Die juristische Presseschau vom 27. Januar 2016: BVerfG legt sich mit EuGH an / Ver­fas­sungs­be­schwerde gegen Vor­rats­da­ten­spei­che­rung / Kla­ge­flut gegen Zucker<

27.01.2016

Das BVerfG maßt sich die Auslegung von EU-Recht an. Außerdem in der Presseschau: FDP will gegen Vorratsdatenspeicherung klagen, Fischer kritisiert Bürgerwehr und ein Kater mit (Rechts-)Persönlichkeit?

Thema des Tages

BVerfG zu EU-Haftbefehl: Das Bundesverfassungsgericht hat den Vollzug eines EU-Haftbefehls mit der Begründung untersagt, die Auslieferung verstoße gegen Menschenwürde und Rechtsstaatsprinzip. Die Richter hatten in dem nun veröffentlichten Beschluss hervorgehoben, die deutsche Verfassung habe in zentralen Fragen Vorrang vor EU-Recht. Letztlich machten sie jedoch keinen Fall von Verfassungsidentitäts-Kontrolle geltend, sondern beriefen sich auf EU-Recht. Im vorliegenden Fall war ein US-Amerikaner von einem italienischen Gericht in Abwesenheit zu einer 30-jährigen Haftstrafe verurteilt und in Deutschland festgenommen worden, woraufhin das Oberlandesgericht Düsseldorf seine Auslieferung verfügte. Gegen diese Entscheidung legte er Verfassungsbeschwerde ein. Das BVerfG argumentierte, es sei unklar, ob Italien dem Betroffenen eine neue Beweisaufnahme in seiner Anwesenheit und somit ein grundrechtlich legitimes Verfahren gewähre – dies müsse das OLG nun abschließend prüfen. Karlsruhe legte den Fall nicht dem Europäischen Gerichtshof vor, sondern das EU-Recht selbst aus, da die EU-Rechtslage hier offenkundig sei; der EuGH hatte allerdings in einem ähnlich gelagerten Fall (Melloni) eine Auslieferung nicht beanstandet. SZ (Wolfgang Janisch) und FAZ (Reinhard Müller – gekürzte Onlinefassung) heben die Ausführungen des Gerichts zur Verfassungsidentität hervor. Die taz (Christian Rath) betont, dass das BVerfG letztlich die Entscheidung nicht aufgrund der Verfassungsidentität, sondern nach EU-Recht traf. verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) meint es sei nachvollziehbar, wenn sich das OLG Düsseldorf nun zur vollständigen Klärung an den Europäischen Gerichtshof wende.

Wolfgang Janisch (SZ) sieht eine Abkehr der Verfassungsrichter von der "Solange"-Rechtsprechung. Er meint, das Gericht hätte zu Recht "das Ende seines Wegschauens" in Fragen des EU-Rechts verkündet. "Das Prinzip des Vertrauens, das hinter den vereinfachten Auslieferungen bei EU-Haftbefehlen steckt, darf nicht dazu verführen, einen Mangel an Rechtsstaatlichkeit andernorts zu ignorieren." "Nationale Alleingänge unter Missachtung der gemeinsamen vereinbarten Regeln bedeuten auf Dauer den Tod der Gemeinschaft", mahnt Reinhard Müller (FAZ). Hier seien allerdings "ureuropäische Normen" gefährdet.

Rechtspolitik

Asylrechtsreformen: Die Bundesregierung plant am heutigen Mittwoch, ein verschärftes Ausweisungsrecht im Kabinett auf den Weg zu bringen. Bezüglich des Asylpakets II gäbe es nach wie vor Unstimmigkeiten in der Koalition; Klärung werde am kommenden Donnerstag bei einem Gespräch der Koalitionsspitzen mit den Bundesländern erwartet. Die SZ (Stefan Braun) fasst die geplanten Regelungen beider Gesetzentwürfe sowie die Verhandlungen um das Asylpaket II zusammen. Auch das Hbl (Heike Anger/Daniel Delhaes u.a.) berichtet.

TTIP: Ab kommenden Montag sollen Bundestagsabgeordnete konsolidierte Verhandlungsdokumente zu TTIP, die nicht nur die europäische, sondern auch die US-amerikanische Position sichtbar machen, einsehen können. Die SZ (Michael Bauchmüller) fasst die Auflagen zusammen, unter denen die Einsicht erlaubt ist. Ziel sei es, die nationalen Parlamente einzubeziehen und so mehr Akzeptanz für das Abkommen zu schaffen. Auch Hbl (Dana Heide) und taz (Tanja Tricarico) informieren.

Dana Heide (Hbl) hält es für einen "wichtigen und längst überfälligen Schritt", dass die gewählten Volksvertreter Einsicht in die Dokumente erhalten. Dies sei dringend nötig gewesen, um den Fortschritt der Verhandlungen nicht zu gefährden. Heide kritisiert allerdings, dass die Abgeordneten den Leseraum nur für vier Stunden täglich nutzen dürften. Für "mehr Schein" als für einen "echten Erfolg" hält Tanja Tricarico (taz) die neue Transparenz, da die Abgeordneten nur wenig Zeit bekämen um "Hunderte Seiten voll von Fachtermini in englischer Sprache" zu lesen. Zudem bliebe die Bevölkerung nach wie vor ausgeschlossen.

In einem Gastbeitrag für die FAZ erläutert Jörg Risse, Rechtsanwalt, weshalb das zuungunsten des Unternehmens Philip Morris ausgegangene Schiedsgerichtsverfahren Zweifel von TTIP-Gegnern am im Freihandelsabkommen geplanten Investorenschutz zerstreue.

Obergrenzen: "Mini-Schengen oder die Einführung von Obergrenzen" – spiegel.de (Dietmar Hipp) erläutert, welche Maßnahmen deutsches und europäisches Recht im Hinblick auf die Lösung der Flüchtlingskrise zulassen.

Reform der Pflegeberufe: Mit dem Gesetz zur Reform von Pflegeberufen planen Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) und Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ein einheitliches Berufsbild des Pflegers zu schaffen. Der Leiter der Rechtsabteilung eines Sozialdezernats Franz Dillmann und die dort arbeitende Juristin Rahel Kruse schildern auf lto.de die geplanten Neuregelungen, insbesondere den Ablauf der Pflegeausbildung, das Ausbildungsziel und Kritikpunkte an der Reform.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 27. Januar 2016: BVerfG legt sich mit EuGH an / Verfassungsbeschwerde gegen Vorratsdatenspeicherung / Klageflut gegen Zucker< . In: Legal Tribune Online, 27.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18256/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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