BVerfG sieht Meinungsfreiheit verletzt: "Spanner" keine Tat­sa­chen­be­haup­tung

03.08.2016

Das Recht auf Meinungsfreiheit ist bereits dann verletzt, wenn ein Gericht zu Unrecht von einer Tatsachenbehauptung ausgeht. Deshalb hob das BVerfG nun ein Urteil gegen einen Mann auf, der einen Polizisten als "Spanner" bezeichnet hatte.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat erneut eine gerichtliche Entscheidung wegen unzureichender Berücksichtigung des Rechts auf Meinungsfreiheit aufgehoben. Mit dem am Mittwoch bekannt gewordenen Beschluss stellten die Richter klar, dass ein Gericht, welches die Äußerung eines Angeklagten zu Unrecht als Tatsachenbehauptung einstuft, den Schutz des Grundrechts aus Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verkürze und mit einer Verurteilung wegen übler Nachrede dieses Grundrecht verletze. Denn für Tatsachenbehauptungen gelte keine Vermutung zugunsten der freien Rede, heißt es in dem Beschluss (v. 29.06.2016, Az. 1 BvR 2732/15).

Die Verfassungsbeschwerde eines wegen eines Facebook-Posts verurteilten Mannes hatte damit Erfolg. Der Mann hatte einen ihm bekannten Polizeibeamten darin als "Spanner" bezeichnet. Der Polizist hatte ihn zuvor mehrfach kontrolliert und schließlich auch sein Haus mit dem Licht seines Einsatzfahrzeugs angestrahlt. In dem Post beschwerte sich der Mann darüber, dass der Beamte "nichts Besseres zu tun" habe, "als in Einfahrten mit Auf- und Abblendlicht zu stehen und in die gegenüberliegenden Häuser zu leuchten".

Das Amtsgericht (AG) Sonneberg verurteilte den Mann daraufhin wegen übler Nachrede gemäß § 186 Strafgesetzbuch (StGB) zu einer Geldstrafe. Dessen Sprungrevision zum Thüringer Oberlandesgerichts (OLG) wurde durch Beschluss zurückgewiesen. Beide Entscheidungen hob das BVerfG nun auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das AG zurück.

"Spanner" ist keine Tatsachenbehauptung

Der Tatbestand der üblen Nachrede erfordert, dass eine ehrenrührige, nicht erweislich wahre Tatsache über eine andere Person behauptet oder verbreitet wird. Nach Ansicht des BVerfG hätte das AG die Äußerungen schon nicht als Tatsachenbehauptungen bewerten dürfen.

Ob der Schwerpunkt einer Aussage als Tatsachenbehauptung oder als Meinungsäußerung anzusehen ist, müsse anhand des Gesamtzusammenhangs beurteilt werden. Eine isolierte Betrachtung eines Teils der Äußerung verbiete sich, da es darauf ankomme, den Sinn dieser Aussage zu ermitteln. Für Meinungen im engeren Sinne gelte im Rahmen der Abwägung regelmäßig eine Vermutung zugunsten der freien Rede, für Tatsachenbehauptungen dagegen nicht bzw. nicht in gleicher Weise, so die Richter.

Die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit werde auch dadurch verkannt, dass eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, als Formalbeleidigung oder auch als Schmähkritik eingestuft werde und ihr somit der umfassende Schutz des Grundrechts entzogen werde.

Amtsgericht muss nun wohl über Beleidigung entscheiden

Der Verurteilte habe zwar ein tatsächliches Geschehen geschildert. Die Äußerung "Spanner" sei jedoch eine Bewertung des Beobachteten, die dem Beweis nicht zugänglich sei. Bereits diese falsche Einordnung führe zur Aufhebung der Entscheidungen, heißt es in dem Beschluss.

Ob der Post deshalb straflos, also im Ergebnis von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, ließ das BVerfG ausdrücklich offen. In der Bezeichnung des Beamten als Spanner liege jedenfalls eine Herabsetzung und damit eine Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Inwieweit diese durch die Meinungsfreiheit gerechtfertigt sei, müsse durch Abwägung entschieden werden. Dies sei aber nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, betonten die Richter, da es bei der üblen Nachrede ausschließlich um das Verbreiten von Tatsachenbehauptungen gehe. Das AG wird sich daher wohl mit dem Tatbestand der Beleidigung, § 185 StGB, zu befassen haben.

una/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG sieht Meinungsfreiheit verletzt: "Spanner" keine Tatsachenbehauptung . In: Legal Tribune Online, 03.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20188/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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