Die juristische Presseschau vom 15. bis 19. Juni 2017: Staat­stro­janer und Onli­ne­durch­su­chung / Dis­kus­sion um NetzDG / EuGH zu File­sha­ring-Platt­formen

19.06.2017

Die Innenminister wollen Messengerdienste wie Telefone überwachen lassen und werden dafür kritisiert. Außerdem in der Presseschau: Das NetzDG wird weiter diskutiert und auch reine Filesharing-Plattformen können Urheberrechtsverletzer sein.

Thema des Tages

Überwachung von Messengerdiensten: Die Betreiber der Messenger-Dienste WhatsApp und Threema haben nach einem Bericht der WamS (Florian Flade) die institutionelle Zusammenarbeit mit deutschen Behörden zum Zweck der Kommunikationsüberwachung ausgeschlossen. Die Kommunikation sei Ende-zu-Ende verschlüsselt, nicht einmal die Betreiber selbst hätten Zugriff auf die Chat-Inhalte, wird ein Sprecher von WhatsApp zitiert. Die Länderinnenminister und der Bundesinnenminister hatten sich auf ihrer Frühjahrstagung darauf geeinigt, dass auch Nachrichten, die über Messenger-Dienste versandt werden, künftig wie Telefonkommunikation überwacht werden sollten.

Kritik an dem Beschluss der Innenministerkonferenz haben die Oppositionsfraktionen im Bundestag geübt. Laut Freitags-FAZ (Stefan Locke) meinte die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckard, dass hier "hohe verfassungsrechtliche Hürden" gerissen würden. Jan Korte von der Linke-Fraktion sagte, dass das Vorhaben von fehlendem Respekt vor der Bevölkerung und ihren Grundrechten zeuge, zumal der Bundesinnenminister diese "substantielle Änderung der Strafprozessordnung in den verbleibenden zwei Sitzungswochen des Bundestages durchpeitschen" wolle. Der Abgeordnete Stephan Harbarth (CDU) verteidigte das Vorhaben dagegen: "Wer sich wie die Opposition dagegen ausspreche, habe nicht verstanden, wie sehr Messenger-Dienste heutzutage schwere Straftaten erleichterten."

Christian Rath (Freitags-taz) weist in seinem Kommentar darauf hin, dass weniger rechtliche als vielmehr technische Hindernisse einer Überwachung der Messenger-Dienste entgegenstehen. So habe BKA-Vizepräsident Peter Henzler auf dem letzten Anwaltstag ganz deutlich gesagt: "Wenn es um Messenger geht, sind wir blind und taub. Wir können sie nicht überwachen." Torsten Krauel (WamS) betont, dass es erhebliche Unterschiede zwischen der Überwachung von Post und Telefon und dem Auslesen eines Handys gebe. Bei letzterem habe der Staat die Möglichkeit, sich blitzschnell im gesamten Alltagsleben des Überwachten umzusehen. Es müsse zwar auch für die digitale Kommunikation eine Lösung geben, "nur eben nicht auf Knopfdruck und nicht für Deutschland allein", so der Autor.

Rechtspolitik

Innenministerkonferenz: Die Donnerstags-taz (Konrad Litschko) und die Freitags-FAZ (Stefan Locke) fassen die Beschlüsse der Innenministerkonferenz zusammen. Die Minister haben sich nicht nur darauf geeinigt, Messenger-Dienste bei Überwachungsmaßnahmen genauso zu behandeln wie Telefonate und SMS-Nachrichten, sondern unter anderem auch darauf, die Altersgrenze zur Abnahme von Fingerabdrücken bei Flüchtlingen von 14 auf sechs Jahre abzusenken sowie darauf, ein "Musterpolizeigesetz" zu erarbeiten, das einheitliche Sicherheitsstandards in Bund und Ländern gewährleisten soll. Nicht durchsetzen konnte sich der bayerische Innenminister Joachim Hermann dagegen mit seiner Forderung, künftig auch Kinder vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen und die Schleierfahndung in allen Bundesländern anzuwenden. 

Staatstrojaner: Im Gespräch mit netzpolitik.org bewertet Rechtsprofessor Tobias Singelnstein die verfassungsrechtliche Charakteristik eines Einsatzes von Staatstrojanern im Bereich der Online-Durchsuchung und der Quellen-TKÜ. Zu messen sein werde eine entsprechende gesetzliche Regelung im Wesentlichen am Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, das die höchsten Schranken für einen Eingriff aufstelle.

Wie der Spiegel vermeldet, hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte bereits angekündigt, Verfassungsbeschwerde einzulegen, sollte der Bundestag die Gesetzesänderung in den kommenden Wochen beschließen.

NetzDG: Bundesjustizminister Heiko Maas besteht laut einem Bericht des Spiegel zufolge beim geplanten Netzwerkdurchsetzungsgesetz nicht mehr auf einer starren Frist von sieben Tagen, innerhalb derer Onlineplattformen wie Facebook rechtswidrige Äußerungen löschen müssten. An einem Zusatz wie "in der Regel" werde das Gesetz nicht scheitern, wird der Minister zitiert. Wie die Montags-FAZ (Hendrik Kafsack) berichtet, hat die EU-Kommission signalisiert, trotz gravierender Bedenken gegen den Gesetzentwurf keine Einwände erheben zu wollen. Auch wenn sie jetzt noch nicht tätig wird, kann die EU-Kommission allerdings auch später noch gegen das verabschiedete Gesetz ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, wenn die Regelungen ihrer Ansicht nach gegen das Europarecht verstoßen. In einem Interview mit der WamS äußerte sich auch der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder unter anderem zum geplanten NetzDG: Man werde jetzt die am Montag stattfindende Expertenanhörung auswerten und anschließend in der Regierungskoalition beraten, ob noch Änderungen notwendig seien und ob die Zeit dafür reiche.

Rechtsprofessor Michael Kubiciel (lto.de) argumentiert gegen die Einwände zum Gesetzentwurf und meint, es solle – mit einigen Kompromissen – an dem Vorhaben festgehalten werden. Präzisierungen des NetzDG wären allemal besser, als dem Drängen der Interessenvertreter der Industrie nachzugeben, das Gesetz auf die lange Bank zu schieben und es damit in aller Stille zu beerdigen, sagt der Autor. Anders Rechtsprofessor Daniel Zimmer in der Freitags-FAZ. Der von Minister Maas vorgelegte Gesetzentwurf sollte zurückgezogen werden und nach der Bundestagswahl sollten die Arbeiten an einer grundlegend anders konzipierten Neuregelung beginnen, die der Justiz die ihr im Rechtsstaat zukommende Rolle einräume.

UrhWissG: Das Feuilleton der Samstags-FAZ (Thomas Thiel) berichtet von einer Veranstaltung im Rahmen der Berliner Buchtage, auf der Justizminister Heiko Maas den Gesetzentwurf zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft verteidigte. Zur Frage, ob das Gesetz denn komme, habe Maas allerdings nicht optimistisch geklungen, meint der Autor.

Geldwäsche: Die FAS (Corinna Budras) berichtet anlässlich einer der Deutschen Bank auferlegten Geldbuße über die am 26. Juni 2017 in Kraft tretenden Regeln gegen Geldwäsche, die die Kontrollpflichten erheblich ausweiten. Nicht nur Banken, sondern auch Immobilienmakler und eigentlich jeder, der mit Gütern handelt, muss dann eine Risikoanalyse vornehmen, heißt es in dem Beitrag. Außerdem werde ein Transparenzregister geschaffen, das für alle Unternehmen die dahinterstehenden "wirtschaftlichen Berechtigten" offenlegt.

Maas – Kritik an Personalausstattung an Gerichten: In einem Gastbeitrag für die Wirtschaftswoche, den lto.de aufgreift, hat Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) den Ländern vorgeworfen, durch zu geringe Personalausgaben bei Gerichten und Staatsanwaltschaften auch die innere Sicherheit zu gefährden. Unterstützung erhielt Maas vom Deutschen Richterbund, heftige Kritik kam dagegen von mehreren Landesjustizministern. Der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP) drohte, künftig weniger Personal zum Generalbundesanwalt abzustellen, meldet handelsblatt.de.

Gegen Meinungsroboter und Fake-News: Hamburg Justizsenator Till Steffen will die Nutzung von Social Bots eingrenzen, melden Montags-SZ (Kristiana Ludwig) und Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt). Nach dem Willen des Senators sollen etwa die Betreiber von Twitter oder Facebook künftig gesetzlich verpflichtet werden, verdächtige Nutzer zügig zu überprüfen. Außerdem soll es eine Kennzeichnungspflicht für Social Bots sowie Meldestellen innerhalb der sozialen Netzwerke geben. Steffen will auch, dass die Betreiber sozialer Netzwerke ein wirksames und transparentes Verfahren vorhalten müssen, mit dem Falschmeldungen von Nutzern und von Organisationen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, Falschnachrichten aufzudecken, gemeldet werden können.

Unternehmensstrafrecht: Die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt) stellt eine Studie der Stiftung der Familienunternehmer vor, mit der sich diese gegen mögliche Initiativen für ein Unternehmensstrafrecht wendet.

Arbeitszeitreform gescheitert: Einem Bericht der Freitags-FAZ (Dietrich Creutzburg) zufolge, sind die Pläne von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zur Flexibilisierung der Arbeitszeit gescheitert. Unter dem Schlagwort "ausgehandelte Flexibilität" sollten bestehende Vorschriften um Öffnungsklauseln für die Tarifparteien ergänzt werden.

Wahlrecht: Kritisch setzt sich die Samstags-taz (Barbara Dribbusch) mit dem geltenden Wahlrecht auseinander, das Menschen unter Betreuung in allen Angelegenheiten von der Bundestagswahl ausschließt. Behindertenverbände kämpften seit Jahren um eine Änderung, kürzlich legten mehrere Betroffene Verfassungsbeschwerde ein. 

Öffentliche Ordnung: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Julian Philipp Seibert schlägt auf juwiss.de die Streichung der "öffentlichen Ordnung" als polizeiliches Schutzgut aus den Polizeigesetzen vor. Neben dem Schutzgut der öffentlichen Sicherheit eröffne sie ohnehin einen nur denkbar geringen Anwendungsbereich der bestenfalls als "Notfalloption" verstanden werden könne. Wenn schon Polizei und Sicherheitsbehörden immer mehr Eingriffsbefugnisse zuerkannt würden, sollten diese Kompetenzen wenigstens sauber abgegrenzt werden. 

 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 15. bis 19. Juni 2017: Staatstrojaner und Onlinedurchsuchung / Diskussion um NetzDG / EuGH zu Filesharing-Plattformen . In: Legal Tribune Online, 19.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23211/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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