BGH zu fristloser Kündigung: Per­sön­liche Härte für Mieter muss berück­sich­tigt werden

09.11.2016

Eine 97-Jährige sollte ihre Wohnung räumen, weil ihr Pfleger die Vermieterin wüst beschimpfte. Dabei darf über möglicherweise drohende Gesundheitsschäden aber nicht einfach hinweg gesehen werden, entschied der BGH.

Bei der Frage, ob ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung nach § 543 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) vorliegt, müssen auch schwerwiegende persönliche Härtegründe auf Seiten des Mieters berücksichtigt werden. Dies entschied am Mittwoch der Bundesgerichtshof (BGH) (Urt. v. 09.11.2016, Az. VIII ZR 73/16). 

Geklagt hatte die Vermieterin einer 97-Jährigen, die seit mehr als 60 Jahren eine Dreizimmerwohnung in einem Mehrfamilienhaus in München angemietet hat und dort lebt. Zusätzlich ist sie Mieterin einer Einzimmerwohnung im selben Stockwerk, welche seit dem Jahr 2000 vom zweiten Beklagten, ihrem derzeitigen Betreuer, bewohnt wird. Dieser pflegt die mittlerweile demente und bettlägerige Frau rund um die Uhr.

Bereits seit einigen Jahren kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen, welche anhand von E-Mails und Briefen dokumentiert wurden, in denen der Pfleger gegenüber Vermieterin, Hausverwalter und Nachbarn ausfällig wurde. Infolge dessen wurden bereits mehrere Kündigungsschreiben an die beklagte Mieterin versandt, welche aber zunächst ohne Folgen blieben.

Die nun angestrengte Räumungsklage ging auf eine verbale Eskalation in Form einer E-Mail vom 1. Mai 2015 zurück, in welcher der Pfleger Vermieterin und Hausverwalter unter anderem als "sehr feindselige und sehr gefährliche terroristen nazi ähnliche braune mist haufen" bezeichnete. 

BGH: drohende Gesundheitsschäden zu berücksichtigen

Das Amtsgericht (AG) München wies die Klage der Vermieterin zunächst ab. Ihrer Berufung gab das Landgericht (LG) München I allerdings statt. Bei derart groben Beleidigungen liege die Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Mietvertrages für die Klägerin auf der Hand. Sie müsse sich das Verhalten ihres Pflegers zurechnen lassen.

Die Mieterin und ihr Pfleger hatten vorgebracht, die 97-Jährige sei auf die Dienste ihres Pflegers angewiesen. Sowohl ein Auszug des Mannes als auch ein Umzug beider Beklagter sei mit schweren Gesundheitsgefahren für die Mieterin verbunden. Derartige persönliche Härtegründe könnten aber erst im Rahmen einer späteren Zwangsvollstreckung im Wege eines Vollstreckungsschutzantrags nach § 765a Zivilprozessordnung (ZPO) geprüft werden, befand das Berufungsgericht.

Dem trat nun der BGH auf Revision der beiden Beklagten entgegen. § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB schreibe ausdrücklich eine Abwägung der beiderseitigen Interessen der Mietvertragsparteien und eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vor. Insofern verbiete es sich, etwaige persönliche Härten für die Mieterin erst in der Zwangsvollstreckung zu berücksichtigen. Sie seien vielmehr in die Gesamtabwägung bei der Prüfung des wichtigen Grundes für eine fristlose Kündigung einzubeziehen, so die Richter.

Diesem Vorbringen hätte das LG nach Ansicht des BGH nachgehen müssen, um seine Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen. Das Berufungsurteil wurde daher aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

mam/LTO-Redaktion/dpa

Zitiervorschlag

BGH zu fristloser Kündigung: Persönliche Härte für Mieter muss berücksichtigt werden . In: Legal Tribune Online, 09.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21104/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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