SG Chemnitz zum Sozialrecht bei Kirchen: Pfar­rerin nicht behin­dert genug

von Tanja Podolski

20.02.2017

Bei einer Behinderung von nur 30 Prozent gilt für Geistliche einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft kein Sozialrecht. Die besonderen Schutzmaßnahmen für Behinderte stehen den Pfarrern damit nicht zu.

Pfarrer mit einem Behinderungsgrad von 30 Prozent haben keinen Anspruch auf Gleichstellung mit behinderten Menschen nach § 2 Abs.3 Sozialgesetzbuch (SGB) IX. Das hat das Sozialgericht (SG) Chemnitz entschieden (Gerichtsbescheid. v. 26.01.2017, Az. S 28 AL 757/15).

Die klagende Pfarrerin hatte bei der Ausübung des Berufslebens eine Beeinträchtigung erlitten, die zu einem Grad der Behinderung von 30 Prozent geführt hatte. Die Frau stellte erfolglos einen Antrag auf Gleichstellung mit Schwerbehinderten bei der Agentur für Arbeit in Chemnitz. Mit dem Antrag wollte die Pfarrerin erreichen, dass ihr bestimmte Schutzmaßnahmen zugute kommen, etwa die behindertengerechte Einrichtung des Arbeitsplatzes und der besondere Kündigungsschutz. Mit einem geeigneten Arbeitsplatz könnten wirtschaftliche Einbußen vermieden werden, die etwa mit einer Frühverrentung einhergehen könnten.

Doch für Pfarrer gelten Sonderregelungen: Unter den Begriff des Arbeitsplatzes aus § 73 SGB IX fallen nach Abs. 2 Nr. 2 keine Stellen, auf denen "Geistliche öffentlich-rechtlicher Religionsgemeinschaften" beschäftigt werden. Auf die Regelung des § 73 SGB IX verweist wiederum § 2 SGB IX, in dem eine Behinderung definiert ist. Doch ist der Begriff des Arbeitsplatzes schon nicht erfüllt, gibt es auch keine Gleichstellung und damit auch keine besonderen Schutzmaßnahmen. Erst, wenn eine Behinderung von 50 Prozent erreicht ist, ist auch bei den Religionsgemeinschaften für den Behindertenschutz gesorgt.

Die Klägerin allerdings war nicht Inhaberin einer Pfarrstelle, sondern Pfarrerin im Wartestand. Der Wartestand ist eine Besonderheit für Pfarrer im evangelischen Arbeitsrecht und vergleichbar mit einer Freistellung. Die Klägerin meint, die Versetzung in den Wartestand sei eine Vorwegnahme der Versetzung in den Ruhestand. Somit drohe ihr konkret der Verlust des Arbeitsplatzes.

Auslegung ganz nah am Gesetz

Die Arbeitsagentur hielt sich an die gesetzeskonforme Auslegung der Norm und lehnte schon einen Arbeitsplatz iSd § 73 SGB IX ab. Das SG Chemnitz hat sich dieser Argumentation nun angeschlossen. Eine Gleichstellung dürfte bereits deshalb ausgeschlossen sein, weil die Klägerin als Pfarrerin auch im Wartestand keinen Arbeitsplatz im Sinne von § 73 SGB IX innehabe, so die Kammer. Vielmehr sei sie gemäß Abs.2 Ziff. 2 dieser Vorschrift als Geistliche einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft beschäftigt.

Letztlich ließen die Richter das offen, weil der Frau zumindest kein konkreter Verlust des Arbeitsplatzes drohe, so die Kammer. Zwar sehe § 92 Abs.2 Satz 1 Pfarrdienstgesetz (PfDG) der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) vor, dass Pfarrer im Wartestand in den Ruhestand versetzt werden, wenn ihnen bis zum Ablauf von drei Jahren nach Beginn des Wartestands nicht erneut eine Pfarrstelle übertragen worden ist.

Die Klägerin trage jedoch selbst vor, dass die Versetzung in den Ruhestand frühestens 2019 erfolgen könne, falls ihr bis dahin keine Pfarrstelle übertragen werde. Hierfür gebe es jedoch nicht den geringsten Anhaltspunkt. Auch sei nicht vorgetragen, dass oder warum ihr gerade keine Pfarrstelle mehr übertragen werden sollte.

Kernfrage der Gleichstellung offen

Letztlich würde es selbst dann, wenn die Evangelische Landeskirche die Klägerin nach Ablauf von drei Jahren in den Ruhestand versetzen würde, an der zwingenden Kausalität zwischen Behinderung und Verlust des Arbeitsplatzes fehlen, entschieden die Richter. Kausal für die Versetzung in den Ruhestand wäre ihrer Ansicht nach dann vielmehr, dass § 92 PfDG diese zwingend vorschreibe, wenn ein Pfarrer drei Jahre lang ohne neue Stelle im Wartestand war.

Gegen den Gerichtsbescheid hat die Klägerin Berufung zum Sächsischen Landessozialgericht eingelegt (Az. L 9 AL 26/17). Ihr Anwalt, Robert Hotstegs, geht weiterhin davon aus, "dass Pfarrer wegen der Ausübung ihrer Religion als Beruf - nur deswegen und ohne sachlichen Grund - diskriminiert werden."

Die Kernfrage, ob ein Pfarrer mit einem Grad der Behinderung von 30 Prozent einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden und am Sozialrecht partizipieren kann, habe das Gerichtvollständig offen gelassen, so Hotstegs gegenüber LTO.  Mit der Begründung, dass die Versetzung der Frau in den Wartestand keine "Bedrohung mit Verlust des Arbeitsplatzes" sei, beschränke der Staat das (staatliche) Sozialrecht, weil das Kirchenrecht zwischen aktivem Pfarrdienst und Ruhestand den Wartestand einfüge. "So könnte dem betroffenen Pfarrer zuerst der Dienstposten genommen werden und dann der gesamte Status als aktiver Pfarrer."

 

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, SG Chemnitz zum Sozialrecht bei Kirchen: Pfarrerin nicht behindert genug . In: Legal Tribune Online, 20.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22150/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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