Der Umgang mit den Gegendemonstranten beim G-20-Gipfel wird juristisch analysiert. Weiter in der Presseschau: Der Bundesrat hat die "Ehe für alle" passieren lassen und das US-Justizministerium erhob Anklage gegen Audi-Manager.
Thema des Tages
G-20-Demonstrationen: In einem Interview mit der Samstags-taz (Patricia Hecht) ist Rechtsanwalt Udo Vetter der Auffassung, dass der Polizeieinsatz am vergangenen Donnerstagabend gegen Demonstranten rechtswidrig gewesen sei. Die Polizei habe offenbar eine große, friedliche Demonstration mit der bloßen Begründung verhindert, dass einige Leute vermummt gewesen seien. Vetter meint, dass die Auslegung des Vermummungsverbots durch die Hamburger Polizei "ein Dolchstoß in den Rücken des Grundgesetzes" gewesen sei. Auch die Soziologin und Referentin im Komitee für Grundrechte und Demokratie Elke Steven kritisiert in der Samstags-taz die Stadt Hamburg. Eine Allgemeinverfügung habe das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit für große Teile der Hamburger Innenstadt außer Kraft gesetzt, Unterkunftsmöglichkeiten für die vielen Gäste, die gegen den Gipfel demonstrieren wollten, seien verboten und nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei jede weitere rechtliche Prüfung verschleppt worden. Heribert Prantl (SZ.de) meint in seiner politischen Wochenvorschau, dass das Versammlungsgrundrecht in der vergangenen Woche malträtiert worden sei, wie schon lange nicht mehr. Und dass Anamnese, Diagnose und Heilung hierzu dauern werden.
spiegel.de (Heike Klovert) berichtet von der Gesa, der Gefangenensammelstelle, die die Hamburger Polizei während des G-20-Gipfels für festgenommene Demonstranten eingerichtet hat. Rechtsanwälte vom speziell eingerichteten Anwaltsnotdienst kritisierten, dass die Zahl der Container für Besprechungen nicht ausgereicht habe und ihre Arbeit durch die Polizei behindert worden sei.
Rechtspolitik
"Ehe für alle": Der Bundesrat hat am Freitag das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts passieren lassen. Der Beschlussfassung vorangegangen waren auch hier Diskussionen über eine etwaige Verfassungswidrigkeit der neuen Regelung. Laut Samstags-SZ (Constanze Bullion) hat sich beispielsweise Bayerns Justizminister Winfried Bausback kritisch über das "Hauruck-Verfahren", mit dem das Gesetz im Bundestag verabschiedet worden sei, geäußert. Er meinte auch, dass das vom Grundgesetz aus gutem Grund besonders geschützte Institut der Ehe, deren Tradition bis in die Antike zurückreiche, mehr Respekt verdient habe. In einem Interview mit dem Tagesspiegel (Robert Birnbaum/Antje Sirleschtov) hat Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Prüfung einer Verfassungsklage gegen das neue Gesetz durch die bayerische Staatsregierung angekündigt. Gleichzeitig kritisierte er Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) wegen dessen Hin und Her zur Frage der Notwendigkeit einer Verfassungsänderung.
Carolin Ehmke wünscht sich in der Samstags-SZ, dass das neue Gesetz vom Bundesverfassungsgericht geprüft wird. Gerade für schwule und lesbische Paare, die jahrzehntelang auf diese Anerkennung als Gleiche gewartet hätten, sei es wichtig, dass diese Anerkennung nun nicht mit dem Zweifel der Verfassungsmäßigkeit belastet werde. Der Freiburger Rechtswissenschaftler Mathias Hong (verfassungsblog.de) begründet noch einmal, warum er die Ehe für homosexuelle Heiratswillige nicht nur für ein Kann sondern für ein verfassungsmäßiges Muss hält.
Rechte von Alleinerziehenden: Angesichts der aktuellen Diskussion um die Begriffe von Ehe und Familie befasst sich Julia Bähr (Samstags-FAZ) im Feuilleton mit der rechtlichen Situation alleinerziehender Elternteile. Es gehe in der Aufregung unter, dass es noch immer diese Art der Familie gebe, die rechtlich schlechter gestellt sei.
Weitere Beschlüsse im Bundesrat: Neben dem erweiterten Eheschließungsrecht hat der Bundesrat u.a. auch den Weg frei gemacht für die Angleichung der Ostrenten an das Westniveau bis 2025, die Abschaffung des § 103 StGB (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten), die Strafrahmenerhöhung für den Wohnungseinbruch sowie die Änderungen bei der Parteienfinanzierung. lto.de, zeit.de und die Samstags-SZ stellen die wichtigsten Beschlüsse der Marathonsitzung vor.
WLAN-Gesetz: Die Montags-Welt (Thomas Heuzeroth) stellt das neue WLAN-Gesetz vor, das beispielsweise Gastronomen erlaubt, künftig auch Hotspots ohne Kennwortschutz anzubieten.
Wetterdienstgesetz: Der Bundesrat hat am Freitag auch die Novelle des Gesetzes über den Deutschen Wetterdienst passieren lassen. Rechtsanwalt Daniel Kendziur (lto.de) stellt die Neuregelungen vor.
Staatstrojaner: Die Montags-Welt (Florian Flade) beleuchtet die Neuregelung zum Staatstrojaner und stellt noch einmal die Diskussion des Für und Wider dar.
Reinhard Müller (Samstags-FAZ) begrüßt es, das künftig im Rahmen der Strafverfolgung auch auf Nachrichtendienste wie Twitter zugegriffen werden kann. Denn wenn Anhaltspunkte für schwere Straftaten zu erkennen seien, sei nicht einzusehen, warum der Staat unter strengen Voraussetzungen auf einen beliebten Kommunikationsdienst nicht zugreifen sollte.
Algorithmen: Heiko Maas (SPD), Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, hat in der vergangenen Woche mehr Transparenz und die Überprüfung von Algorithmen wichtiger Online-Dienste gefordert. In einem Interview mit dem Spiegel meint jetzt Rechtsprofessor Torsten Körber, dass die Algorithmen für diesen politischen Anspruch viel zu komplex seien und vor allem auch oft geändert und angepasst würden. Eine Überprüfung durch eine Behörde sei nicht zu leisten und würde Innovationen im Internet behindern. Constanze Kurz (Montags-FAZ) weist darauf hin, dass Software immer von Menschen programmiert wird und man daher an der dahinterliegenden Absicht anknüpfen müsse. Wenn Diskriminierung schlicht erwünscht sei, weil sie das eigene Geschäftsmodell unterstütze, habe das nichts mit Vorurteilen oder Unbedachtheiten der Programmierer zu tun, sondern mit den Erwerbsinteressen oder mit zur Diskriminierung neigenden Überzeugungen in den Firmen, für die sie arbeiten.
Sportmanipulationen: Die Montags-BadZ (Christian Rath) berichtet über eine Tagung in Augsburg zu der im April in Kraft getretenen Neuregelung zur Sportmanipulation. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe kann künftig bestraft werden, wenn jemand Vorteile fordert oder annimmt, um einen "berufssportlichen" Wettbewerb zugunsten der gegnerischen Mannschaft zu manipulieren. Dargestellt werden in dem Artikel die Abgrenzungsschwierigkeiten, die das neue Gesetz mit sich bringt, etwa zwischen Amateur- und Berufssport oder bei der Frage, welche Aktivitäten – angesichts von Schach und Computerspielen – eigentlich unter den Begriff "Sport" zu fassen sind.
Justiz
BVerfG zu Kopftuch im Gericht: Die Rechtswissenschaftlerin Nahed Samour (verfassungsblog.de) befasst sich angesichts der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes noch einmal mit der Frage, wie genau die Neutralitätspflicht des Staates zu verstehen sei. Sie sieht beispielsweise einen Widerspruch zur Karlsruher Kopftuch-Entscheidung aus dem Jahre 2015. Heftig in den nachfolgenden Kommentaren werden allerdings die Parallelen, die die Autorin zu Rosa Parks zieht, kritisiert. Rosa Parks und die muslimische Rechtsreferendarin mit Kopftuch in Hessen hätten eines gemeinsam: Die Verweisung auf die hinteren Reihen sei wegen ihrer Sichtbarkeit im öffentlichen Raum erfolgt. Auch Johan Schloemann ist in der Samstags-SZ der Auffassung, dass jenen Frauen, die das Tragen des Kopftuches als religiöses Gebot sehen, nicht deswegen der Zugang zu öffentlichen Ämtern verwehrt werden kann.
OVG NRW zur Verspätung beim Examen: Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat jetzt auch in zweiter Instanz festgestellt, dass eine Examenskandidatin von der mündlichen Prüfung ausgeschlossen werden kann, wenn sie nicht rechtzeitig erschienen ist. lto.de (Marcel Schneider) hat dazu die Meinung des Hamburger Prüfungsrechtlers Arne-Patrik Heinze eingeholt, der die Entscheidung für bedenklich und einen Gang bis vor das Bundesverfassungsgericht für möglich hält.
BVerfG zu Besoldung in Sachsen: Das Bundesverfassungsgericht hat, so melden es lto.de und die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt), die verzögerte Angleichung der Beamtenbesoldung in den Gruppen ab A10 in Sachsen gerügt. Die Karlsruher Richter stellten fest, dass die Beamten dieser Besoldungsgruppen ohne sachlichen Grund benachteiligt wurden, indem hier die Angleichung an das Westniveau erst zwei Jahre später erfolgte.
BVerfG – Tarifeinheitsgesetz: Die Montags-Welt weist auf die für Dienstag erwartete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Tarifeinheitsgesetz hin. Es geht um die Frage, ob kleine Spartengewerkschaften benachteiligt werden.
BGH zum Transplantationsskandal: Auf zeit.de analysiert Rechtsprofessorin Elisa Hoven noch einmal ausführlich die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Transplantationsskandal. Die Karlsruher Richter bestätigten den Freispruch eines Göttinger Arztes vom Vorwurf des versuchten Totschlags und der versuchten Körperverletzung mit Todesfolge. Er hatte Patientendaten gefälscht und damit die Reihenfolge von Transplantationen verändert.
AG Bad Hersfeld zur WhatsApp-Nutzung: Rechtsanwalt Frauke Hansen vertritt auf blog.handelsblatt.com die Auffassung, dass aus der Entscheidung des Amtsgerichts Bad Hersfeld, in der ein Richter im Rahmen einer Familiensache festgestellt hatte, dass allein schon die Nutzung von WhatsApp gegen das deutsche Datenschutzrecht verstoße, Konsequenzen für Unternehmen herzuleiten seien, deren Mitarbeiter den Nachrichtendienst zu Kommunikation einsetzten. Es drohten hohe Geldbußen, die nach dem Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung im nächsten Jahr sogar noch deutlich höher ausfallen könnten. Hansen rät deshalb, auf eine Installation des Nachrichtendienstes auf Diensthandys möglichst zu verzichten.
OLG Düsseldorf – Verfahren gegen Salafistenprediger: Der Spiegel (Julia Jüttner) berichtet von dem Verfahren gegen Sven Lau, dem die Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Das Verfahren neigt sich nach 50 Verhandlungstagen dem Ende zu und mit einer Verurteilung sei wohl zu rechnen.
Streit um GStA-Posten in Berlin: Wie die Montags-taz meldet, hat der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) jetzt bekanntgegeben, dass er dem Senat Margarete Koppers als neue Generalstaatsanwältin und Nachfolgerin von Ralf Rother vorschlägt. Kritik an der Entscheidung kommt von der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Der Fraktionsvorsitzende Florian Graf wirft Behrendt mangelnde Transparenz vor: Weder im Rechtsausschuss noch in der Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses habe er seine Entscheidung dargelegt. Man hoffe auf eine Konkurrentenklage, um die Entscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen.
LG Essen – Arcandor: Das Landgericht Essen hat das Verfahren gegen ehemalige Aufsichtsratsmitglieder der Firma Arcandor gegen Geldauflagen eingestellt. Samstags-FAZ (Markus Jung) und Samstags-SZ berichten.
LG München – HRE-Verfahren: Die Montags-SZ (Stephan Radomsky) erläutert, dass aufgrund neu aufgetauchter Unterlagen der Gutachter im Verfahren gegen den ehemaligen HRE-Chef Georg Funke sowie den Ex-Finanzvorstand Markus Fell in den kommenden Monaten deutlich mehr zu tun haben könnte. Es bestehe die Gefahr, dass bei einer Verzögerung des Verfahrens die Vorwürfe verjährten.
Jugendstrafrecht: Im Spiegel berichtet Sven Böll von seinen – ernüchternden – Erfahrungen als Schöffe in einem Jugendstrafverfahren. Auch wenn es im Grunde richtig sei, dass Jugendgerichte vor allem erziehen und nicht strafen wollten, führte das in der Praxis allerdings auch dazu, dass selbst jene Jugendlichen, die gewalttätig seien und keine Reue zeigten, häufig mit einer Art Standardurteil von zwei Jahren auf Bewährung davonkämen. Die Opfer dagegen litten häufig viel länger unter den Folgen – manchmal ein Leben lang.
Rechtsanwalt Helmut Naujocks: Die Montags-SZ (Uwe Ritzer) porträtiert den Arbeitsrechtsanwalt Helmut Naujocks, dem rücksichtsloses Vorgehen bei Kündigungen vorgeworfen wird. Gegenstand des Interesses sind Berichte eines Privatdetektivs, der in mehreren Medien problematische Praktiken gegenüber Mitarbeitern, insbesondere Betriebsräten, geschildert hatte.
Recht in der Welt
USA – Abgasskandal: Laut u.a. zeit.de hat das US-Justizministerium gegen den ehemaligen Audi-Manager Giovanni P. Anklage erhoben. Die Staatsanwaltschaft München habe bestätigt, heißt es in dem Artikel, dass der italienische Staatsbürger bereits am Montag festgenommen wurde und in Untersuchungshaft sitzt. Die Staatsanwaltschaft München wirft ihm Betrug und unlautere Werbung vor. In den USA wird gegen ihn wegen Betruges und Verstößen gegen US-Umweltgesetze ermittelt. Die Samstags-SZ (Hans Leyendecker/Klaus Ott) berichtet über die Vorwürfe und die Umstände der Verhaftung. So soll die Staatsanwaltschaft München II eine Telefonüberwachung beantragt und genehmigt erhalten haben, eine Maßnahme, die meist bei besonders schweren Straftaten wie Mord und Totschlag, Raub oder Erpressung erfolge. Giovanni P. will laut Montags-SZ (Klaus Ott) mit der Staatsanwaltschaft kooperieren. Solange die Ermittlungen in Deutschland andauerten, sei eine Auslieferung in die USA sehr unwahrscheinlich, sagt das Montags-Hbl (Sönke Iversen/Volker Votsmeier).
Österreich – VW-Abgasskandal: Laut Samstags-FAZ (Michaela Seiser) will die österreichische Plattform Cobin Claims eine Sammelklage gegen VW wegen der Abgas-Manipulationen initiieren und hat dazu eine Aktion gestartet, der sich nicht nur Konsumenten, sondern auch Unternehmen anschließen können.
USA/Dänemark – Studie zur Jugenddelinquenz: Laut Montags-Hbl (Norbert Häring) kommt eine dänisch-amerikanische Studie zu dem Ergebnis, dass zweitgeborene Jungen häufiger straffällig werden als ihre älteren Brüder. Warum das so sei, müsse allerdings noch erforscht werden.
Sonstiges
Betriebsrat in Kanzleien: Sabine Olschner (lto.de) geht der Frage nach, warum es eigentlich in Anwaltskanzleien keine Betriebsräte gibt. Eine Antwort hat sie nicht gefunden, letztlich aber aber immerhin eine Kanzlei mit Mitarbeitervertretung.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. bis 10. Juli 2017: Vermummungsverbot und Versammlungsrecht / Ehe für alle passiert Bundesrat / US-Anklage im Abgasskandal . In: Legal Tribune Online, 10.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23402/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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