Nach dem Terror in Paris: Mehr Polizei, mehr Grenz­kon­trollen, mehr Vor­rats­da­ten­spei­che­rung?

von Anne-Christine Herr und Pia Lorenz

17.11.2015

Nach den Anschlägen in Paris hat Deutschland die Sicherheitsvorkehrungen erhöht. Bayern will die Grenze zu Österreich kontrollieren, die Polizei mehr Vorratsdatenspeicherung. Staatliche Schutzpflicht oder Gefahr für den Rechtsstaat?

Als Reaktion auf die Terroranschläge in Paris werden in Deutschland die Sicherheitsmaßnahmen massiv erhöht. Die Polizei des Bundes und der Länder ist in Alarmbereitschaft, insbesondere Rheinland-Pfalz und das Saarland halten ihre Beamten entlang der Grenze zu Luxemburg und Frankreich dazu an, Maschinenpistolen und Schutzwesten mit sich zu führen.

Gemeinsam mit den Nachrichtendiensten werde die Beobachtung islamistischer Gefährder intensiviert, kündigte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) am Samstagabend in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner Spezial" an. Bayerns Ministerpräsident will die bayerische Schleierfahndung hinter der Grenze "maximieren",  die Kontrollen an der österreichischen Grenze durch die Bundespolizei verschärfen und den Zuzug weiterer Flüchtlinge begrenzen. Unterstützung erhält  Horst Seehofer (CSU) von Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU).

Auch Florian Albrecht, Akademischer Rat auf Zeit an der Universität Passau und Wissenschaftler am dortigen Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht*, hält zumindest schärfere Kontrollen an der Grenze zu Österreich für dringend notwendig und fordert weitergehende Vorkehrungen, die er mit der grundgesetzlichen Schutzpflicht begründet. Für Dr. Denis Basak, Akademischer Rat am Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie in Frankfurt am Main, sind das nicht nur Überreaktionen, sondern auch Vermischungen von Dingen, die nichts miteinander zu tun hätten.

Mehr Polizei, mehr Waffen - mehr Sicherheit?

Denis Basak, der in Frankfurt deutsches und internationales Straf- und Strafprozessrecht sowie Rechtsdidaktik lehrt, kann nachvollziehen, dass Bundesjustizminister Heiko Maas auch eine quantitative und qualitative temporäre Aufrüstung ankündigte.

Derzeit werde immer noch nach Verdächtigen der Anschläge in Paris gefahndet und um sie zu fassen, seien auch verschärfte Methoden der Strafverfolgung angemessen, so der Strafrechtler. Zudem müssten die Bürger vor diesen hochgefährlichen Tätern geschützt werden.

Sicherheitsrechtler Albrecht hingegen hält solche präventivpolizeilichen Maßnahmen für nicht zielführend, denn auch in der Vergangenheit hätten sie sich – genau wie die Vorratsdatenspeicherung - wiederholt als unwirksam erwiesen. "Europäische Sicherheitsbehörden haben auf ganzer Linie versagt. Jetzt die Sicherheitsvorkehrungen zu intensivieren und die Polizei martialisch zu bewaffnen, nützt vielleicht dem Sicherheitsgefühl der Bürger, verhindert aber keine Anschläge", so Albrecht.

Bayern will Einlass von Flüchtlingen stoppen

Anstatt sich stark auf die Sicherung der Grenze nach Frankreich zu fokussieren, solle die Regierung besser die Grenze auf der anderen Seite des Landes stärker kontrollieren, fordert der Passauer Albrecht im Einklang mit der Regierung des Freistaats. "280.000 unregistrierte Personen befinden sich derzeit im Land, Tendenz steigend. Weiterhin unregistrierte illegale Einwanderer hineinzulassen, ist unverantwortlich. Wir müssen wissen, wer einreist, wer sich wo aufhält und mit welcher Intention."

Anlass für die Forderungen aus Bayern ist zum einen die Festnahme eines Waffenschmugglers aus Montenegro auf der A8 bei Rosenheim, der am 5. November auf dem Weg nach Frankreich gewesen sein soll. Sicherheitsbehörden prüfen derzeit, ob die bei ihm gefundenen Waffen für die Pariser Attentäter oder andere Terroristen bestimmt waren. Nach dem Bericht einer serbischen Zeitung soll außerdem mindestens einer der acht bislang bekannten Attentäter auf der Balkanroute der Flüchtlinge über Deutschland nach Frankreich gelangt sein.

Seehofer will zwar nach eigener Aussage die Flüchtlingspolitik von der Terrorismusbekämpfung trennen.  Seine Forderung im Internet, man müsse sich "umgehend wieder Klarheit verschaffen, wer in unser Land kommt, wer durch unser Land fährt und wer sich hier aufhält", erhob  der Ministerpräsident allerdings unmittelbar nach den Anschlägen von Paris.

Populistische Vermengung?

Denis Basak sieht trotz der gegenteiligen Beteuerung des bayerischen Landeschefs die Gefahr, dass Flüchtlinge mit möglichen Gefährdern gleichgesetzt werden. Das hält er für "eine populistische Vermengung ganz verschiedener Dinge, die nur der Stigmatisierung und Ausgrenzung derer dient, die schon alles verloren haben und Schutz und ein Leben ohne Fassbomben und wild gewordene Fanatiker suchen".

Stärkere Grenzkontrollen oder eine Begrenzung des Zustroms mögen politisch gewollt sein, so Basak. "Ob sie und auch der Versuch, die Identität von Einreisenden sofort zu erfassen, möglicherweise als Fahndungs- und Präventionsinstrumente beispielsweise gegen Waffenschmuggel einen Sinn haben, das müssen Fachleute beurteilen. Zur Terrorprävention ist dieses Mittel aber weder geeignet noch erforderlich", stellt der Strafrechtler klar.

Er hält es für "wenig plausibel, die Flüchtlinge fernhalten zu wollen, um den Terrorismus zu bekämpfen - angesichts der vielen Menschen mit EU-Pässen, die für den IS kämpfen, die zunächst einmal ein Recht auf Einreise haben und die sicher viel eher als "Gefährder" anzusehen sind als die Masse derer, die genau vor diesen Islamisten flieht. Es gibt bislang keinen festgestellten Zusammenhang zwischen den Flüchtlingsströmen nach Europa und den Anschlägen in Paris. 

Nötig hätten die IS-Terroristen es nicht, den lebensgefährlichen Landweg hinter sich zu bringen – wenn sie nicht ohnehin die Staatsangehörigkeit eines europäischen Mitgliedstaats haben, hat die Organisation genügend Geld, um gefälschte Pässe zu besorgen.

Zitiervorschlag

Anne-Christine Herr und Pia Lorenz, Nach dem Terror in Paris: Mehr Polizei, mehr Grenzkontrollen, mehr Vorratsdatenspeicherung? . In: Legal Tribune Online, 17.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17554/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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