"Mollath - und plötzlich bist Du verrückt": Vom Gerichtssaal ins Kino

26.06.2015

Der Fall Mollath erhitzte lange die Gemüter. Die meisten Beobachter schlugen sich schnell auf eine Seite. Die Macherinnen einer Doku über den langjährigen Psychiatrie-Insassen Gustl Mollath wollten genau das nicht tun.

Die neue Dokumentation über Gustl Mollath soll nach dem Willen der Regisseurinnen nicht eindeutig Stellung zu dem Fall des wohl berühmtesten Psychiatrie-Insassen Bayerns beziehen. "Wir wollten keinen Film pro oder kontra Mollath machen. Wir wollten einen Menschen in seinen vielen Facetten zeigen, ihn respektvoll behandeln und dem Zuschauer die Möglichkeit geben, dass er ihn kennenlernt und vielleicht auch selber darüber urteilen kann", sagt die Regisseurin Leonie Stade (27). Ihr gemeinsamer Film mit Annika Blendl (33) "Mollath - und plötzlich bist Du verrückt" hat am Freitag Premiere beim Filmfest München.

Die Studentinnen der Münchner Filmhochschule waren für ihr Werk zwei Jahre lang mit Mollath und anderen Menschen unterwegs, die mit seinem Fall zu tun hatten - etwa mit seinem früherem Anwalt Gerhard Strate, zwei Journalisten und einem Freund Mollaths. Strate hat seine eigene Darstellung des historischen Justizskandals in einem Buch niedergeschrieben. "Alle waren sehr aufgeschlossen und haben uns sehr ehrliche Sachen gesagt", erzählt Blendl. "Sie haben uns sozusagen ihre Wahrheit geschildert und das war uns sehr wichtig: Die Wahrheit, die jeder einzelne anders sieht." 72 Stunden Film-Material kamen dabei heraus, 90 Minuten sind vom 9. Juli an im Kino zu sehen.

Sieben Jahre Psychiatrie

"Was uns bei dem Fall so gestört hat, war, dass so extrem oft - bis auf wenige Ausnahmen - in die eine Kerbe gehauen wurde", sagt Stade. "Es wurde die eine Seite vertreten oder die andere und die haben sich teilweise bekämpft." Blendl ergänzt: "Wir wollten dagegen zeigen, dass die Wahrheit manchmal auch in verschiedenen Graustufen dazwischen liegt." Ihr Ziel sei gewesen, "dass man das Menschliche hinter der Geschichte sieht - sehen, wie Mollath sich anfühlt".

Der Nürnberger Gustl Mollath war 2006 wegen Schuldunfähigkeit von den Vorwürfen der Körperverletzung an seiner Frau und Sachbeschädigung freigesprochen worden. Das Gericht hatte die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Rund sieben Jahre verbrachte Mollath in der Psychiatrie. Von Anfang an hatte er für seine Freilassung gekämpft.

In einem aufsehenerregenden Wiederaufnahmeverfahren wurde er im Jahr 2014 freigesprochen. Das Landgericht (LG) Regensburg begründete den Freispruch allerdings wiederum mit der nicht feststellbaren Schuldfähigkeit. Gegen diesen "Freispruch zweiter Klasse" hatte Mollath Rechtsmittel eingelegt.

"Wir können es nicht wissen, ob er sie geschlagen hat", sagt Stade. "Und dann kann man dazu auch nichts sagen." Eines ist für die beiden Filmemacherinnen jedoch klar: "Dieser Mann war eindeutig siebeneinhalb Jahre zu Unrecht weggesperrt", sagt Stade. "Definitiv ist er zum Opfer von etwas geworden. Das heißt aber nicht, dass man ihn deswegen zum Helden stilisieren muss."

...ein "sehr höflicher, sehr witziger und gebildeter Mensch"

Ziel sei von Anfang an keine klassische Fernsehreportage gewesen oder eine Investigativ-Geschichte, sondern vielmehr ein Porträt. "Und je mehr wir uns damit beschäftigt haben, ihn besucht und regelmäßig Kontakt hatten, hat sich immer mehr herauskristallisiert, dass da ein sehr interessanter Mensch dahintersteckt", sagt Stade.

Mollath sei ein "sehr höflicher, sehr witziger und gebildeter Mensch". Blendle erzählt: "Er hat sehr viel Humor und wir haben uns gut mit ihm amüsieren können." Dennoch sei der 58-Jährige "kein Mensch, der absolut im Strom der Gesellschaft schwimmt". Mollath sei kompromisslos, kämpferisch, sehr kontrolliert und genau. Dazu komme sein Drang zur Weltverbesserung.

"Uns war es wichtig, auch diese Seiten zu zeigen. Denn ohne diese Eigenheiten wäre er auch nie aus der Psychiatrie raus gekommen", erläutert Stade. "Wir haben mit ihm wirklich viel Zeit verbracht -, manchmal ganze Tage, wo die Kamera nicht lief", ergänzt Blendl. Sie habe den Eindruck, dass sie ihn richtig kennenlernen durften: "So wie wir ihn vor der Kamera zeigen konnten, so war er auch für uns."

Stade formuliert zudem Kritik an der Beurteilung psychisch kranker Straftäter: "Unser Film soll die Frage aufwerfen, wie schwierig es in einem Rechtssystem ist, geistige Gesundheit überhaupt festzustellen - ob wir das in dieser Form wollen und wie wir damit umgehen möchten." In die selbe Kerbe schlägt die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie hätte nach dem Fall Gustl Mollath gar die Unterbringung reformiert.

dpa/age/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

"Mollath - und plötzlich bist Du verrückt": Vom Gerichtssaal ins Kino . In: Legal Tribune Online, 26.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15992/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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