BVerfG stärkt elterliches Erziehungsrecht: Gerichte müssen Gutachten genau prüfen

28.11.2014

Um Eltern von ihren Kindern zu trennen, braucht es gewichtige Gründe. Nach einem Beschluss des BVerfG muss das Kind durch den Kontakt entweder schon geschädigt sein, oder dies sicher drohen. Vor allem die Gerichte sieht Karlruhe in der Pflicht. Sie müssten sich eingehend mit den Feststellungen von Sachverständigen beschäftigen.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit einem am Freitag bekannt gewordenen Beschluss die Rechte der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz (GG) gestärkt (Beschl. v. 19.11.2014, Az. 1 BvR 1178/14). Für die Entziehung des Sorgerechts gelten demnach strenge Anforderungen. Das elterliche Fehlverhalten müsse so gravierend sein, dass das Kindeswohl nachhaltig gefährdet erscheint, heißt es. Die Richter hoben damit eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm auf, weil sich dieses auf ein unzureichendes Sachverständigengutachten gestützt hatte.

Mit der Entscheidung hat Karlsruhe der Verfassungsbeschwerde eines Mannes, der aus Ghana stammt, stattgegeben. Dessen Tochter lebt in einer Pflegefamilie, nachdem das Amtsgerichts (AG) Paderborn dem getrennt lebenden Elternpaar 2013 die elterliche Sorge entzogen hatte. Das OLG bestätigte diese Entscheidung später. Vor allem deshalb, weil sich eine Sachverständige für die Entziehung ausgesprochen hatte.

BVerfG hebt OLG-Entscheidung auf

Die 1. Kammer des BVerfG hat die OLG-Entscheidung nun aufgehoben und damit die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Sorgerechtsentziehung unterstrichen, teilte es am Freitag mit. Das OLG habe unzureichend geprüft, ob die Voraussetzungen in diesem Fall tatsächlich erfüllt seien. Art. 6 Abs. 3 GG erlaube eine Entziehung gegen den Willen der Eltern nur, wenn diese "versagen oder wenn das Kind aus anderen Gründen zu verwahrlosen droht". Konkret bedeutet dies nach Ansicht der Richter: Das Kind muss bereits einen Schaden erlitten haben oder eine erhebliche Schädigung mit "ziemlicher Sicherheit" bevorstehen.

Beide Gerichte hätten dies jedoch nicht mit der gebotenen Sorgfalt geprüft, weil sie sich lediglich auf das Sachverständigengutachten gestützt hätten. Dessen Wertungen hätten sie weitgehend übernommen und nur im Ansatz rechtlich gewürdigt.

Dabei sei das Gutachten bereits seinerseits fragwürdig, weil es sich nicht mit der Frage der Kindeswohlgefährdung auseinandersetze, erläuterte das BVerfG. Es gehe nur auf die Erziehungsfähigkeit des Vaters ein, und dies in einer Weise, die über eine mögliche Gefahr für das Kind nicht aufklären könne. So habe das Gutachten etwa bewertet, ob der Vater dem Kind gesellschaftliche Werte vermitteln könne, inbesondere, ob er ein "adäquates Verhältnis zu Dauerpartnerschaft und Liebe vorlebe".

Eltern müssen Eignung nicht positiv nachweisen

Diese Fragestellungen seien aber fehl am Platze, da Eltern ihre Erziehungsfähigkeit gar nicht positiv unter Beweis stellen müssten, sondern vielmehr ihr Versagen festgestellt werden müsse. Der Staat darf nach Meinung der Richter also nicht die eigenen Vorstellungen von einer guten Erziehung an die Stelle der elterlichen Vorstellungen setzen.

Darüber hinaus bestünden ernste Zweifel an dem Gutachten, weil die Sachverständige vermutlich nicht mit der gebotenen Unvoreingenommenheit zu Werke gegangen sei, so das BVerfG. Zahlreiche Festellungen gingen ohne erkennbaren Zusammenhang zur jeweils aufgeworfenen Frage zu Lasten des Vaters. Vor allem werde seine Herkunft wiederholt in den Vordergrund gerückt und unsachlich negativ bewertet.

So kommt das BVerfG zu dem Schluss, dass das Gutachten und die ergänzenden mündlichen Ausführungen als Grundlage für die Sorgerechtsentziehung ungeeignet waren. Das alleine mache die OLG-Entscheidung allerdings nicht verfassungswidrig, betonten die Richter. Sie hätte dennoch einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle standhalten können, wenn das Gericht diese Mängel eingehend thematisiert hätte.

Verfassungsmäßigkeit hängt nicht vom Gutachten ab

Gerichte dürfen sich nach dem Beschluss aus Karlsruhe also nicht blind der Ansicht der Sachverständigen anschließen, sondern müssen sich zwingend mit deren Feststellungen auseinandersetzen. Das zeigen auch die weiteren Anmerkungen des BVerfG: Selbst, wenn das Sachverständigengutachten völlig unverwertbar sei, so hätte die Entscheidung des OLG dennoch verfassungsgemäß sein können, wenn sich allein aus den Entscheidungsgründen eine Kindeswohlgefährdung nachvollziehbar ergeben hätte.

Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Entscheidung verfehle die Anforderungen an die Gefahrenstellung. Sie benenne mögliche Defizite bei der Erziehungsfähigkeit des Vaters, lasse aber offen, von welcher Art, Schwere und Wahrscheinlichkeit die hieraus resultierenden Beeinträchtigungen des Kindes sein sollen.

Die Qualität von Gutachten in familiengerichtlichen Streitigkeiten wurde in der Vergangenheit vielfach bemängelt, da es keinerlei verbindliche Standards, etwa für die zu fordernde Ausbildung oder Fachrichtung der Gutachter gibt.

una/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG stärkt elterliches Erziehungsrecht: Gerichte müssen Gutachten genau prüfen . In: Legal Tribune Online, 28.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13951/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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