EuGH zu Gibraltar und Großbritannien: Uni­ons­recht­lich gesehen ein Mit­g­lied­staat

13.06.2017

Gibraltar und Großbritannien sind unionsrechtlich wie ein einziger Mitgliedstaat zu behandeln, entschied der EuGH. Doch er betont auch die Eigenständigkeit der Mittelmeerhalbinsel und gibt so ein wichtiges Zeichen vor dem anstehenden Brexit.

Die britische Regierung darf Steuern von Unternehmen mit Sitz in Gibraltar erheben, die auf ihrem Gebiet Dienstleistungen erbringen. Die unionsrechtlich verbürgte Dienstleistungsfreiheit findet zwischen den beiden Ländern keine Anwendung. Dies entschied am Mittwoch der Europäische Gerichtshof (EuGH) (Urt. v. 13.07.2017, Az. C-591/15).

Die "Brexit"-Pläne der britischen Regierung stehen auf wackeligen Füßen, der Prozess zieht sich voraussichtlich noch lange hin. Bis zu seinem Abschluss müssen sich die Briten also noch am Unionsrecht festhalten lassen. So versuchte nun ein Unternehmen auf der zu Großbritannien gehörigen Mittelmeerhalbinsel Gibraltar, aus Art. 56 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gegen eine britische Unternehmenssteuer vorzugehen.

Gibraltar ist völkerrechtlich betrachtet seit Anfang des 18. Jahrhunderts ein Teil des Vereinigten Königreiches, jedoch mit umfangreichen Selbstverwaltungsbefugnissen sowie einer eigenen Regierung ausgestattet. Über die Hoheitsrechte der Briten und mögliche Ansprüche Spaniens wird seit jeher gestritten.

Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit entscheidend

Geklagt hatte die Gibraltar Betting and Gaming Association ("GBGA"), welche Wett- und Glücksspieldienstleistungen an Kunden innerhalb und außerhalb des Königreichs erbringt. Sie wandte sich gegen eine 2014 von der britischen Regierung eingeführte Steuer, die für die Abgabenpflicht an den Verbrauchsort anknüpft - mit der Folge, dass Glücksspielanbieter für die Fernglücksspieldienstleistungen, die sie an im Vereinigten Königreich ansässige Spieler erbringen, eine Abgabe zu entrichten haben.

Bis dahin galt allein das "Leistungsort"-Prinzip, wonach nur die im Vereinigten Königreich ansässigen Unternehmen Abgaben auf ihre Bruttogewinne aus an Kunden weltweit erbrachten Glücksspieldienstleistungen Steuern zahlen mussten. In der Neuregelung sah die GBGA eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV und focht diese vor dem High Court of Justice an.

Das Gericht hatte aber Zweifel, ob sich das Unternehmen mit Sitz in Gibraltar überhaupt auf die Europäischen Verträge berufen könne und legte die Frage im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens dem EuGH vor. Entscheidend kam es darauf an, ob Gibraltar unionsrechtlich als ein Teil von Großbritannien oder als eigenständiger Mitgliedstaat behandelt werden muss. Im Falle der Eigenständigkeit wäre das Unternehmen in einem anderen EU-Staat angesiedelt und könnte sich gegenüber der britischen Regierung auf die EU-Verträge berufen.

EuGH: Gibraltar gehört nicht zum Vereinigten Königreich

Die Luxemburger Richter gaben aber der britischen Finanzverwaltung Recht, die auf eine Behandlung als unionsrechtliche Einheit gepocht hatte. Dazu stellte der Gerichtshof eingangs fest, dass nach der Beitrittsakte von 1972 in bestimmten Bereichen des Unionsrechts die Unionsrechtsakte auf Gibraltar nicht anwendbar seinen, dies aber für die Dientsleistungsfreiheit nicht gelte.

Allerdings könne das Verhältnis der beiden Länder im Lichte des Art. 56 AEUV nicht als den Beziehungen zwischen zwei Mitgliedstaaten vergleichbar angesehen werden, so die Richter. Schließlich hätten die Briten die Verpflichtungen, die sich für Gibraltar aus den EU-Verträgen ergeben, übernommen. Daher, so die Logik, müssten beide unionrechtlich auch als ein Mitgliedstaat angesehen werden: "Ein gegenteiliger Befund liefe darauf hinaus, die im Unionsrecht anerkannten Bande zwischen diesem Hoheitsgebiet und diesem Mitgliedstaat zu leugnen", heißt es in der Mitteilung des EuGH.

Somit habe die Sache keinen grenzüberschreitenden Bezug, weshalb die Dienstleistungsfreiheit, die nur zwischen den Staaten, aber nicht innerhalb eines Staates gilt, hier nicht zur Anwendung komme. Gleichwohl war man bemüht, die Unabhängigkeit des kleinen Überseegebietes zu betonen: "Gibraltar ist eine Kolonie der britischen Krone. Es gehört nicht zum Vereinigten Königreich", stellte der Gerichtshof in seinem Urteil ausdrücklich klar. Die Entscheidung könne nicht in dem Sinne verstanden werden, dass damit "der gesonderte und unterschiedliche Status von Gibraltar angetastet" werde.

Im Kontext der anstehenden "Brexit"-Verhandlungen und einem damit möglicherweise anstehenden Streit um den Verbleib der nicht einmal sieben Quadratkilometer großen Halbinsel und die Hoheitsansprüche der Spanier sind diese Äußerungen sicher ein wichtiger Fingerzeig, wenngleich die britische Regierung fürs Erste als Sieger dasteht.

mam/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

EuGH zu Gibraltar und Großbritannien: Unionsrechtlich gesehen ein Mitgliedstaat . In: Legal Tribune Online, 13.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23178/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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