BVerfG zu Chemnitzer Zivilrichter: "Die Wahrheit interessiert mich nicht" begründet Befangenheit

16.01.2013

Das BVerfG hat die Befangenheit eines Zivilrichters des LG Chemnitz bejaht, weil dieser in einer Verhandlung sagte, er habe kein Interesse an der Wahrheit. Damit sei er an der Erfüllung einer wesentlichen richterlichen Amtspflicht nicht interessiert, entschieden die Karlsruher Richter. Das LG sowie das OLG Dresden hatten das zuvor anders gesehen.

Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz garantiere zum einen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung, zum anderen das Vertrauen der Rechtsuchenden darin, dass Gerichte unparteilich und sachlich sind, so das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Befangenheit eines Richters müsse nicht tatsächlich vorliegen, es genüge bei Würdigung aller Umstände der Anlass, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln (Beschl. v. 12.12.2012, Az. 2 BvR 1750/12).

Nachdem ein Richter des Landgerichts (LG) Chemnitz in einer Verhandlung die Worte sagte: "Die Wahrheit interessiert mich nicht.", lehnte der Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin ihn wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er hatte ihn zuvor, als der Vorsitzende die Protokollierung eines Beweisantrages verweigerte, daran erinnern wollen, dass er als Richter die Wahrheit zu erforschen habe. Die Zivilkammer des LG hielt den Befangenheitsantrag für unbegründet. Die Aussage sei zwar zu beanstanden, sie beträfe jedoch beide Parteien. Die Protokollierung stehe im Ermessen des Richters, von einer willkürlichen und sachwidrigen Benachteiligung könne nicht gesprochen werden.

Richter an seiner wesentlichen Amtspflicht uninteressiert

Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden rügte sogar das Verhalten des Rechtsanwalts. Dieser habe die Pflicht zur Wahrheitsfindung als Druckmittel eingesetzt, seinen Beweisantrag durchzusetzen. Der Richter habe seinem Amtseid hingegen nicht zuwiderhandeln wollen, so das OLG.

Die Richter des BVerfG teilten die Ansichten der Vorinstanzen nicht. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde sei "offensichtlich begründet". Der im Grundgesetz verankerte Anspruch auf den gesetzlichen Richter sei hier nicht gewahrt. Mit seiner Aussage habe der Richter nicht nur den Unmut über das Verhalten des Rechtsanwaltes zum Ausdruck gebracht. Vor allem ergebe sich daraus, dass er an wesentlichen Amtspflichten uninteressiert sei.

Auch der im Zivilrecht geltende Beibringungsgrundsatz, nach dem die Parteien wesentliche Tatsachenbehauptungen und Beweismittel zu benennen haben, bedeutet nach Ansicht des Senats nicht, dass den Richter die Wahrheit grundsätzlich nicht zu interessieren hätte. Auch der Zivilrichter ist verpflichtet, der Wahrheit zu dienen, führte der Senat unter Bezugnahme auf den richterlichen Amtseid aus. Da es die Besorgnis der Befangenheit daher nicht verneinen könne, hob das BVerfG die Beschlüsse von LG und OLG auf und verwies das Verfahren an das LG zurück.

una/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zu Chemnitzer Zivilrichter: "Die Wahrheit interessiert mich nicht" begründet Befangenheit . In: Legal Tribune Online, 16.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7978/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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