Prozess trotz Corona?: Anwälte rei­chen Eil­an­trag in Karls­ruhe ein

19.03.2020

Können in Zeiten der Coronakrise Gerichtsprozesse stattfinden? Eine einheitliche Line der Gerichte gibt es bislang nicht. Aus Sicht von zwei Münchner Strafrechtlern geht das so nicht. Sie ziehen darum vor das Bundesverfassungsgericht.

Mit einem Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wollen zwei Strafrechtler aus München den Stopp zweier Prozesse wegen der Ausbreitung des Coronavirus erzwingen. Rechtsanwalt Adam Ahmed sagte am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur in München: "Es geht um die Ansteckungsgefahr und die Übertragungsgefahr für jeden Prozessbeteiligten." Erforderlich sei eine grundsätzliche Aussage. "Man muss mal eine gewisse Linie reinbringen: Die einen Gerichte machen es so, die anderen so."

Eine Sprecherin des Gerichts in Karlsruhe bestätigte den Eingang des Eilantrags. Es werde "in allerkürzester Zeit" entschieden. Zuerst hatte Der Spiegel auf seiner Internetseite darüber berichtet. Ahmed kritisierte, neue Prozesse würden inzwischen zwar häufiger abgesagt, laufende aber nicht. "Inkonsequenter kann die Justiz sich dieser Tage nicht darstellen." Konkret geht es Ahmed und einem Kanzleikollegen um zwei Münchner Strafprozesse. Einer davon soll am Freitag, der andere am Montag fortgesetzt werden.

Bayerischer Justizminister: Strafbefehle statt Hauptverhandlung

Das Bundesjustizministerium arbeitet bereits an einer Regelung, die es Gerichten gestattet, laufende Strafprozesse länger als bisher erlaubt zu unterbrechen. Die Pause soll maximal drei Monate und zehn Tage dauern dürfen. Die Entscheidung, ob die Aussetzung einer Verhandlung angebracht ist, sollen die Gerichte unabhängig treffen. Der Deutsche Anwaltverein warnt allerdings vor "hektischen Veränderungen in der Strafprozessordnung". Es müsse sicher gestellt sein, dass eine solche Sonderregelung auf die aktuelle Situation begrenzt bleibe.

Das bayerische Justizministerium rief die Gerichte im Freistaat bereits dazu auf, wegen der rasanten Ausbreitung des neuartigen Coronavirus nur noch in absolut notwendigen Fällen im Gerichtssaal zu verhandeln. Konkret bedeutet das: Hauptverhandlungstermine sollen möglichst nur noch in Haft- und Unterbringungssachen durchgeführt werden, in Verfahren, bei denen Verjährung droht oder sonstige Fristen einzuhalten sind und in lang andauernden Verfahren, die sich schon in einem fortgeschrittenen Stadium befinden und sonst neu aufgerollt werden müssten.

Justizminister Georg Eisenreich (CSU) hat außerdem die Staatsanwaltschaften gebeten, in geeigneten Verfahren anstelle einer Anklage einen Strafbefehl zu beantragen. Dadurch könnten unter bestimmten Umständen Hauptverhandlungen vermieden werden, heißt es in einer Mitteilung des Ministeriums.

Auch in Zivilverfahren sollen Verhandlungstermine möglichst nur in eilbedürftigen und dringenden Fällen stattfinden - zum Beispiel in Familien- und Betreuungssachen, in denen es beispielsweise um Gewaltschutz oder Kindeswohlgefährdungen geht.

Anwalt zeigt Richter wegen versuchter Körperverletzung an

Der Zugang zu Gerichtsverhandlungen sei weiterhin grundsätzlich möglich, weil die Öffentlichkeit gewährleistet werden müsse. "Gäste oder nicht am Verfahren beteiligte Personen werden dringend gebeten, auf nicht notwendige Besuche bei Gericht zu verzichten", teilte das Ministerium mit.

Ahmed ist nicht der erste Münchner Anwalt, der Verhandlungen in Corona-Krisenzeiten nicht hinnehmen will. Am Dienstag zeigte der Strafverteidiger Thomas Pfister einen Jugendrichter des Landgerichts München I wegen versuchter Körperverletzung an, weil der trotz der aktuellen Corona-Pandemie auf eine Verhandlung bestand. Der Richter habe "bewusst eine Gefahrenlage" geschaffen und nahm "sehenden Auges in Kauf, dass sich die Anwesenden im Sitzungssaal einem erhöhten Ansteckungsrisiko aussetzen". Gerichtssprecher Florian Gliwitzky wies die Vorwürfe gegen den Richter zurück. Die Justiz könne auch in Zeiten des sich rasant verbreitenden Coronavirus nicht die Arbeit einstellen. "Die Justiz ist in bestimmten Bereichen systemrelevant."

dpa/acr/aka/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Prozess trotz Corona?: Anwälte reichen Eilantrag in Karlsruhe ein . In: Legal Tribune Online, 19.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40959/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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