BverfG zum Schweigen im Strafprozess: Nach­tei­lige Ver­wer­tung ver­letzt nicht die Men­schen­würde

14.09.2016

In Großbritannien kann das Schweigen eines Angeklagten unter bestimmten Voraussetzungen gegen ihn verwertet werden. Das betrifft nicht den Kerngehalt der Menschenwürde, entschied das BverfG. Ein Ire darf deswegen ausgeliefert werden.

Lässt sich ein Angeklagter nicht zur Sache ein sondern schweigt, darf ihm das im deutschen Strafprozess nicht zu seinen Lasten ausgelegt werden. Im Vereinigten Königreich ist die Selbstbelastungsfreiheit dagegen nur eingeschränkt gewährleistet. Das bewirkt jedoch kein Auslieferungsverbot, stellte das Bundesverfassungsgericht (BverfG) klar (Beschl. v. 06.09.2016, Az. 2 BvR 890/16).

Ein irischer Staatsangehöriger hatte sich gegen seine angeordnete Auslieferung aufgrund eines europäischen Haftbefehls gewehrt. Ihm wird vorgeworfen, in England einen Mann erschossen zu haben. Das Kammergericht Berlin hatte nach dessen Festnahme in der Hauptstadt die Auslieferung angeordnet. Deswegen zog der Beschuldigte nach Karlsruhe, weil er befürchtete, dass sein Schweigen zu seinen Lasten ausgelegt werden könnte.

Durch die eingeschränkte Selbstbelastungsfreiheit in Großbritannien werde jedoch der Kerngehalt der Menschenwürde nicht berührt, so die Richter. Damit seien die nach Art. 23 und 79 Grundgesetz (GG) für integrationsfest erklärten Verfassungsgrundsätze nicht verletzt.

Schweigen allein führt nicht zur Verurteilung

Die Menschenwürde werde nur im Kerngehalt verletzt, wenn der Beschuldigte bzw. Angeklagte dazu gezwungen werde, sich selbst zu bezichtigen. Ein solcher Zwang droht dem Beschwerdeführer aber nach Ansicht der Richter nicht. Denn auch wenn ein Schweigen unter Umständen nachteilig ausgelegt werden könne, so werde ihm das Schweigerecht selbst nicht genommen. Dass womöglich ein mittelbarer Aussagedruck entstehe, reiche nicht.

Zu berücksichtigen sei, dass die nachteilige Auslegung des Schweigens auch nur im Rahmen einer Gesamtabwägung sämtlicher Beweise erfolgen dürfe. Eine Verurteilung allein aufgrund des Schweigens sei auch im Vereinigten Königreich ausgeschlossen. So könne der Angeklagte selbst entscheiden, ob er sich zur Sache einlasse.

Darüber hinaus vertrete der Europäischer Gerichtshof mit ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass die nachteilige Verwertung des Schweigens nicht von vornherein einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention darstellt, sondern dies immer im Einzelfall geprüft werden müsse. Auch hieraus folge, dass die britische Regelung den Kernbereich der Menschenwürde nicht berührt.

una/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BverfG zum Schweigen im Strafprozess: Nachteilige Verwertung verletzt nicht die Menschenwürde . In: Legal Tribune Online, 14.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20575/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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