EuGH gibt Kommission im Streit mit Polen recht: Es darf nicht nach Willkür aus­sehen

05.11.2019

Es darf nicht so aussehen, als ob der Justizminister missliebige Richter einfach in den Ruhestand schicken kann: Ein polnisches Gesetz über das Ruhestandsalter von Richtern verstößt deshalb gegen das Unionsrecht, so der EuGH.

Ein polnisches Gesetz zum Ruhestandsalter für Richter an den ordentlichen Gerichten verstößt gegen EU-Recht. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag entschieden und einer Vertragsverletzungsklage der EU-Kommission gegen Polen stattgegeben (Urt. v. 05.11.2019, Az. C-192/18).

Die rechtskonservative Regierungspartei PiS hat die Justiz des Landes seit 2015 mit etlichen Gesetzen umgebaut. Dabei hatte sie im Juli 2017 unter anderem neue Ruhestandsregeln für Richter an ordentlichen Gerichten durchgesetzt. Statt mit 67 Jahren sollten Frauen mit 60 und Männer mit 65 Jahren in den Ruhestand gehen. Darüber hinaus wurde dem Justizminister mit dem Gesetz die Befugnis eingeräumt, Amtszeiten von Richtern über das neu festgelegte Ruhestandsalter hinaus zu verlängern. Die Kommission erhob daraufhin eine Vertragsverletzungsklage.

Die Luxemburger Richter gaben der Kommission nun Recht. Ein unterschiedliches Ruhestandsalter für Männer und Frauen seien eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Polen hatte vor Gericht argumentiert, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich des Alters, von dem an ein Anspruch auf ein Ruhegehalt besteht, eine Maßnahme der positiven Diskriminierung darstelle. Dem erteilte der EuGH aber eine Absage: Die Unterschiede seien nicht geeignet, Karrierenachteile für Beamtinnen auszugleichen.

Zudem beschnitten die Befugnisse des Justizministers die Unabhängigkeit der Richter, entschied der EuGH. Zwei führe die Befugnis des Justizministers, eine Verlängerung der Amtszeit eines Richters über das Regelruhestandsalter hinaus zu genehmigen oder nicht zu genehmigen, für sich allein noch nicht unbedingt zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichte. Die Kriterien, anhand derer der Justizminister die Entscheidung zu treffen habe, seien jedoch zu unbestimmt und nicht nachprüfbar, zudem müsse die Entscheidung nicht begründet werden und sei gerichtlich nicht anfechtbar. Insgesamt seien diese Maßnahmen geeignet, berechtigte Bedenken zu wecken, dass mit dem neuen System in Wirklichkeit dem Justizminister ermöglicht werden könnte, bestimmte Richter willkürlich aus dem Dienst zu entfernen und gleichzeitig andere Richter im Amt zu belassen, so der EuGH.

Polen hat die Gesetze bereits geändert - der Kommission reicht das nicht

Die polnische Regierung hatte bereits im vergangenen Jahr auf die Klage der Kommission reagiert und das fragliche Gesetz geändert. So begrenzte sie die Befugnisse des Justizministers und legte das Pensionsalter von Frauen - wie für Männer - auf 65 Jahre fest. Das Urteil vom Dienstag bezieht sich jedoch auf die vorherigen Regelungen.

Die EU-Kommission machte am Dienstag klar, dass die Änderungen aus ihrer Sicht nicht ausreichend sind. Eine Sprecherin bemängelte, dass Richter, die vor den Korrekturen von dem Gesetz betroffen waren, nicht entschädigt worden seien. Wie eine solche Entschädigung aussehen könnte, sagte die Sprecherin nicht. Da gebe es Flexibilität. Grundsätzlich begrüßte die Behörde das EuGH-Urteil: "Das ist eine wichtige Entscheidung, die die Unabhängigkeit der Justiz in Polen unterstützt und die Diskriminierung wegen des Geschlechts unterbindet", hieß es.

Auch der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold wertete das Urteil positiv. Es stärke die Rechtsstaatlichkeit in Europa. "Ich erwarte von der polnischen Regierung, dass sie ihr Gesetz in dieser Form zurücknimmt." Ähnlich äußerte sich die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley. Sie sprach von einem "Signal für Rechtsstaatlichkeit". Nun müsse die polnische Regierung handeln.

Sollte die EU-Kommission zu der Einschätzung kommen, dass Warschau dem Urteil nicht nachkommt, könnte sie erneut vor dem EuGH klagen. Dann drohen empfindliche finanzielle Sanktionen. Das polnische Außenministerium betonte am Dienstag jedoch, die fraglichen Regeln seien bereits geändert worden. Dass die EU-Kommission dennoch an der Klage festgehalten habe, sei ungerechtfertigt.

Im Juni dieses Jahres entschied der EuGH bereits, dass die Regelungen für das Ruhestandsalter am Obersten polnischen Gericht rechtswidrig waren. In dem aktuellen Verfahren ging es um Regelungen für die ordentlichen Gerichte.

 

acr/LTO-Redaktion

mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

EuGH gibt Kommission im Streit mit Polen recht: Es darf nicht nach Willkür aussehen . In: Legal Tribune Online, 05.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38539/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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