BVerfG zu den Grenzen gerichtlicher Kontrolle: Wenn die Wis­sen­schaft nicht weiter weiß

23.11.2018

Ist der Rotmilan durch den Bau zweier Windkraftanlagen gefährdet? Dazu gab es im konkreten Fall keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Das BVerfG sieht den Gesetzgeber in der Pflicht, für solche Fälle vorzusorgen.

Bei Sachverhalten mit außergerichtlichen Fragestellungen stoßen die Fachgerichte mitunter an die Grenzen der rechtlichen Aufklärung. So auch im Falle zweier Verfassungsbeschwerden, über die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu befinden hatte (Beschl. v. 23.10.2018, Az. 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14).

Zwei Betreiber einer Windkraftanlage begehrten die Erteilung einer behördlichen Genehmigung, die ihnen aus naturschutzrechtlichen Gründen versagt wurde. Der Grund: Es sei zu erwarten, dass der unter Naturschutz stehende Rotmilan aufgrund der Anlagen einem erhöhten Tötungsrisiko ausgesetzt werde. Die Verwaltungsgerichte gestanden bei ihrer Prüfung der Genehmigungsbehörde eine "naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative" hinsichtlich der Ermittlung des Tötungsrisikos der Vögel ein, die gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar sei. Zur Begründung führten die Richter an, dass es sich um eine außergerichtliche Fragestellung handle, für die allgemein fachwissenschaftliche Maßstäbe und standadisierte Erfassungsmethoden fehlten.

Die Betreiber sahen sich durch die nur eingeschränkte Prüfung in ihren Grundrechten verletzt und strebten Klarstellung in Karlsruhe an. Doch auch die Verfassungsrichter hatten keine Bedenken hinsichtlich der nur eingeschränkten Kontrolle durch das Gericht. Denn wenn es keine fundierte wissenschaftliche Meinung zu einer außergerichtlichen Frage gebe und auch normative Konkretisierungen fehlten, dann stößt die verwaltungsgerichtliche Kontrolle an ihre Grenzen, so das BVerfG.

Die Folge sei eine objektiv unmögliche Aufklärung der Frage, ob die Entscheidung der Behörde richtig oder falsch sei, so das BVerfG. Die Grenze der gerichtlichen Kontrolle ergebe sich dann jedoch nicht aus der Einschätzungsprärogative, die nach allgemeinen Grundsätzen der Verwaltung zugebilligt werden kann, wenn es um außergerichtliche Fragestellungen geht. Sie sei vielmehr die Folge davon, dass sich die Entscheidung der Behörde schlicht nicht abschließend beurteilen lässt.

BVerfG: Gesetzgeber darf kein "Erkenntnisvakuum" entstehen lassen

Fehlt ein naturwissenschaftlicher Erkenntnisstand, dürfe das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung daher die plausible Entscheidungsbegründung der Behörde zugrundlegen und ist nicht verpflichtet, das Erkenntnisdefizit auszufüllen. Überprüft werden müsse dann nur, ob der Behörde gravierende Fehler unterlaufen sind. Die Betreiber der Windkraftanlagen machten vor dem BVerfG zwar geltend, es gebe sehr wohl, nämlich statistische Nachweise, die das Tötungsrisiko der Vögel beweisen. Dies hätten sie aber schon vorher geltend machen müssen, so die Richter in Karlsruhe.

In der Pflicht sieht das BVerfG in solchen Fällen aber den Gesetzgeber. Er dürfe nicht tatenlos zusehen, wie ein "Erkenntnissvakuum" entsteht, sondern müsse zumindest für eine untergesetzliche Maßstabsbildung beispielsweise durch Einsetzung fachkundiger Gremien sorgen, die einheitliche Maßstäbe und Methoden festlegen.

tik/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zu den Grenzen gerichtlicher Kontrolle: Wenn die Wissenschaft nicht weiter weiß . In: Legal Tribune Online, 23.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32293/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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