EuGH-Generalanwalt zu syrischer Familie: Mit­g­lied­staaten müssen humani­täre Visa aus­s­tellen

07.02.2017

Eine syrische Familie will mit einem 90-Tage-Visum nach Belgien, um dann einen Asylantrag stellen zu können. Weil die Behörden das ablehnen, beschäftigt sich der EuGH mit der Frage. Generalanwalt Mengozzi stellte nun seine Schlussanträge.

Paolo Mengozzi, Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH), ist der Auffassung, dass die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, ein humanitäres Visum zu erteilen, wenn den Betroffenen sonst Folter und andere unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen drohen. Das geht aus seinen Schlussanträgen zu dem Fall eines syrischen Ehepaars hervor, die sich für ein Visum an die belgischen Behörden gewandt haben.

Das Ehepaar, das mit seinen drei kleinen Kindern im syrischen Aleppo lebt, stellte bei der belgischen Botschaft im Libanon Anträge auf die Erteilung von räumlich beschränkten Visa nach dem EU-Visakodex (VO (EG) Nr. 810/2009). Die Visa sollten der Familie ermöglichen, Aleppo zu verlassen und in Belgien Asylanträge zu stellen. Einer der Eheleute sei bereits von bewaffneten Gruppen entführt und gefoltert worden, schließlich aber gegen Lösegeld freigekommen. Auch wegen ihres christlich-orthodoxen Glaubens drohe der Familie in Syrien weiterhin  die Verfolgung.

Visum gilt eigentlich nur 90 Tage

Der EU-Visakodex sieht Aufenthalte von höchstens 90 Tagen oder für die Durchreise vor. Das belgische Ausländeramt lehnte die Anträge deshalb ab. Da die Familie die Visa beantragt habe, um in Belgien einen Asylantrag zu stellen,  beabsichtige sie offensichtlich, sich länger als 90 Tage in Belgien aufzuhalten. Ferner seien die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, alle Personen, die eine katastrophale Situation erlebten, in ihr Hoheitsgebiet aufzunehmen. Dagegen zog die Familie vor Gericht.

Das belgische Gericht hatte dem EuGH daraufhin Fragen zur Auslegung des Visakodex sowie der Art. 4 und 18 der EU-Grundrechtecharta vorgelegt. In seinen Schlussanträgen schlägt Generalanwalt Mengozzi dem EuGH nun vor, diese im Sinne der syrischen Familie zu beantworten.

Mitgliedstaaten in ihrem Beurteilungsspielraum eingeschränkt

Die Grundrechte seien allen Adressaten von durch Behörden erlassenen Rechtsakten garantiert, auf territoriale Kriterien komme es nicht an. Mitgliedstaaten, von denen ein Drittstaatsangehöriger die Erteilung eines Visums mit räumlich beschränkter Gültigkeit aus humanitären Gründen begehrt, seien verpflichtet, das Visum zu erteilen, wenn ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass der Antragssteller bei Verweigerung der Visaerteilung einer unter das Verbot des Art. 4 der Charta fallenden Behandlung ausgesetzt wird. Ansonsten werde ihm zudem eine rechtliche Möglichkeit vorenthalten, sein Recht, in diesem Mitgliedstaat um internationalen Schutz zu ersuchen, auszuüben, so der Generalanwalt.

Einer Auslegung des Visakodex, wonach Mitgliedstaaten bloß ermächtigt seien, solche Visa zu erteilen, widersprach Mengozzi. Sie müssten zudem im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums die in der Charta garantierten Rechte wahren. Vor diesem Hintergrund sei ihr Beurteilungsspielraum auch notwendigerweise beschränkt, heißt es.

Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für das Gericht allerdings nicht bindend. Gleichwohl schließt sich das Gericht in den meisten Fällen den Vorschlägen an. Wann der EuGH in dieser Sache eine Entscheidung verkündet ist noch nicht bekannt.

acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

EuGH-Generalanwalt zu syrischer Familie: Mitgliedstaaten müssen humanitäre Visa ausstellen . In: Legal Tribune Online, 07.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22018/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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