EGMR weist Beschwerde der Kinder von Oliver Kahn ab: Vogel­f­reie Pro­mi­nen­ten­kinder?

von Dr. Christian Mensching

17.03.2016

2/2: Dennoch: Prominentenkinder sind nicht vogelfrei

Wie häufig bei Fragen des Presserechts hängt die Bewertung der Entscheidung des EGMR von der eigenen Perspektive ab:

Aus der Sicht der Betroffenen mag das Urteil des EGMR auf den ersten Blick enttäuschend sein und den Eindruck verstärken, Persönlichkeitsrechtsverletzungen würden sich für manchen Verlag auch weiterhin lohnen. Allerdings fragt sich, ob im Fall Kahn eine Verurteilung des Verlags zu Entschädigungszahlungen von 80.000 Euro tatsächlich eine verhaltenssteuernde Wirkung entfaltet hätte, wenn man unterstellt, dass dies bei den bereits in Höhe von insgesamt 55.000 Euro verhängten Zwangsgeldern nicht oder nur eingeschränkt der Fall war.

Die Medien können das Urteil mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen. Hätte der EGMR neben den Zwangsgeldern einen Entschädigungsanspruch für zwingend gehalten, hätte dies die grundsätzliche Zurückhaltung der deutschen Gerichte, Geldentschädigungsansprüche überhaupt zuzusprechen, nachhaltig in Frage gestellt.

Höhere Entschädigungssummen bei Hartnäckigkeit

Letztlich bleibt der Fall Kahn aber in mehrfacher Hinsicht ein Einzelfall: Pauschalverbote, wie sie die Kinder von Oliver Kahn im Januar 2005 noch erwirken konnten, gehören seit der Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 2007 der Vergangenheit an. Damit entfällt in den meisten Fällen auch die Möglichkeit, auf die Erstveröffentlichung einer Aufnahme mit einem Zwangsgeldantrag zu reagieren. Dies war jedoch im Fall Kahn für den EGMR wesentlicher Gesichtspunkt, warum es keines ergänzenden Entschädigungsanspruchs bedurfte. Auch sind gewiss Fotoveröffentlichungen denkbar, die intensiver in die Rechte der Betroffenen eingreifen und bei denen sich die Frage, ob ein effektiver Persönlichkeitsrechtsschutz  auch unter dem Gesichtspunkt der Genugtuungsfunktion eine Geldentschädigung verlangt, in zugespitzter Form stellt. Und schließlich hat sich die Rechtsprechung der Pressekammern und -senate in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. So sind die Entschädigungssummen bei schwerwiegenden und anhaltenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch den Boulevard zuletzt teilweise deutlich gestiegen. Begründung: Es müsse eine echter Hemmungseffekt erzielt werden. Also: Prominentenkinder sind nicht vogelfrei.

Das letzte Kapitel dieses Falls muss übrigens noch nicht geschrieben sein. Die Beschwerdeführer können die Verweisung des Urteils an die Große Kammer des EGMR beantragen. Die Chancen, dass diese zu einem anderen Ergebnis kommt als die fünfte Sektion des EGMR, dürften aber eher gering sein: Das heutige Urteil ist einstimmig ergangen.

Der Autor Dr. Christian Mensching, LL.M. (Columbia), ist Rechtsanwalt und Partner bei Redeker Sellner Dahs am Standort Bonn. Er ist schwerpunktmäßig im Medien- und Presserecht tätig.

Zitiervorschlag

Dr. Christian Mensching, EGMR weist Beschwerde der Kinder von Oliver Kahn ab: Vogelfreie Prominentenkinder? . In: Legal Tribune Online, 17.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18824/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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