Verfassungsstreit um Ministerpräsidentenwahl in Thüringen: Reicht Ramelow eine Ja-Stimme?

22.01.2020

Bodo Ramelow gilt als Gewinner der Landtagswahl in Thüringen, doch ihm fehlt eine Mehrheit im Parlament. Ob seine Wahl als Ministerpräsident im dritten Wahlgang trotzdem möglich ist, darüber sind sich Juristen uneinig.

Vor der anstehenden Wahl Bodo Ramelows (Linke) zum Thüringer Ministerpräsidenten gibt es Streit über die Auslegung der Landesverfassung. Thüringens CDU-Landespartei- und Fraktionschef Mike Mohring forderte eine Verschiebung der Wahl, um vorher Klarheit zu bekommen. "Wir wollen vor der Wahl Rechtssicherheit schaffen und die Klärung nicht im Nachhinein dem Thüringer Verfassungsgericht überlassen", sagte Mohring den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Zum Problem werden die Mehrheitsverhältnisse im Landtag. Nach der Wahl wollen Linke, SPD und Grüne eine Minderheitsregierung bilden - ohne feste Zusagen für eine Unterstützung aus der Opposition. Auch kündigten AfD, CDU und FDP an, Ramelow nicht mitzuwählen. Laut Thüringer Landesverfassung wird der Ministerpräsident mit der Mehrheit der Stimmen im Landtag gewählt. Scheitert der Kandidat in den ersten beiden Wahldurchgängen, "so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält", heißt es in der Landesverfassung. Was das konkret bedeutet - darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen.

Staatsrechtler: "Im dritten Wahlgang kommt es nur auf die Ja-Stimmen an"

Nach einem Gutachten des emeritierten Düsseldorfer Jura-Professors Martin Morlok aus dem Jahr 2014 kommt es im dritten Wahlgang nur auf die Ja-Stimmen an. Demnach wäre Ramelow auch mit nur einer Ja-Stimme gewählt - wenn es keine Gegenkandidaten mit mehr Ja-Stimmen gibt. Dagegen vertrat der ehemalige Direktor beim Deutschen Bundestag, Wolfgang Zeh, die Auffassung, dass zwingend mehr Ja- als Nein-Stimmen notwendig sind.

Nach Auffassung von Prof. Dr. Michael Brenner kann Ramelow auch mit mehr Nein- als Ja-Stimmen zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt werden. Andernfalls werde dem Landtag das Recht vorenthalten, einen Minderheitsministerpräsidenten zu wählen, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Das, meine ich, wird aber der Intention der Verfassung nicht gerecht." Brenner lehrt deutsches und europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Die Legitimation des alten Landtages sei nach der Wahl erloschen, die Regierung nur noch geschäftsführend im Amt. "Wenn der neue Landtag gewählt worden ist, ist dessen vorrangige, verfassungsmäßige Aufgabe, dass ein neuer Ministerpräsident gewählt wird, eine neue Regierung ins Amt gebracht wird." Gelte aber der Grundsatz, dass mehr Ja- als Nein-Stimmen nötig sind, die in der politischen Praxis nicht erreicht werden können, könne dies dazu führen, dass über längere Zeit kein Regierungschef gewählt werde und die alte Regierung geschäftsführend im Amt bleibe. "Damit wird dem Landtag das Recht entzogen, einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen, auch vielleicht einen mit relativer Mehrheit", argumentiert Brenner.

CDU: "Alle Thüringer Verfassungsorgane werden mit Mehrheit gewählt"

"Kein Vereinsvorsitzender wird in Deutschland gewählt, wenn nicht mehr Ja- als Nein-Stimmen vorliegen", kritisierte CDU-Landesfraktionschef Mohring. Alle Thüringer Verfassungsorgane würden mit Mehrheit gewählt: "Die Landtagspräsidentin, der Präsident des Verfassungsgerichtshofs. Soll die Demokratie keinen Schaden nehmen, muss das selbstverständlich auch für den Ministerpräsidenten gelten", betonte Mohring.

Eine solche Auslegung der Verfassung wäre für Ramelow schwierig, weil im Thüringer Parlament AfD, CDU und FDP zusammen 48 Stimmen haben, während sein angepeiltes Bündnis von Linke, SPD und Grüne nur auf 42 Sitze im Landtag kommt. Ein Ausweg wäre, dass sich mindestens sieben Abgeordnete aus den Reihen von FDP oder CDU enthalten.

Eine Situation wie in Thüringen gab es bundesweit bislang noch nicht. Nach bisherigen Plänen soll Ramelow am 5. oder 6. Februar gewählt werden. Auch eine Wahl Ende Februar war in der Vergangenheit im Gespräch.

Die Linke hält jedoch an der Wahl Anfang Februar fest. "Wir werden die Wahl nicht verschieben. Wenn die CDU stabile Verhältnisse will, dann muss sie sich im dritten Wahlgang enthalten", sagte Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur.

dpa/mgö/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Verfassungsstreit um Ministerpräsidentenwahl in Thüringen: Reicht Ramelow eine Ja-Stimme? . In: Legal Tribune Online, 22.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39817/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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