Die juristische Presseschau vom 29. Juni 2017: Vor­rats­da­ten­spei­che­rung aus­ge­setzt / Aus­wei­tung der Ehe / BVerfG hebt Verbot von G-20-Camp auf

29.06.2017

Die Bundesnetzagentur setzt die Verpflichtung zur Speicherung von Verkehrsdaten vorerst nicht durch. Außerdem in der Presseschau: Abstimmung zur "Ehe für alle" am Freitag und G-20-Camp könnte grundrechtlich geschützte Versammlung sein.

Thema des Tages

Vorratsdatenspeicherung ausgesetzt: Nachdem in der vergangenen Woche das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in einem von dem Münchner Unternehmen Spacenet geführten Eilverfahren entschieden hatte, dass die eigentlich ab 1. Juli geltende Pflicht zur Speicherung von Verkehrsdaten nicht mit europäischem Recht vereinbar ist, hat jetzt die Bundesnetzagentur mitgeteilt, diese Pflicht auch gegenüber den übrigen Providern nicht durchzusetzen. Die Behörde will bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Hauptsacheverfahrens von Anordnungen und sonstigen Maßnahmen zur Durchsetzung der in § 113b Telekommunikationsgesetz (TKG) geregelten Speicherverpflichtungen gegenüber allen verpflichteten Unternehmen absehen. Unter anderem swr.de (Gigi Deppe), taz (Martin Kaul), FAZ (Hendrik Wieduwilt) und lto.de berichten. Laut SZ (Wolfgang Janisch) fordert der Branchenverband BitKom ein Tätigwerden des Gesetzgebers, um Rechtssicherheit für die Unternehmen zu schaffen. Das Bundesjustizministerium wolle zunächst jedoch die Entscheidung im Hauptsacheverfahren in Sachen Spacenet abwarten. netzpolitik.org (Markus Reuter) hat erfahren, dass die großen Provider wie Deutsche Telekom, Vodafone, Telefonica Deutschland oder 1&1 bis zur endgültigen Klärung der Rechtslage keine Verkehrsdaten speichern wollen.

Wolfgang Janisch (SZ) hofft, dass das "großen Sammeln" eingedämmt wird, als nächstes durch den Europäischen Gerichtshof in Sachen Fluggastdatenspeicherung. Hendrik Wieduwilt (FAZ) erinnert an den Kurswechsel des Bundesjustizministers bei der Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Nun falle ihm "die frühe Sünde auf die Füße".

Rechtspolitik

"Ehe für alle": Sämtliche Zeitungen widmen sich ausführlich der kurzfristig für den morgigen Freitag anberaumten abschließenden Parlamentsabstimmung zur "Ehe für alle". Die Zeit (Peter Dausend) bezeichnet auf der Titelseite die bevorstehende Gesetzänderung als "leitkulturellen Quantensprung". Die FAZ (Johannes Leithäuser) gibt einen Überblick über die Diskussion seit dem Beginn der Legislaturperiode und (Majid Sattar) über den zu erwartenden Ablauf bis zur endgültigen Abstimmung am Freitag.

spiegel.de behandelt im Überblick die Begriffe "Gewissensfrage", "Fraktionszwang", "Fraktionsdisziplin". Niklas Stock (juwiss.de) beleuchtet noch einmal die Frage, wie es um das parlamentarische Gesetzesinitiativrecht bestellt ist, wenn, wie hier geschehen, Gesetzentwürfe der Opposition "verschleppt" würden. Die SZ (Susanne Höll) porträtiert Volker Kauder (CDU), der sich stets gegen eine Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ausgesprochen hat. spiegel.de (Florian Gathmann/Annett Meiritz) und zeit.de (Katharina Schuler) stellen dar, was sich in der Praxis verändern würde, wenn der Bundestag ab Freitag erwartungsgemäß abstimmt. Die SZ (Wolfgang Janisch/Ulrike Heidenreich) beleuchtet besonders den Aspekt der Adoption, die demnächst auch für homosexuelle Paare möglich sein wird.

In der Leitglosse meint Berthold Kohler (FAZ) "die Ehe für alle in ihrem Lauf, hält jetzt wohl auch Ochs und Esel nicht mehr auf". Und auch, dass sich Merkel Zügen, von denen sie glaube, sie seien nicht mehr anzuhalten, noch nie in den Weg gestellt habe. Jost Müller-Neuhof (Tsp) meint, dass die gleichgeschlechtliche Ehe auch in der Verfassung verankert werden sollte. Denn der verfassungsrechtliche Ehebegriff lasse sich nicht so einfach per Gesetz umdefinieren. Eine entsprechende Grundgesetzänderung wäre nicht nur eine Versicherung gegen unpässliche Karlsruher Urteile, sondern auch das politische Signal, dass sich ein Wandel ereignet, der Grundlagen erfasst, so der Autor. Warum allerdings mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ohnehin nicht zu rechnen ist, stellt Christian Rath (taz) dar. Auch nach Meinung von Heribert Prantl (SZ) ist eine Verfassungsänderung nicht erforderlich. Im Leitartikel erinnert Arno Widmann (FR) an die Entwicklung der Schwulenbewegung in den letzten fünf Jahrzehnten.

Gudula Geuther (Deutschlandfunk) hat die inkonsequente Haltung der CDU-Parteispitze kommentiert. Im Nachhinein werde deutlich, dass auch ihr hartes Nein mit Überzeugung nichts zu tun gehabt habe. Ausgerechnet die so christliche und wertkonservative Union mache die Ehe so zum Gegenstand kleinlich-wahltaktischer Manöver.

NSA-Untersuchungsausschuss: Jenseits der Querelen um den Abschlussbericht befasst sich Reinhard Müller (FAZ) im Leitartikel mit der Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses. Der Autor resümiert, dass auch ein offener demokratischer Staat einen Geheimdienst brauche – allerdings mit demokratischer Kontrolle. Wenn aus dem NSA-Ausschuss eine bessere und besser kontrollierte Spionageabwehr hervorgehe, dann habe er seinen Zweck erfüllt.

Strafrecht: Ronen Steinke (SZ) fasst die wichtigsten Änderungen im Strafrecht, die in der zu Ende gehenden Legislaturperiode aus dem Bundesjustizministerium gekommen sind, zusammen. So wird beispielsweise das Stehlen aus einer Wohnung künftig schärfer bestraft als das Niederbrennen des kompletten Wohngebäudes. Kritisch merkt der Autor an, dass der Bundesjustizminister allzu bereitwillig dem Ruf nach Strafen gefolgt sei.

NetzDG: In der Zeit werden die praktischen Auswirkungen des geplanten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes grafisch dargestellt.

Der Blogger und Netzaktivist Markus Beckedahl befasst sich in der SZ kritisch mit dem von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) vorgelegten Entwurf eines Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Der effektivere Weg, gegen Hasskriminalität vorzugehen, sei es, Täter zu ermitteln und vor Gericht zu stellen. Das sei deutlich abschreckender als die Benachrichtigung, dass ein Hasskommentar gelöscht wurde. Im Übrigen gehöre zu einer besseren Rechtsdurchsetzung auch eine besser ausgestattete Justiz, die sich mit dem Netz auskenne. Dietmar Neurer (Hbl) meint im Leitartikel, dass sicherlich Restzweifel bleiben, ob der eine oder andere Regulierungsschritt vielleicht doch zu weit geht oder zu viel Interpretationsspielraum lässt, das neue Gesetz aber insgesamt überfällig sei.

Prepaid-Karten: Ab 1. Juli muss beim Kauf beziehungsweise der Aktivierung von Prepaid-Sim-Karten ein Personalausweis vorgelegt werden. Die SZ (Nils Wischmeyer) erläutert, was die Gesetzesänderung für den Verbraucher bedeutet.

In einem separaten Kommentar stellt Nils Wischmeyer (SZ) die Effektivität der Neuregelung in Frage: Ohne EU-weite Standards könne das Gesetz leicht ausgehebelt werden.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 29. Juni 2017: Vorratsdatenspeicherung ausgesetzt / Ausweitung der Ehe / BVerfG hebt Verbot von G-20-Camp auf . In: Legal Tribune Online, 29.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23316/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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