Die juristische Presseschau vom 22. September 2011: Sicherungsverwahrung neu – Steuerabkommen kontrovers – "Gefangenenhilfe" verboten

22.09.2011

Die SZ stellt heute das Konzept der Bundesjustizministerin zur Reform der Sicherungsverwahrung vor. Dieses setze "enge Grenzen" für die Richter und sehe einen "sehr offenen Vollzug" vor. Außerdem in der Presseschau das Steuerabkommen mit der Schweiz, die Wahlrechts-Reform, rechtsextreme Gefangenenhilfe, Streikrecht und Kirche und vieles andere.

Sicherungsverwahrung: Das der SZ (Heribert Prantl) exklusiv vorliegende  Konzept für eine Reform der Sicherungsverwahrung wird Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) der heutigen Sonder-Justizministerkonferenz in Magdeburg vorlegen.

Danach solle die Sicherungsverwahrung nur noch bei hochgradig gefährlichen, psychisch gestörten Tätern verhängt werden dürfen. Außerdem dürfe sie nicht mehr nachträglich angeordnet werden, sondern müsse bereits im Strafurteil beschlossen oder dort zumindest als möglich angekündigt werden.

Ein weiterer zentraler Punkt des Papiers sei die künftige Unterbringung der Sicherungsverwahrten. Diese solle so angelegt werden, dass sie nach außen einerseits Sicherheit biete, den Verwahrten nach innen aber einen so offenen Vollzug wie möglich erlaube, inklusive Therapieangeboten. Dies solle in "vom Strafvollzug getrennt[en], besonderen Gebäuden oder Abteilungen" verwirklicht werden. Der Vollzug solle zudem von Gerichten jährlich, nach zehn Jahren Verwahrung halbjährlich überprüft werden müssen. Die Sicherungsverwahrung solle auch dann als unverhältnismäßig aufgehoben werden können, wenn den Verwahrten keine ausreichenden Therapieangebote zur Verfügung gestellt werden.

Die Zeit (Christian Denso) führt heute ein Interview mit dem Freiburger Rechtsanwalt Bernd Behnke, der 15 Sicherungsverwahrte vertritt. Dieser hält eine Reform der Sicherungsverwahrung für dringend nötig; die Situation der Verwahrten sei schlechter denn je.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Steuerabkommen Schweiz: Wie die FAZ (Manfred Schäfers/Jürgen Dunsch) berichtet, haben Deutschland und die Schweiz am gestrigen Mittwoch das umstrittene Steuerabkommen unterzeichnet, das Anfang 2013 in Kraft treten soll und das verbunden mit einer Steueramnestie eine Besteuerung von in der Schweiz lagerndem deutschen Schwarzgeld vorsieht. Allerdings sei dafür noch die Zustimmung des Bundesrates nötig; SPD-Landesregierungen hätten Widerstand gegen das Abkommen angekündigt.

In einem Interview mit der SZ (Guido Bohsem) bezeichnet Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) das Abkommen als "faulen Kompromiss". Es sei "nicht fair, wenn sich reiche Steuerhinterzieher 'freikaufen' können". Er wolle nachverhandeln.

Auch Ex-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) fordert in einer Kolumne in der Zeit, nun "die Pferde zu satteln" – das deutlich schärfere Vorgehen der USA mittels Steuerstrafverfahren gegen die schweizerische Bank UBS habe zu einem größeren Erfolg geführt als die deutsche Diplomatie. Das Abkommen sei "rechtlich dubios", weil es zur Strafbefreiung deutscher Steuersünder und schweizerischer Bankmitarbeiter führe.

Den Vergleich mit den USA stellt auch die taz (Malte Kreutzfeldt) an. Dort wird der US-Steueranwalt Jack Blum, der Regierung und das Tax Justice Network berät, mit der verwunderten Frage zitiert, warum "Deutschland vor der Schweiz kapituliert, statt zu kämpfen".

Manfred Schäfers (FAZ) hebt dagegen hervor, dass das Abkommen deutlich mehr Erfolg verspreche als die von der damaligen rot-grünen Bundesregierung angebotene Steuer-Amnestie.

Die schweizerische Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf hält das Abkommen im Gespräch mit der FAZ (Jürgen Dunsch) dann auch für einen guten Kompromiss – man könne nun mal "nicht beides haben: das schnelle Eintreiben von Steuerschulden und die Einzelfallgerechtigkeit."

Wahlrechts-Reform: Wie die taz berichtet, will die Regierungskoalition ohne vorige Einigung mit der Opposition in der kommenden Woche im Bundestag die überfällige Reform des Bundeswahlrechts beschließen. Zum Ausschluss des vom Bundesverfassungsgericht monierten "negativen Stimmgewichts" solle künftig auf die überregionale Verrechnung von Zweitstimmen zwischen den Landeslisten verzichtet werden. "Überzählige" Stimmen sollten vielmehr bundesweit zusammen- und auf eventuelle Überhangmandate angerechnet werden. Dadurch entstünden auch tendenziell weniger Überhangmandate. SPD und Grüne hätten die Neuregelung als willkürlich kritisiert. Laut SZ kündigte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht an.

Weitere Themen – Justiz

Bundesverfassungsgericht: Die FAZ beschäftigt sich heute auf der "Staat und Recht"-Seite anlässlich des 60jährigen Jubiläums mit dem Bundesverfassungsgericht. Reinhard Müller führt ein Interview mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zur Rolle des Gerichts in der Euro-Krise und seiner Stellung in Deutschland. Karlsruhe sei "nicht die Opposition", meint der Minister.

In einem Gastbeitrag auf der gleichen Seite beschäftigt sich der Präsident des Gerichtshofs der Europäischen Union, Vassilios Skouris, mit der Rolle des Bundesverfassungsgerichts in Europa. Dabei mahnt er, es gebe "nicht nur Karlsruhe" – und plädiert für eine "gleichberechtigte Kooperation im europäischen Gerichtsverbund".

Im Feuilleton der Zeit stellt Heinrich Wefing das Buch "Das entgrenzte Gericht" vor, in dem sich vier Rechtswissenschaftler anlässlich des Jubiläums mit der Zukunft des Verfassungsgerichts beschäftigen. Der Band sei "bewusst als Kontrapunkt zu dem Lobgesang konzipiert", der zu erwarten sei.

U-Bahn-Schläger: Auch die Zeit (Dagmar Rosenfeld) beschäftigt sich diese Woche mit dem Urteil gegen den Berliner U-Bahn-Schläger Torben P. Dieser bleibe "ein Mensch, kein Monster, trotz allem" – und das milde wirkende Urteil sei in Wahrheit ein "übermäßig hartes", da Jugendhaft das letzte Mittel des Jugendstrafrechts sei. Eine Aussetzung zur Bewährung hätte es dem nicht vorbestraften Täter viel eher ermöglicht, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren.

"Gefangenenhilfe" verboten: Bundesinnenminister Friedrich (CSU) hat den rechtsextremen Verein "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige" (HNG) als verfassungswidrige Vereinigung verboten, so unter anderem die FR (Volker Schmidt). Es handele sich dabei um den "größten und ältesten Neonazi-Verein Deutschlands", der zum Ziel habe, rechtsextreme Häftlinge in ihrem Weltbild zu stärken. Begründet werde das Verbot des Vereins mit dessen "Ablehnung des demokratischen Rechtsstaats sowie der Verherrlichung des Nationalsozialismus", weiß die taz (Sebastian Erb/Andreas Speit) zu berichten.

Streik und Kirche: Die taz (Christian Rath) beschäftigt sich anlässlich eines Beschlusses des Bundeskongresses der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di mit dem Streikrecht von Arbeitnehmern in kirchlichen Einrichtungen. Die Kirchen seien der Auffassung, dass ein Streikrecht mit dem christlichen Verständnis einer "Dienstgemeinschaft" nicht vereinbar sei. Anders sehe dies das Landesarbeitsgericht Hamm – ein Streikverbot sei jedenfalls dort unverhältnismäßig, wo Mitarbeiter betroffen seien, die keinen unmittelbaren "Dienst am Nächsten" leisteten. Eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu dem Fall stehe noch aus; danach sei mit einer Verfassungsbeschwerde der unterlegenen Partei zu rechnen.

In einem Kommentar vertritt Christian Rath (taz) die Auffassung, dass die Erstreckung des Selbstverwaltungsrechts der Kirchen über den "engeren Bereich der Kirchenorganisation" hinaus auf sämtliche kirchliche Sozialeinrichtungen "viel zu weit" gehe. Hier gehe es schon lange nicht mehr um "selbstlose Nächstenliebe", es handele sich vielmehr um Sozialkonzerne.

Weitere Themen – Recht in der Welt

Chirac-Prozess: Im Korruptionsprozess gegen den französischen Ex-Präsidenten Jaques Chirac hat die Staatsanwaltschaft auf Freispruch plädiert. Dies berichten übereinstimmtend taz (Rudolf Balmer) und FAZ (Michaela Wiegel). Es habe kein "mafiöses System" gegeben; dass Parteifunktionäre auf Kosten der Stadt Paris scheinbeschäftigt wurden, könne nicht hinreichend bewiesen werden.

Rudolf Balmer (taz) kritisiert das Verhalten der Staatsanwaltschaft scharf: Man könne den Eindruck gewinnen, "da sei die Justiz einer Bananenrepublik am Werk", so erkennbar sei der Widerspruch zwischen dem Antrag und den Erkenntnissen des Ermittlungsdossiers.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

 

lto/thd

 

(Hinweis für Journalisten)

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 22. September 2011: Sicherungsverwahrung neu – Steuerabkommen kontrovers – "Gefangenenhilfe" verboten . In: Legal Tribune Online, 22.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4362/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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