In mehr als zehn deutschen Städten versammeln sie sich bereits, europäische Großstädte ziehen nach. Jeden Sonntag um 14 Uhr demonstrieren mehr Menschen für Europa. Unter ihnen sind auffallend viele Juristen.
An jedem Sonntag versammeln sie sich. Alles begann in Frankfurt, seit dem 15. Januar 2017 versammeln sich die Befürworter der europäischen Idee jeden Sonntag auf dem Goetheplatz. Mittlerweile sind es dort nach Polizeischätzungen an die 1.600 Teilnehmer. Acht weitere deutsche Städte haben sich bereits angeschlossen, gerade kommen München, Essen, Wiesbaden, Passau und Halle a.d. Saale dazu, in weiteren Städten gibt es konkrete Pläne. Und auch im Ausland findet das Projekt Mitstreiter. Amsterdam startete am vergangenen Sonntag, Paris, Straßburg, Brüssel und Lissabon stehen in den Startlöchern.
"Pulse of Europe" will die sonst schweigende Masse für die Straßen mobilisieren. In einer Zeit, in der das Scheitern der Europäischen Union (EU) angesichts wachsender rechtspopulistischer Tendenzen in mehreren Mitgliedstaaten nicht mehr ausgeschlossen erscheint, möchten die Gründer der Bewegung einen möglichen Zerfall Europas verhindern. Die Mehrheit der Bürger soll sich ausdrücklich zu einem freiheitlichen und demokratischen Europa bekennen. Dazu will die überparteiliche Bürgerinitiative mit Demonstrationen aufrufen. Und das geschieht nun, an jedem Sonntag um 14 Uhr, in vielen Städten Deutschlands.
In einer ersten Phase der Bewegung sollen die bevorstehenden Wahlen in den Niederlanden am 15. März und in Frankreich am 23. April und 7. Mai 2017 europafreundlich beeinflusst werden. Dazu will die Organisation bis zum und am 12. März 2017, dem letzten Sonntag vor den Wahlen in den Niederlanden, so viele Menschen wie möglich in Europa zu versammeln, "die für die Union einstehen und so dazu beitragen, dass nach den Wahlen pro-europäische Kräfte mehrheitsfähig regieren können". Sie wollen über viele Orte eine Menschenkette durch Europa bilden, die Deutschland, Frankreich und die Niederlande verbindet.
"Uns war klar, jetzt muss etwas passieren"
"Die EU ist nicht frei von Fehlern, doch um Reformen in Angriff nehmen zu können, muss die Existenz dieser Institution zunächst gewahrt bleiben", appelliert Daniel Röder.
Der Partner bei Greenfort Rechtsanwälte ist einer der Gründer der Initiative. "Als mit der Wahl von Donald Trump plötzlich das Unmögliche möglich wurde, war uns klar, jetzt muss etwas passieren", erklärt er gegenüber LTO. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Sabine organisierte er einen Resonanztest. Die beiden Juristen riefen per Email Freunde und Bekannte zu einer pro-europäischen Versammlung auf. "Es kamen auf Anhieb ca. zweihundert Teilnehmer, was uns zeigte, dass eine flächendeckende Bürgerbewegung Erfolg haben könnte".
Mit zunächst sieben Freunden, unter ihnen naturgemäß viele Juristen, gründete das Ehepaar ein zentrales Organisationsteam. Von dieser Zentrale aus werden regelmäßige Telefonkonferenzen mit den anderen Organisatoren der jeweiligen deutschen Standorte abgehalten. Deutschlandweit agieren in den Teams bisher noch zu einem Großteil Bekannte der Initiatoren, doch es kommen zunehmend auch Anfragen von externen Interessenten.
Das Interesse der Presse ist groß, mehrere überregionale Medien haben bereits über die Bewegung berichtet, die immer größeren Zulauf bekommt. Dafür sorgten auch die Frankfurter Initiatoren, die am 12. Februar mit den Demonstrationsteilnehmern vom Goetheplatz aus zur Paulskirche gingen. Als Symbol sowohl für die Wiege der Demokratie als auch für deren Gefährdung sie ein geeigneter Ort zum Nachdenken, erklärte Röder. Ansprechen will Pulse of Europe alle Altersgruppen, unabhängig von Parteizugehörigkeit und Konfession. Aber vor allem auch die junge Generation will das Projekt wachrütteln.
2/2: "Sie hätten den Brexit verhindern können"
Ein Redebeitrag während der Kölner Demonstration am vergangenen Sonntag erinnerte daran, dass gerade die jungen Menschen in großer Zahl von Einrichtungen wie dem Erasmus Programm profitierten. Und dennoch sei es ihre Generation gewesen, die sich in Großbritannien nicht ausreichend an der Abstimmung über den EU-Austritt beteiligt habe. "Sie hätten den Brexit verhindern können", rief eine junge Demonstrationsteilnehmerin sichtlich aufgewühlt ins Mikrofon. "Ihre Zukunft wird hier mitgestaltet", mahnt auch Christophe Kühl, namensgebender Partner der deutsch-französischen Anwaltssozietät Epp & Kühl in Köln, und Organisator der Bewegung in der Domstadt.
Das Brexit-Beispiel zeige, dass die Privilegien der EU als etwas Alltägliches hingenommen würden, obwohl sie derzeit wie nie zuvor bedroht seien. Kühl sieht in der Gleichgültigkeit der schweigenden Mehrheit der Bürger eine große Gefahr für die weiteren Wahlen in Europa.
"Bleibt bei uns, Niederländer" so lautet die aktuelle Kampagne. Die Initiatoren wollen den Zusammenhalt aller 28 Mitgliedstaaten stärken. Aus der Vereinigung Europas resultiere vor allem Frieden, stellen die Leitlinien heraus. Aber die europäischen Grundfreiheiten der Personenfreizügigkeit, des freien Warenverkehrs, freien Zahlungsverkehrs und der Dienstleistungsfreiheit sicherten auch die individuelle Freiheit und den Wohlstand der Bürger der Union.
Das gleiche Demonstrationsprogramm, europaweit eigenständig organisiert
Die Zeit drängt. Nicht nur, weil die Wahlen kurz bevorstehen. Damit die europäischen Errungenschaften Bestand haben können, bedürfe es starker Demokratien in den Mitgliedstaaten. Kühl betont deshalb auch die Notwendigkeit einer schnellen europaweiten Verbreitung.
"Wichtig ist jedoch, dass die Bewegungen im Ausland stets originär aus dem jeweiligen Nationalstaat kommen und nicht von Deutschland aus implementiert werden", betont Kühl. Obwohl auch viele der Initiatoren im Ausland Bekannte der deutschen Organisatoren sind, gebe es daher keine europaweite zentrale Steuerung. Man spreche sich aber ab und behalte den Rahmen der Demonstration an allen Standorten bei.
Jede der Versammlungen findet Sonntagnachmittags um 14 Uhr statt, in Frankreich um 15 Uhr. Während der einstündigen Veranstaltung gibt es Redebeiträge von freiwilligen Demonstrationsteilnehmern sowie eingespielte Musik, in Köln erwartet man demnächst eine Abordnung eines Kölner Orchesters. Den Abschluss der Veranstaltung bildet regelmäßig eine Menschenkette. Sie soll einen von Mal zu Mal faszinierenderen Eindruck bei den Beteiligten und Zuschauern hinterlassen, erklärte das Ehepaar Kühl am vergangenen Sonntag bei der Kölner Demonstration.
Erst sichern, dann reformieren
In Phase eins geht es den Initiatoren von Pulse of Europe erst einmal nur um den Bestandschutz der EU. "Bisher bezieht Pulse of Europe inhaltlich keine Stellung", so Daniel Röder. "Nach dem Ausgang der Wahlen in den Niederlanden werden wir mit dem zentralen Organisationsteam aus Frankfurt in Klausur gehen. Bei einem europafeindlichen Wahlausgang müssen wir unser Programm neu ausrichten und uns weiter auf Frankreich fokussieren. Gehen die Wahlen hingegen europafreundlich aus, können wir uns auch schon hinsichtlich der Reformforderungen Gedanken machen", erläutert der Wirtschaftsanwalt das weitere Vorgehen.
Die EU habe zweifelsohne Schwachstellen und sei kein Selbstzweck, so kann jeder im Leitfaden lesen. Mit dem pro-europäischen Bekenntnis allein wird es also nicht getan sein. Mit seinem Team will Röder vielmehr auch der Kritik und den Verbesserungsvorschlägen eine Stimme geben. "Primär will Pulse of Europe im Moment die stillen Befürworter Europas motivieren. Daneben ist es uns jedoch gerade auch wichtig, auf die zuzugehen, die Bedenken, Ängste oder Wut gegen die europäischen Institutionen hegen".
Sie wollen sich aber einsetzen für europäische Errungenschaften, die sie für nicht verhandelbar halten. Vor allem aber glauben und hoffen sie, einen Großteil der Bevölkerung hinter sich zu haben, der an Europa festhalten will. Diese stille Mehrheit wollen sie mit ihrer Bewegung infizieren, um ein flächendeckendes Pro Europa sichtbar zu machen. "Es ist fünf vor zwölf, um für Europa auf die Straßen zu gehen", appelliert Christophe Kühl. "Die Wahlprognosen zeigen gefährliche Tendenzen. Jetzt können wir ihnen noch ein Zeichen entgegensetzen".
Die Autorin Isabelle Beaucamp ist Absolventin der Deutsch-Französischen Rechtswissenschaften an der Université Paris I Sorbonne und der Universität zu Köln, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft der Vereinten Nationen NRW sowie Wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Luft- und Weltraumrecht/Lehrstuhl für Völkerrecht, Europarecht, europäisches und internationales Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln 2015.
Pia Lorenz, Pulse of Europe: Demonstrieren für Europa . In: Legal Tribune Online, 18.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22137/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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