erfordernissen und Freiheitsrechten der Bürger abgewogen. Dies sei in Russland nicht mehr der Fall.
USA – Deutscher Geiger: In einem Deal zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft hat sich der in den USA in einem Vorverfahren des versuchten Mordes beschuldigte renommierte deutsche Geiger Stefan Arzberger wegen "rücksichtsloser Tätlichkeit" als schuldig bekannt. Er darf nun das Land verlassen, schreibt die Welt (Michael Remke) in einer ausführlichen Darstellung eines bizarren Falls.
Sonstiges
Stephan Kramer: Die SZ (Cornelius Pollmer/Ronen Steinke) porträtiert Stephan Kramer und zieht eine Zwischenbilanz seines nunmehr halbjährigen Wirkens als Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes.
Das Letzte zum Schluss
Kostenbewusst: Recht bekommen und doch noch verloren hat ein Münchner Grundstückseigentümer in einem vom Verwaltungsgericht Koblenz entschiedenen Fall. Wie spiegel.de berichtet, hatte der Mann in einem rheinland-pfälzischen Widerspruchsverfahren zu einer Steuerforderung von fünf Euro obsiegt. Hierbei war nach seiner Ansicht seine persönliche Anwesenheit erforderlich, Reisekosten von 296,20 Euro wollte er daher erstattet bekommen. Wegen groben Missverhältnisses zwischen ursprünglicher Steuerforderung und Kostenforderung verweigerte sich das mit der Sache befasste VG dem Anliegen und erlegte ihm auch die Kosten des Gerichtsverfahrens auf.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 1. Juli 2016: Referendarin mit Kopftuch? / Neustart für Erbschaftsteuer? / Pechstein-Urteil falsch? . In: Legal Tribune Online, 01.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19854/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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