Zweiter Prozesstag: BVerfG diskutiert NPD-Verbot: Wann sind Zumu­tungen ver­fas­sungs­widrig?

von Pia Lorenz

02.03.2016

2/2: Experten uneins: "politisch ein Zwerg"? 

Weniger heiter ging es weiter zu einer der wichtigsten Fragen des Verfahrens: Wie gefährlich ist die NPD? Wie mächtig, wie bedeutsam ist die Partei, die es auf Bundesebene gerade einmal auf 1,3 Prozent bringt? Ist sie überhaupt strukturell, organisatorisch und strategisch in der Lage, verfassungsfeindliche Ziele umzusetzen? Gleich mehrere Sachverständige Parteien- und Extremismusforscher kamen zu Wort, welche die NPD und ihre Gefährlichkeit unterschiedlich beurteilten. "Die NPD ist politisch ein Zwerg", sagte Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Prof. Dr. Eckhard Jesse, dessen Methoden jedoch nicht nur der Vertreter des Bundesrats, Prof. Dr. Christoph Möllers von der HU Berlin, anzweifelte.

Auch Steffen Kailitz, selbst ein Schüler Jesses, sprach sich für ein Verbot der Partei aus. Die NPD wende sich gegen alle, die nicht ethnisch deutsch sind, ihr Ziel sei ein völkischer Wohlfahrtsstaat. Sie schaffe vor Ort auch ein Klima der Gewalt. Auf Fragen nach der Reichweite der NPD in der Gesellschaft, ihrer Bedeutung und der Chancen auf Realisierung ihres Aktionsprogramms antwortete er, die Entwicklung sei schwer vorauszusehen.  

Differenziert äußerte sich der Dortmunder Politologe Prof. Dr. Dierk Borstel. Man verstehe die Partei nicht ohne ihren sozialen Kontext vor allem in Ostdeutschland, es gebe vor Ort eine Krise der Demokratie. Ein Verbot ersetze nicht die Demokratiestärkung, "die kommunale Verankerung des Rechtsextremismus bleibt - mit oder ohne Verbot". Es gebe Radikalisierung, "aber das Potenzial zum Feldzug" sehe er nicht. Der vom Bundesrat beauftragte Sachverständige plädierte für einen Mix aus Prävention und Repression. Man brauche Prozesse der Demokratieentwicklung und der Intervention. "Das Parteiverbot ist eine mögliche Maßnahme".  

Und was würde der EGMR sagen?

Bis zu einem Urteil des BVerfG dürften noch Monate vergehen. Ein eventuelles Verbot müsste inzwischen auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Bestand haben. Nach dessen Rechtsprechung muss ein Parteiverbot zum Schutz der demokratischen Ordnung auch wirklich notwendig sein - und setzt, wohl noch mehr als das deutsche Recht, auch die faktische Möglichkeit der Partei voraus, verfassungsfeindliche Tendenzen auch umzusetzen.

Bundesregierung und Bundestag haben sich dem Verbotsantrag nicht angeschlossen. Ein erster Anlauf war 2003 in einem Fiasko für die Politik geendet, weil im Verfahren ans Licht kam, dass die Partei bis in die Spitze hinein mit sogenannten V-Leuten durchsetzt war.

Diesmal hatten die Bundesländer vorgesorgt und im vergangenen Jahr auf Bitten des Gerichts noch einmal umfangreich dokumentiert, dass alle V-Leute rechtzeitig vor Beginn des Verfahrens "abgeschaltet" waren. NPD-Anwalt Peter Richter hatte am Dienstag versucht,
Überwachungs- und Anwerbeversuche jüngeren Datums nachzuweisen. Das Gericht sieht die vorgetragenen Fälle aber nicht als relevant an.

Mit Materialien von dpa

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Zweiter Prozesstag: BVerfG diskutiert NPD-Verbot: Wann sind Zumutungen verfassungswidrig? . In: Legal Tribune Online, 02.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18659/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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