Die juristische Presseschau vom 22. bis 24. Juli 2017: Jus­tiz­re­form in Polen / BVerfG zu kurz­fris­tigen Abschie­bungen / Pro­zess­be­ginn gegen Cum­hur­iyet

24.07.2017

Der polnische Senat hat der umstrittenen Justizreform zugestimmt. Außerdem in der Presseschau: Zu schnell darf nicht abgeschoben werden und in Istanbul beginnt der Prozess gegen 17 Cumhuriyet-Redakteure.

 

Thema des Tages

Justizreform in Polen: Am Wochenende hat auch der polnische Senat der umstrittenen Justizreform zugestimmt. Wie die Montags-SZ (Florian Hassel) erläutert, kann jetzt nur noch der Präsident des Landes ein Inkrafttreten verhindern. Andrzej Duda wird sich heute mit mehreren Richtern treffen, um sich deren Bedenken anzuhören. Die Samstags-taz (Gabriele Lesser) und zeit.de (Michał Koko) haben Demonstrationen gegen die Reform beobachtet. Laut zeit.de hat jetzt auch der Solidarność-Anführer und Nobelpreisträger Lech Wałęsa die Polen zum Widerstand gegen die Justizreform aufgerufen. Die Gewaltenteilung sei die größte Errungenschaft seiner Solidarność-Bewegung gewesen, wird Wałęsa im Text zitiert. Die regierende Partei "Recht und Gerechtigkeit" habe kein Recht, diese Leistung zunichte zu machen. spiegel.de (Thomas Dudek) fasst Fragen und Antworten zur Reform zusammen. spiegel.de (Almut Cieschinger) listet die rechtlichen Optionen der EU auf: Vom Vertragsverletzungsverfahren über das Verfahren zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit und Sanktionen nach Artikel 7 EUV bis hin zur Kürzung von Strukturgeldern. Die Samstags-SZ (Thomas Kirchner) erläutert, dass die EU nur wenige erfolgversprechende Optionen habe. Die bisherigen Appelle von Kommissionspräsident und -vizepräsident blieben ungehört und auch ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren werde Polen, angesichts der 122 bereits laufenden Verfahren, kaum von den Plänen abbringen.

Gerhard Gnauck (WamS) untersucht die Frage, warum sich die Regierungspartei PiS derart in die Justiz "verbissen" hat. Der Autor meint, dass ein Grund darin liege, dass Kaczynski Gesetze als Hindernisse für ein "straffes Durchregieren" betrachte. Florian Hassel (Samstags-SZ) stellt das "Rätsel der Woche": "Lässt sich Polens Justizreform wieder kassieren?" Zum Beispiel, wenn im Herbst 2019 eine neue Regierung gewählt werden würde, die den Rechtsstaat wiederherstellen will. Konrad Schuller (Montags-FAZ) meint, dass die EU jetzt nach Artikel 7 EUV Polen zumindest rügen sollte, denn Sanktionen seien wegen des Einstimmigkeitserfordernisses wohl nicht durchsetzbar. Dann könnten beziehungsweise müssten sogar die milliardenschweren Transfers revidiert werden. Einem Mitgliedstaat, dessen Justiz einer informellen Schattenführung unterworfen sei und in dem kein unabhängiger Richter mehr die Verwendung europäischer Mittel prüfe, dürfe die EU kein Geld anvertrauen, so Schuller. Auch Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) schaut sich die Handlungsmöglichkeiten an, die die EU jetzt hat: Nichts tun, Zwang ausüben oder – und für diese Variante plädiert er – die justizielle Zusammenarbeit mit Polen aufkündigen. In einem Gastbeitrag für spiegel.de untersucht Stephan-Götz Richter, der Herausgeber und Chefredakteur von "The Globalist", die Beweggründe Kaczyńskis und der PiS-Partei und zieht Parallelen zur Politik Erdoğans. Heribert Prantl (Samstags-SZ) betont die Bedeutung der Gewaltenteilung für eine Demokratie. Sie sei kein demokratischer Schnickschnack, sondern ihr Wesenselement und ein Grundprinzip des Zusammenwirkens. Der Gegensatz dazu stehe die Selbstüberhebung, die in Polen, in der Türkei und beim amerikanischen Präsidenten zu beobachten sei. Prantl meint auch, dass, wenn bestimmte Parteien in Deutschland Erfolg hätten, sie nicht anders agieren würden als die PiS-Partei Kaczyńskis und die Fidesz-Partei des Viktor Orbán.

Rechtspolitik

Musterklagengesetz: Im Zusammenhang mit den Vorwürfen kartellrechtswidriger Absprachen in der Automobilindustrie fordert der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) der Montags-SZ (Thomas Fromm/Klaus Ott u.a.) zufolge eine baldige gesetzliche Einführung von Musterklagen. Klaus Müller, Vorstand des vzbv rechne mit Zehntausenden Verfahren, in denen Autokäufer Schadenersatz für überteuerte Fahrzeuge verlangen würden. Wegen der offenkundigen Absprachen der Hersteller hätten viele Kunden einen "möglicherweise viel zu hohen Preis“ für ihre Autos gezahlt, wird Müller zitiert.

"Ehe für alle": Der Bundespräsident hat am vergangenen Donnerstag das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts ausgefertigt. Es könnte damit, wie die Samstags-FAZ (Günter Bannas) berichtet, Anfang Oktober in Kraft treten. Ob Bayern vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz vorgehen wird, ist noch offen.

Konsequenzen aus G-20-Krawallen: Der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer spricht im Interview mit faces-of-democracy.org über das Spannungsverhältnis von Sicherheit und Freiheit im Allgemeinen und konkret im Hinblick auf die Erfahrungen mit den Unruhen im Zusammenhang mit dem G-20-Gipfel. Er meint unter anderem, dass über Mittel und Wege nachgedacht werden müsse, um den Gewalttourismus stärker zu begrenzen.

Parteienfinanzierung: Hans Herbert von Arnim kritisiert in einem Gastbeitrag für die Samstags-SZ das Parteiengesetz, das verdeckte Parteienfinanzierung in großem Umfang ermögliche und durch die staatliche Finanzierung die Bürgerferne der Parteien fördere.

Gefährderüberwachung in Bayern: Der Bayerische Landtag hat in der vergangenen Woche ein Gesetz zur schärferen Überwachung sogenannter Gefährder beschlossen, das Daniel Schulz (Samstags-taz) kommentiert. Er befürchtet, dass die Diskussion darüber, wann genug genug sei, deshalb hierzulande nicht geführt werde, weil anderswo – wie in Polen oder der Türkei – weitaus Schlimmeres passiere.

Rehabilitierung homosexueller Verurteilter: Die Samstags-SZ weist darauf hin, dass künftig mit einem formlosen Antrag Männer, die wegen homosexueller Handlungen verurteilt wurden, eine Entschädigung beantragen können. Die Zeitung bezieht sich auf eine Mitteilung des Bundesamtes für Justiz anlässlich des Inkrafttretens des Rehabilitationsgesetzes am 22. Juli 2017.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 22. bis 24. Juli 2017: Justizreform in Polen / BVerfG zu kurzfristigen Abschiebungen / Prozessbeginn gegen Cumhuriyet . In: Legal Tribune Online, 24.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23567/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen