BSG zu Querulanten: Rechtliches Gehör auch bei mehreren tausend Klagen

17.04.2015

Ein Strafgefangener beschäftigt die Sozialgerichte seit Jahren mit mehreren tausend Verfahren. Weil die nicht mehr reagieren, fordert er in 138 Fällen Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer. Dieses Verlangen wies das LSG Baden-Württemberg ohne ordentliches Verfahren als "haltlos" und "rechtsmissbräuchlich" ab. Damit hat es den Anspruch auf rechtliches Gehör des Klägers verletzt, entschied das BSG am Donnerstag.

Der Mann ist bei den baden-württembergischen Sozialgerichten (SG) gut bekannt: Allein vor dem SG Karlsruhe führte er von 2005 bis 2012 circa 660 Verfahren. Hinzu kommen rund 1.240 weitere Verfahren beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg. Beim Bundessozialgericht (BSG) waren von 2006 bis 2012 circa 260 Verfahren anhängig. 2014 beantragte er beim LSG Baden-Württemberg wegen weiterer 138 Verfahren Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer. Dabei verlangte er pro Verfahren 1.200 Euro, insgesamt also 165.600 Euro. Daneben erhob er weitere 127 Wiederaufnahmeklagen bei verschiedenen Senaten des LSG.

Alle Verfahren seien nach dem gleichen Schema abgelaufen, so der Mann: Nach seiner Klageerhebung habe das SG die Klagen über Jahre hinweg nicht bearbeitet und dann mit unbegründeten Entscheidungen abgewiesen. Für seine Entschädigungsklagen hat der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt.

Das LSG hatte offenbar keine Lust, sich mit sämtlichen 138 Fällen im Detail auseinanderzusetzen. Der Kläger benutze die Klagemöglichkeit "in zweckwidriger, rechtsmissbräuchlicher Weise zum Aufbau seines Selbstwertgefühls und seiner Selbstdarstellung", so das Gericht. Per Beschluss, und ohne den Kläger zuvor anzuhören, wies es die Entschädigungsforderungen pauschal als "offensichtlich haltlos" ab und trug die  Klagen ohne weitere Bearbeitung aus dem Prozessregister aus. Die Entschädigungsklagen ließen "auch nicht ansatzweise ein berechtigtes Interesse erkennen, weshalb sie als letztlich unbeachtliche Begehren auf sonstige Weise auszutragen sind und eine weitere Bearbeitung nicht zu erfolgen hat". Eine Revision gegen diese Entscheidung ließen die Richter nicht zu.

"Verfestigte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und querulatorischen Zügen"

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BSG hatte der Kläger Erfolg.

Durch die Entscheidung des LSG sei der Kläger in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden, so das BSG. Der Kläger hätte zuvor angehört werden müssen. Er habe sein Anliegen nicht "völlig wirr" vorgetragen, sondern die angeblich überlangen Verfahren jeweils mit Aktenzeichen konkret benannt. Er habe eine Zahlungsverpflichtung des Landes auch tatsächlich erreichen wollen.

Der Kläger sei zudem prozessfähig. Gutachter konnten trotz der Einreichung Hunderter Klagen keine schwere psychische Erkrankung feststellen. Der Mann habe lediglich eine "verfestigte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und querulatorischen Zügen". Er wisse aber durchaus, was er wolle.

Zudem habe das LSG die Entschädigungsklagen nicht einfach durch Nichtbearbeitung beenden dürfen. Auch seien die ehrenamtlichen Richter nicht beteiligt worden. Das LSG müsse daher die Verfahren erneut prüfen. Dabei sei auch zu untersuchen, ob eine "objektive Klagehäufung" vorliegt und Entschädigungsklagen zusammengefasst werden können. Eine Möglichkeit zur - vermutlich - einfachen Erledigung des Problems gibt das BSG dem LSG jedoch an die Hand: Möglicherweise könne nach den §§ 202 Sozialgerichtsgesetz, 198 Gerichtsverfassungsgesetz, 12a, 12 analog Gerichtskostengesetz die Zahlung der Gerichtskosten vorab verlangt werden (Beschl. v. 12.02.2015, Az. B 10 ÜG 8/14 B). Diese hatte das LSG auf 213 Euro in 138 Fällen, insgesamt also 29.394 Euro taxiert.

mbr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BSG zu Querulanten: Rechtliches Gehör auch bei mehreren tausend Klagen . In: Legal Tribune Online, 17.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15273/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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