BGH: Keine Entlassungspflicht bei psychischer Störung

30.05.2011

Eine Unterbringung von Straftätern in nachträglicher Sicherungsverwahrung über einen Zeitraum von zehn Jahren hinaus ist möglich, wenn eine hinreichend konkretisierte hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen des Untergebrachten anzunehmen ist. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen einer psychischen Störung, wie aus einem Beschluss des BGH von Ende Mai hervorgeht.

Dürfen erstmals in der Sicherungsverwahrung Untergebrachte aufgrund einer rückwirkend in Kraft getretenen Gesetzesverschärfung über die zuvor geltende strikte Höchstfrist der Unterbringungsdauer von zehn Jahren hinaus in der Sicherungsverwahrung belassen werden oder sind sie als Folge des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nach zehn Jahren ohne weitere Sachprüfung zu entlassen? Mit dieser Frage hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) nach Vorlage von mehreren Oberlandesgerichten (OLG) befasst.

Der 5. (Leipziger) Strafsenat des BGH hatte zuvor eine Pflicht zur unbedingten Entlassung mit Beschluss vom 9. November 2010 (Az. 5 StR 394/10) verneint, dies allerdings nur unter der Voraussetzung einer hinreichend konkretisierten hochgradigen Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen beim Betreffenden. Er hatte bei den anderen Strafsenaten des BGH angefragt, ob dieser Auffassung zugestimmt oder an entgegenstehender Rechtsprechung des 4. Strafsenats festgehalten werde. Die Anfrage war von den anderen Strafsenaten unterschiedlich beantwortet worden.

Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Urteil vom 4. Mai 2011 (Az. 2 BvR 2365/09) grundlegend über die Verfassungsmäßigkeit der Sicherungsverwahrung entschieden. Mit Gesetzeskraft hat es die rückwirkende Anordnung fortdauernder Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nur bei Erfüllung des im Beschluss des 5. Strafsenats entwickelten Gefährlichkeitsmaßstabs und unter der weiteren Voraussetzung einer psychischen Störung des Verurteilten bis zu einer insgesamt gebotenen Neuregelung der Sicherungsverwahrung für zulässig befunden.

Der Leipziger Strafsenat hat die Vorlegungsfrage nun in Übereinstimmung mit diesen Vorgaben entschieden (Beschluss vom 23. Mai 2011, Az. 5 StR 394/10, 440/10 und 474/10).

age/LTO-Redaktion

 

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Zitiervorschlag

BGH: Keine Entlassungspflicht bei psychischer Störung . In: Legal Tribune Online, 30.05.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3392/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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